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Szczepan Twardoch: "Demut"
Ein Mann zwischen allen Fronten

Szczepan Twardoch inszeniert in "Demut" ein großes Spiel mit intertextuellen Verweisen. Darin schickt der polnische Erfolgsautor seinen Protagonisten auf eine Odyssee durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts: durch Ersten Weltkrieg, Revolution und Unruhen in Oberschlesien. Trotz deftiger Oberflächenreize entfaltet der Roman beachtliche Tiefenwirkung.

Von Eberhard Falcke |
Buchcover und Autor: Szczepan Twardoch: "Demut"
Scheut in seinem Roman "Demut" keine grellen Effekte: der polnische Schriftsteller Szczepan Twardoch (Cover: Rowohlt Verlag / Foto: Zuza Krajewska)
Die Stürme der Geschichte blasen ihm mächtig um die Ohren. Alois Pokora erfährt hautnah alle Turbulenzen, die seine Zeit zu bieten hat. In den Schützengräben des Ersten Weltkriegs wird er zum dekorierten Helden. Mit einer Kopfwunde landet er in einem Berliner Krankenhaus. Als er wieder zu sich kommt, hat Wilhelm II. abgedankt und die Novemberrevolution ist in vollem Gange. Er schließt sich den Spartakuskämpfern an und entgeht nur knapp der Hinrichtung durch ein Freikorps-Kommando. Anschließend verschlägt es ihn in seine Heimat Oberschlesien, wo er bei den Gebietsstreitigkeiten nach dem Versailler Vertrag zwischen alle Fronten gerät.

Ein Nomade im Chaos der Zeit

Alois Pokora ist der Protagonist des neuen Romans von Szczepan Twardoch. Er steckt voller Selbstzweifel und seine innere Haltung ist geprägt von dem, was er im Namen trägt. Pokora heißt auf Deutsch Demut und "Demut" ist auch der Titel des Romans. Nachdem Alois im Jünglingsalter sein Elternhaus verlassen hat, wird er zum Getriebenen, der keinen festen Halt mehr findet.
"Nie mehr danach hatte ich ein Haus, nie wieder schlief ich an einem Platz, den ich nicht innerhalb einer Viertelstunde verlassen konnte, ohne etwas dort zu vermissen. Ich bin ein Nomade, ich habe kein Zuhause, nur einen Lagerplatz."
Twardoch schickt seinen Helden und Ich-Erzähler auf eine wahre Odyssee der Zeitgenossenschaft. Obwohl die Handlung nur rund drei Jahre umfasst, ist das ein langer ereignisreicher Weg. Das umso mehr, als in Rückblenden auch Alois Pokoras Kindheit und Jugend ins Bild gerückt werden. Damit kommen die Gegensätze, von denen sein Leben bestimmt wird, umso dramatischer zur Geltung.

Ein Schlesier zwischen allen Fronten

Twardoch schreibt einen temporeichen Stil. Alois wird fortwährend heimgesucht von aufwühlenden Erfahrungen, in denen Hoffnung, Verzweiflung, Kühnheit und Verzagen schnell aufeinander folgen. Genauso schnell wechseln die Tonlagen zwischen glasklarer Sachlichkeit, zweifelndem Räsonieren, expressiver Dramatik, dem Ach und Oh unerfüllter Sehnsüchte oder scharf gezeichneten, höchst lebendigen Figurenporträts. Wenn Alois den Zeitgeist der Desillusionierung in Worte fasst, dann gibt er mitten im revolutionären Aufruhr auch schon mal Shakespeare-Worte zum besten.
"'Ich glaube an gar nichts', erwiderte ich. 'Ich glaube einzig, dass die Welt Chaos ist, ein Märchen, erzählt von einem Dummkopf, voller Klang und Wut, das nichts bedeutet.'"
Als Schlesier steht Alois Pokora zwischen Polen und Deutschen. Was ihn jedoch am meisten umtreibt, das sind die Klassengegensätze zwischen Proletariat, Bürgertum und Adel.

Der Aufsteiger und die Venus im Pelz

 Obwohl er aus einer armen Bergarbeiterfamilie stammt, ermöglicht ihm der Pfarrer seines Heimatdorfes eine höhere Ausbildung mit Gymnasium und Studium. Er verliebt sich in die Bürgertochter Agnes. Sie gestattet ihm zwar nicht mehr, als ihre Füße zu küssen, dennoch vergöttert er sie fortan als Muse seines sozialen Aufstiegs. Immer wieder spricht er sie in seinem Lebensbericht schmachtend an, gleich ob er im Schlamm des Schützengrabens liegt, sich den sexuellen Avancen eines adligen Gönners entwindet oder vom verbitterten Missmut seines Vaters gepeinigt wird.
"Ich will deiner würdig sein, Agnes. Mein Leben wird Sinn bekommen, meine Klasse, meine Herkunft, meine gesellschaftliche Position werden mich nicht mehr bestimmen, ich werde es sein, der die Wirklichkeit um mich herum definiert."
Im Wirbel der Zeit
Es kommt anders. Agnes entpuppt sich als sadistische "Venus im Pelz", auf Leopold von Sacher-Masoch, den österreichischen Autor des gleichnamigen Romans, wird direkt angespielt. Überhaupt inszeniert Szczepan Twardoch ein großes, sehr postmodernes Spiel mit zahlreichen intertextuellen Kulissen, Versatzstücken und Verweisen. Der Erfolgsautor scheut keine grellen Effekte, gelegentlich wagt er auch fetten Kitsch. Doch gerade durch solche Ungeniertheit fügt sich sein Roman zu einem schlüssigen, schillernden Ganzen. Und das entfaltet neben deftigen Oberflächenreizen durchaus auch eine beachtliche Tiefenwirkung.
Szczepan Twardoch: "Demut"
Aus dem Polnischen von Olaf Kühl
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin. 463 Seiten, 25 Euro