Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Ein Paket für den Klimaschutz
Industrienationen unter Druck

Diese Woche soll das "Klimapaket" durch den Bundestag gehen. Doch auch die Koalition weiß: So wird das Pariser Klimaabkommen nicht erfüllt. Hat Deutschland, haben die Industrienationen die richtigen Antworten auf die Herausforderung Klimakrise?

Moderation: Michael Köhler, Deutschlandfunk | 13.11.2019
Fotomontage aus einer Tankanzeige in einem Auto mit CO2-Anzeige und Eurozeichen
Reichen die Maßnahmen der Bundesregierung gegen die Klimakrise? (Imago Images)
Große Schritte seien gefordert: "Es steht fest, wir müssen unsere Lebensweise ganz stark ändern", erklärte die Publizistin Hilal Sezgin zu Auftakt der Diskussion über die Frage, ob die demokratischen Industrienationen auf den Klimawandel reagieren könnten. "Natürlich schlägt sich das beim Einzelnen auch als Verzicht nieder." Es sei "kindisch", das nicht zu benennen.
Tatsächlich sei mehr gefragt, als eine kollektive Willensbildung zur Verhaltensänderung, sagte der Münchner Soziologe Armin Nassehi. "Der Wille, etwas zu ändern, ist noch nicht identisch damit, es zu tun."
Nassehi hob darauf ab, dass der "Alarmismus", der vielen Klimaaktivisten vorgeworfen wird, eine wichtige Funktion habe: Wenn die Instanzen der Gesellschaft nicht in der Lage seien zu reagieren, brauche es eben andere Kräfte, um "Trägheiten" zu bekämpfen.
Die AfD, die nun in die Klimadebatte eingestiegen sei, interessiere sich überhaupt nicht für das Klima – und auch nicht für die Menschen, die vielleicht in höherem Maße auf klimaschädliche Alltagspraktiken angewiesen seien als Diskutanten aus einem urbanen, akademischen Milieu: "Die AfD hat eigentlich nur Interesse an Elitenkritik, ganz egal, worum es geht." Die Debatte diene ihr lediglich dazu, ihre einfache Beschreibung der Gesellschaft als aufgespalten zwischen abgehobenen Eliten und normalem Volk fortzuschreiben.
"Wie schaffen wir es, dass die Demokratie nachhaltig wird?"
Die Politologin Franziska Martinsen wies darauf hin, dass der Wunsch bestehe, einfache Beschreibungen von Gesellschaft zu liefern. Doch sei die vermeintlich zu bekämpfende Unübersichtlichkeit auch "ein Synonym für Pluralismus - und der muss gar kein Problem darstellen".
Sie höre oft, dass jeglicher Klimaschutz mit "Ökodiktatur" gleichgesetzt werde, erklärte Martinsen. Die Frage laute daher: "Wie schaffen wir es, dass die Demokratie nachhaltig wird?" Es gehe nicht nur um ökologische Nachhaltigkeit, sondern um die demokratischen Verfahren: dass die Leute "sich nicht sofort angegriffen fühlen", wenn Verhaltensänderungen gefordert seien.
Armin Nassehi sagte: Die "große politische Kunst, die wir wirklich brauchen", sei, Alltagspraktiken zu schaffen, die "lebbar" seien. Entscheidend für den notwendigen Wandel etwa im Verkehr sei, "Strukturen zu schaffen, in denen es sich gar nicht lohnt, in einem SUV zu sitzen".
Es gibt nicht den einen Weg zur Klimarettung
Ein Klimapaket, wie es diese Woche durch den Bundestag gehen solle, müsse viel stärker an solchen Strukturen ansetzen. Echte Verhaltensänderungen seien nur möglich, wenn man Leute dazu bringe, dass sie das, was sie tun sollen, auch wollen können." Das sei nur in liberalen Demokratien möglich.
Martinsen brach eine Lanze für die bisweilen belächelte Zukunftsforschung, in der Projekte für klimaschonendes Leben und "charismatische Ideen" entstünden – und aus den Bildungsinstitutionen in die Gesellschaft getragen würden. Es gebe nicht den einen Schlüssel, nicht den einen Königsweg zur Klimarettung, sagte Sezgin, sondern "mehrere Türen". Vielleicht sei künftig nicht mehr der regulierende Staat der wichtigste Akteur, sondern die Städte und Regionen, sagte Nassehi – "und der Staat, den wir heute brauchen, ist vielleicht weniger ein regulierender, sondern ein moderierender Staat, der solche Dinge stark macht."
Unter der Leitung von Michael Köhler diskutierten:
  • Franziska Martinsen, Politikwissenschaftlerin an der Universität Hannover
  • Armin Nassehi, Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität
  • Hilal Sezgin, Publizistin