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"Ein notwendiger Krieg"

Hat der deutsche Kommandeur in Afghanistan seine Kompetenzen überschritten, als er befahl, die entführten Tanklaster bombardieren zu lassen? Karl-Heinz Kamp, Forschungsdirektor des NATO Defence Colleges Rom, meint nein.

Karl-Heinz Kamp im Gespräch mit Jasper Barenberg | 11.09.2009
    Jasper Barenberg: Am Telefon begrüße ich jetzt Karl-Heinz Kamp, den Forschungsdirektor des NATO Defence College in Rom. Einen schönen guten Morgen!

    Karl-Heinz Kamp: Ich grüße Sie! Guten Morgen.

    Barenberg: Herr Kamp, wir haben gerade noch mal gehört, welches Durcheinander da in der Informationspolitik herrscht, welche Ungereimtheiten es gibt. Welchen Reim machen Sie sich denn darauf?

    Kamp: Ich glaube, man muss sich einfach von der Illusion lösen, dass man da wirklich absolut klare Informationen jemals bekommen kann, wer zu welcher Minute was gemacht hat, was wusste und welche Entscheidung getroffen hat. Das funktioniert noch nicht mal im zivilen Bereich, viel weniger in einem Krieg. Überlegen Sie, dass wir heute in der Georgien-Krise zwischen Georgien und Russland noch nicht genau wissen, wer eigentlich genau was gemacht hat, obwohl es eine große europäische Untersuchungskommission gegeben hat. Das heißt, die Grundfrage ist: War das vertretbar, was der deutsche Oberst gemacht hat, ja oder nein, und da ist meine klare Antwort ja.

    Barenberg: Nun werden wir abwarten müssen, wir beide und auch alle anderen, wie die Ergebnisse der Untersuchungskommission ausfallen. In der Politik ist ja immer zu hören, das müsse jetzt erst einmal abgewartet werden. Wenn es denn so ist, dass man die Abläufe letztlich mit letzter Gewissheit gar nicht rekonstruieren kann, warum müssen wir warten?

    Kamp: Die Tatsache, dass sie es nicht wirklich bis in die letzte Minute haben können, sagt ja nicht, dass man die Grundfrage untersuchen soll. Ich glaube, was wir jetzt sehen: es rächt sich einfach, dass wir in vielen NATO-Ländern, auch in Deutschland immer die Illusion erzeugt haben, als wäre Afghanistan eine reine Friedensoperation, da passiert nicht allzu viel. Das ist einfach falsch. In Afghanistan passiert ein Krieg, wie wir finden ein notwendiger mit all seinen Grausamkeiten, mit allen Fehlern, die es dort gibt, die man sicherlich versucht, nach Menschen möglichem zu vermeiden, aber es geht halt nicht immer. Nachts um halb zwei einen Tanklaster der Taliban anzugreifen, ist nun wirklich etwas anderes, als eine Hochzeitsgesellschaft zu erschießen, wie es ja auch vorgekommen ist.

    Barenberg: Nun gibt es diese widersprüchlichen Informationen. Nach Einschätzung eines NATO-Offiziers, ich habe es erwähnt, gibt es einen Konflikt oder gibt es die Schuld des deutschen Kommandeurs, der diesen Einsatz nicht hätte befehlen dürfen, er habe seine Kompetenzen überschritten, das wird dann gleich wieder dementiert. Gibt es da einen Konflikt, der möglicherweise von Seiten der NATO auch bewusst gesucht wird, mit dem Bundesverteidigungsminister, mit der Bundesregierung?

    Kamp: Ich glaube, zu sagen, die NATO sucht einen Konflikt, unterstellt, dass sie eine homogene Organisation haben, die auf welches Geheiß auch immer das und das macht. Die NATO sind 28 Mitgliedsstaaten, wo sie ganz unterschiedliche Personen haben. Es sind letztendlich Menschen, die das machen, und da gibt es halt den einen oder anderen, der sich aus irgendwelchen Gründen profilieren möchte oder nicht. Also zu glauben, dass es da nun so eine große koordinierte Aktion gibt gegen irgendwen, kann ich mir schwer vorstellen. Ich kann die Motive derer, die das kritisieren, nicht nachvollziehen, weil sie untergraben letztendlich die Handlungsfähigkeit, weil ja kein Militär mehr irgendetwas befehlen wird, wo er befürchten muss, dass er danach an den Pranger gestellt wird, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Dann fragt man sich, was soll man da eigentlich noch.

    Barenberg: Was wir jetzt aber an Veröffentlichungen und an Hin und Her erleben, wirft das nicht ein schlechtes Licht auf den Umgang gerade der Verbündeten miteinander in diesem Bündnis?

    Kamp: Die NATO ist ja nicht gerade unbekannt dafür, dass es da häufig Streitigkeiten untereinander gibt. Mich wundert einfach, dass diejenigen, die lange die Deutschen immer kritisiert haben, viel zu wenig zu tun, nun, wenn Deutschland sich Schritt für Schritt in eine gewisse Normalität entwickelt, Normalität im sicherheitspolitischen Handeln, das nun schlagartig kritisieren. Ich fand von Anfang an die Position des amerikanischen Generals, der jenseits von gut und böse agiert hat, nicht vertretbar und ich fand, was die Kanzlerin gesagt hat war sehr klar und deutlich, das kann man sich verbitten. Dieser Herr ist kein Politiker.

    Barenberg: Hat er denn nur persönlich sozusagen gehandelt, oder steckt doch mehr dahinter? Mit anderen Worten: Will die NATO hier ein Exempel statuieren? Es geht ja auch um die neue Sicherheitsdoktrin und die neue Strategie im Kampf gegen die Taliban. Soll da ganz klar gemacht werden, dass diese Strategie jetzt gilt, dass die neuen Einsatzregeln jetzt gelten und dass alle Verstöße geahndet werden?

    Kamp: Ich meine, die neuen Einsatzregeln heißen ja nicht, dass man nichts mehr tun soll. Die heißen ja nur, dass wenn man im Zweifel ist, halt eben zu viele unschuldige Zivilisten zu töten, lieber nicht zu handeln, und das ist eine sehr vernünftige, auch eine menschlich nachvollziehbare Strategie. Das heißt aber nicht, dass man überhaupt nichts mehr militärisch macht. Ich glaube nicht, dass die NATO als ganzes irgendwas entscheidet. Es sind halt einzelne Personen. McChrystal hat da vermutlich überreagiert. Er gilt als sehr ehrgeizige Person. Wie gesagt, eine große Verschwörungstheorie von 27 gegen einen kann ich mir schwer vorstellen. So was funktioniert in diesem Bündnis auch meistens nicht.

    Barenberg: Nun gibt es einige, die schon die Befürchtung äußern, Vorfälle wie dieser oder dieser Vorfall ganz besonders könnte zur Folge haben, dass die NATO-Mitglieder auseinanderdividiert werden und dass das genau die Strategie der Taliban sein könnte, hier einen Keil zwischen die Verbündeten zu treiben. Sehen Sie diese Gefahr?

    Kamp: Diese Gefahr ist natürlich immer da, aber sie ist ein bisschen selbst verschuldet, weil wie gesagt: es hat jetzt ein Vater eines getöteten Soldaten bei der Eröffnung eines Denkmals für die getöteten Soldaten der Bundeswehr sinngemäß gesagt, wir Angehörige vertragen mehr Wahrheit von der Politik. Ich glaube, das ist genau der Punkt. Sie müssen den Leuten in den NATO-Staaten sagen, was in Afghanistan geschieht, warum es richtig und notwendig ist, was dort geschieht, und dann haben wir nicht jedes Mal die völlig aufgeregten Reaktionen, wenn jemand sagt, oh, da ist es ja wirklich grausam und es kommen halt eben Menschen zu Tode. Das ist genau das Grundproblem, dass wir zu lange verschwiegen haben, was ein militärischer Konflikt wirklich bedeutet.

    Barenberg: Und jetzt rächt es sich auch insofern, als eine große Nervosität zu spüren ist im Umgang mit genau Vorfällen dieser Art?

    Kamp: Es wird ja mehrere dieser Vorfälle geben. Es ist ja nicht so, dass dies halt eben ein Einzelfall ist. Die Lage in Afghanistan wird schwieriger. Das heißt ja nicht, dass man keine Erfolge erzielt; die erzielt man ja sehr wohl. Es ist ja nicht so, dass man auf einem absteigenden Ast ist. Aber man muss den Leuten sagen, um diese Erfolge, um das letztendliche Ziel zu erreichen, ein stabileres Afghanistan als vorher um unserer eigenen Sicherheit willen, müssen wir Risiken und Gefahren eingehen und das machen unsere Soldaten und die haben alles Recht darauf, dass man hinter ihnen steht.

    Barenberg: Karl-Heinz Kamp, der Forschungsdirektor des NATO Defence College in Rom. Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Kamp.

    Kamp: Sehr gerne!