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"Ein nationaler Alleingang führt nur zu Nachteilen"

Die OECD fordert eine schärfere Steuerprüfung für Banken - eine Maßnahme, die dem Staat mehrere Milliarden jährlich einbringen könnte. Luise Hölscher, Professorin für Rechnungswesen und Steuern, gibt zu bedenken, dass dadurch nicht nur die Banken selbst belastet werden könnten.

Luise Hölscher im Gespräch mit Christoph Heinemann | 12.07.2010
    Christoph Heinemann: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz OECD, hat eine wohlfeile Empfehlung für höhere Einnahmen abgegeben. Eine schärfere Steuerprüfung vor allem von Banken würde dem deutschen Staat mehrere Milliarden Euro pro Jahr bescheren. Es liege ein enormes Potenzial brach, um durch einen besseren Steuervollzug den Defizitabbau zu unterstützen. Das sagte der Leiter der OECD-Steuerabteilung, Jeffrey Owens, der "Berliner Zeitung". Am Telefon ist Luise Hölscher, Professorin für Accounting and Taxation. Das bedeutet Rechnungswesen und Steuern. Die englische Bezeichnung des Lehrstuhls hat mit der Hochschule zu tun, der Frankfurt School of Finance and Management. Guten Tag!

    Luise Hölscher: Einen schönen guten Tag.

    Heinemann: Frau Hölscher, die OECD rechnet mit bis zu 20 Prozent höheren Einnahmen. Das sind keine Peanuts. Halten Sie das für erreichbar?

    Hölscher: Das sind natürlich Zahlen, die so weit in die Zukunft greifen, dass es eine gewisse Wahrsagerei braucht, um die ernst zu nehmen. Ja, solche Zahlen sind möglich, aus heutiger Sicht aber kaum mit Gewissheit schätzbar.

    Heinemann: Auch die Beispiele Australien, Irland und Großbritannien gehen nicht schon in diese Richtung?

    Hölscher: Es ist ja in den drei genannten Ländern jeweils ein unterschiedliches Konzept, das verfolgt wird, und die genannten Vorschläge, die zu Mehreinnahmen führen, sollen natürlich sehr stark darauf abstellen, was da geändert werden soll, die Besteuerung der Banken, oder der Bankkunden beziehungsweise derjenigen, die zum Beispiel Wertpapiergeschäfte tätigen.

    Heinemann: Und was empfehlen Sie?

    Hölscher: Wenn die Antwort so einfach wäre, hätten wir die Lösung wahrscheinlich längst umgesetzt. Was empfehle ich? Wir müssen natürlich bei der Frage "Finanzierung der Kosten der Finanzkrise durch die Finanzbranche" unterscheiden, wer soll mit den Kosten belastet werden? Sicherlich ist es da in einem gewissen Sinne sinnvoll, bei den Banken selber anzusetzen. Wenn ich den Bankkunden in irgendeiner Form, beispielsweise in Form einer Finanztransaktionssteuer belaste, dann heißt das letztendlich, dass jeder, auch sagen wir mal der kleine Rentner, der noch ein kleines Aktien-Portfolio hat, damit direkt belastet wird.

    Heinemann: Wie kann man zum Beispiel verhindern, dass, wie wir es gerade gehört haben, Banken zufällig dort Gewinne erzielen, wo die Steuerlast besonders niedrig ist?

    Hölscher: Zum ersten würde ich sagen, das ist kein Zufall. Zum zweiten ...

    Heinemann: War auch nicht so gemeint!

    Hölscher: Zum zweiten würde ich sagen, das spielt sich, vermute ich jetzt mal sehr stark, zumindest für die deutschen Banken alles im legalen Bereich ab. Und solange ich Gesetze erlasse, die international nicht harmonisiert sind, werde ich immer eine Vorgehensweise finden aus steuerpflichtiger Sicht, egal ob das jetzt eine Bank oder ein anderes Unternehmen ist, die meine Steuerlast reduziert. Vergleichen wir das mal mit dem Otto Normalsteuerzahler. Der wäre ja auch schön dumm, wenn er sein Geld in einer Form anlegt, oder seine was weiß ich, Umsätze in einer Form tätigt, die zu einer höheren Steuerlast führt, wenn er auf anderem Wege dasselbe Ergebnis mit einer niedrigeren Steuerlast erreichen könnte.

    Heinemann: Heißt unterm Strich, dass ein nationaler Gesetzgeber da gar nicht so viel machen kann?

    Hölscher: Kann er nicht! Da haben Sie vollkommen Recht. Es geht noch einen Schritt weiter. Beispielsweise Sonderregelung bei der Umsatzbesteuerung, also Mehrwertsteuereinführung für Banken, ginge auf nationalem Wege gar nicht, weil das EU-weit einheitlich geregelt ist.

    Heinemann: Also diese fast alchemistische Formel der OECD, mehr Steuerbeamte gleich wesentlich höhere Einnahmen, stimmt so nicht ganz?

    Hölscher: Das stimmt aus zwei Gründen so nicht ganz. Der eine Grund ist, dass es natürlich extrem darauf ankommt, wo ich diese zusätzlichen Steuererheber oder Steuerumsetzer einsetze. Natürlich ist im Bereich der Großunternehmen in den Finanzämtern und in den Betriebsprüfungsabteilungen schon ein gewisses Volumen vorhanden. Ich weiß nicht, ob dort wirklich noch mehr Menschen, die die Steuern eintreiben, noch mehr Aufkommen erbringen in einer saloppen Formulierung.
    Das zweite ist, dass ich bei solchen Steuerverschärfungsandrohungen auch immer Sekundäreffekte habe. Wenn ich einem Unternehmen ankündige, dass bestimmte Tätigkeiten in der Zukunft stärker beobachtet, stärker reglementiert, vielleicht auch höher besteuert werden, dann überlegt sich das Unternehmen natürlich, ob es nicht andere Wege gibt, zum selben Effekt zu kommen.

    Heinemann: Wieso nutzen das vor allem Banken und nicht auch andere, Industriezweige?

    Hölscher: Das ist eine gute Frage. Ich denke, das liegt daran, dass Banken mit Kapital zu tun haben, also sehr stark kapitalorientiert sind, und für Kapital gilt ja dieser schöne Satz, das ist so scheu wie ein flüchtiges Reh. Das lässt sich sehr leicht transferieren von einem Staat in einen anderen. Wenn sie Finanzmittel haben, dann ist es in heutiger Zeit ein Knopfdruck und sie können dasselbe Geld zu denselben oder ähnlichen Konditionen in einem anderen Staat mit einem anderen Steuersystem anlegen. Das reicht natürlich nicht nur, das Geld zu transferieren; ich brauche auch eine gewisse rechtliche Struktur, die ich dahinter lege. Das ist aber alles im rechtlich legalen Bereich. Es ist natürlich viel schwieriger, ein sagen wir mal Produktionsunternehmen irgendwo – per Knopfdruck geht das schon gar nicht – von einem Land in ein anderes zu verfrachten, und bei einem Dienstleistungsunternehmen geht es bis auf, sagen wir mal, Electronic Kommerz Bereiche gar nicht, weil da muss ich vor Ort sein.

    Heinemann: Frau Hölscher, welches Steuersystem erschwert die Steuervermeidung, oder gar den Steuerbetrug?

    Hölscher: Wenn Sie die Frage ganz allgemein stellen, dann ist jede indirekte Art der Besteuerung, also jede Umsatzbesteuerung, sinnvoll. Wenn ich so etwas allerdings für die Finanzbranche einführen wollte, dann müsste ich es EU-weit machen. Damit hätte ich natürlich auch eine Reihe der weltweit bedeutenden Finanzstandorte abgedeckt. Ein nationaler Alleingang führt nur zu Nachteilen und hat in der Vergangenheit auch gezeigt, dass im Zweifel wie gesagt die Transaktionen an anderen Orten stattfinden. Dann geht der Handel eben an eine andere Börse, die keine Börsenumsatzsteuer oder Ähnliches hat.

    Heinemann: Was müsste sich im deutschen Steuersystem oder im deutschen Steuerrecht ändern, damit hier wenigstens zum Teil die Steuern gezahlt werden, die auch erwirtschaftet werden?

    Hölscher: Ein Aspekt, der dazu führen könnte, dass solche Steuern auch tatsächlich in die Staatskasse fließen, ist zu überlegen, inwieweit Möglichkeiten der Verlustverrechnung (ich habe letztes Jahr einen Verlust erzielt, dieses Jahr einen Gewinn erzielt, brauche dieses Jahr keine Steuern zu zahlen, weil der Verlust aus der Vergangenheit mit dem Gewinn in diesem Jahr verrechnet wird), ob solche Verlustverrechnungsmöglichkeiten gekoppelt werden an Staatshilfen, sozusagen solange du meine Staatshilfe in Anspruch nimmst, darfst du deine Verluste nicht verrechnen, sonst habe ich ja eine doppelte Begünstigung in der Verlustsituation. Das wäre aber auch etwas, das man sehr genau EU-weit prüfen und vermutlich mindestens EU-weit umsetzen sollte, sonst habe ich nämlich wiederum den Effekt, dass sich Bankgeschäfte, sagen wir mal wenn Deutschland das alleine macht, nicht lohnen und einfach ins Ausland verfrachtet werden.

    Heinemann: Ziemlich kompliziert das Ganze. Dankeschön trotzdem für die Erklärung. – In den "Informationen am Mittag" sprachen wir mit Luise Hölscher, Professorin für Accounting and Taxation (Rechnungswesen und Steuern) an der Frankfurt School of Finance and Management. Danke chön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Hölscher: Auf Wiederhören.