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Ein Politiker zum Anfassen

Umfragetief, das Gezerre um Guido Westerwelle und die Eurokrise. FDP-Chef Philipp Rösler hat derzeit alle Hände voll zu tun. Dennoch kommt er nach Wolfenbüttel, um seinen Wählerinnen und Wählern vor der Kommunalwahl Rede und Antwort zu stehen - und das ganz ohne "Berührungsängste".

Von Susanne Schrammar |
    "Warte, mit FDP-Ballon drauf? Jo! Noch mal eins zur Sicherheit?" - "Ja!" - "Super!" - "Dankeschön, bitteschön."

    Beherzt haben die beiden Damen mittleren Alters den schmalen jungen Mann in ihre Mitte genommen. Als der Fotoapparat gezückt wird, wehrt der sich nicht, sondern drückt die Frauen an sich, scherzt und freut sich wie ein kleiner Junge, der gerade eine Tafel Schokolade geschenkt bekommen hat.

    Keine fünf Minuten ist es her, dass Philipp Rösler aus seiner dunklen Dienstlimousine gestiegen ist, und schon geht der Mann, der in Berlin Vizekanzler ist, fast unter in der kleinen Menge der Menschen, die an diesem Tag in das mit gelben Ballons geschmückte Lokal am See in Wolfenbüttel geströmt sind. Der FDP-Bundesvorsitzende ist gekommen, um die örtlichen Kandidaten im Kommunalwahlkampf in Niedersachsen zu unterstützen. Doch zunächst wird geknuddelt und geherzt. Berührungsängste? Null. Und das kommt gut an, vor allem bei den Damen.

    "Er ist sehr sympathisch, hat immer ne Antwort parat, er ist sehr natürlich geblieben." - "Er ist ein sehr konkreter, ein sehr sympathischer Politiker, der auch immer ehrliche und klare Antworten findet." - "Das ist ein sehr, sehr lieber Mensch." - "Naja, er ist halt sehr menschennah, sehr sympathisch, sehr charmant, und ich denke, das kommt an. Nichtsdestotrotz hat er natürlich eine schwere Aufgabe vor sich."

    Ach ja, da war ja noch was: verheerende Wahlprognosen, das Gezerre um Guido Westerwelle und die Irrungen und Wirrungen der Eurokrise. Rösler lässt sich die schwere Last auf seinen zarten Schultern nicht anmerken, doch darüber reden will er auch nicht, als ein Fernsehteam ihn auf den Außenminister und die Libyen-Debatte anspricht.

    "Das machen wir heute nicht. Wir machen heute Kommunalwahl, wir sind heute in Wolfenbüttel, und da soll es auch um Wolfenbüttel und die Kommunalwahl in Niedersachsen gehen."

    Dabei spielen Bundesthemen auch am Wahlstand in Wolfenbüttel eine große Rolle, erzählt Rudolf Ordon, groß, grauhaarig und FDP-Kandidat für den Stadtrat. Die Libyenpolitik Westerwelles zum Beispiel, erzählt der Gymnasialdirektor, bekämen die örtlichen Liberalen von den Menschen in der Fußgängerzone immer wieder vorgehalten. Das trübe die Stimmung. Seinem neuen Parteichef traut Ordon dagegen zu, die FDP aus dem Tief herauszuholen. Doch dafür brauche Rösler den Mut eines echten Neubeginns – ohne Westerwelle.

    "Solange Guido Westerwelle in der Öffentlichkeit noch präsent ist, wird es ihm vermutlich wenig gelingen, das heißt, meiner Ansicht nach müsste eigentlich die FDP sich mit einem etwas anderen Team präsentieren, das heißt auch konsequent, dass Guido Westerwelle als Außenminister zurücktreten müsste."

    "Mich interessiert, ob es inzwischen jetzt eigentlich Vorkehrungen gibt, dass, wenn ne Bank pleitegeht, dass die Bank dieses Risiko irgendwie selber regeln muss."

    Jetzt ist der Wirtschaftsminister gefragt. Philipp Rösler stellt sich geduldig den Fragen der Bürger. Was er von Steuererhöhungen für Millionäre halte, will ein junger Mann wissen. Nichts, antwortet der 38-Jährige, schließlich würden nicht nur Superreiche den deutschen Spitzensteuersatz zahlen, sondern auch viele Mittelständler und Handwerksmeister. Und dann schlägt Rösler über das Thema Steuern den Bogen zum Euro und einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung:

    "Nur zu sagen, wir brauchen jetzt eine gemeinsame Regierung, dann können wir eine gemeinsame Haftung haben, ich glaube, das wird auf Dauer nicht funktionieren."

    Ich blick da gar nicht mehr durch, sagt eine Frau leise, während Rösler von Rettungsschirmen, Ratingagenturen und Stabilitätsmechanismen spricht. Und obwohl sich der Minister wirklich Mühe gibt, das komplexe Thema bürgernah zu erklären, steht bei einigen ein Fragezeichen ins Gesicht geschrieben. Was viele jedoch verstanden haben: Wenn es um den Euro geht, dann fehlen Politikern offenbar auch die Patentrezepte.

    "Das ist für mich persönlich wie so ein Zickzackkurs, keine wirklich klare Linie erkennbar. FRAU: Einer will recht haben und der andere will auch wieder recht haben und keiner weiß so richtig, was los ist, ne." - "Also, ich hab Sorge, dass die Regierung das vielleicht nicht überlebt. Weil die Kanzlerin, meine ich, mal Hütt, mal Hott und nicht so ganz richtig weiß, was sie macht."

    Dass die Abstimmung über den Euro-Rettungsfonds Ende des Monats im Deutschen Bundestag eine Schicksalsentscheidung für die schwarz-gelbe Koalition werden könnte, das weiß auch Philipp Rösler. Wenn es in den Regierungsfraktionen wirklich so viele Abweichler gibt wie im Moment befürchtet, dann wird es eng für die Kanzlerin und ihren Stellvertreter. Doch der beschwört auch im Kommunalwahlkampf im Wolfenbüttel die Einigkeit der Parlamentarier.

    "Für uns ist doch eines klar, wir haben große Herausforderungen auf europäischer Ebene, und es ist unsere Aufgabe, diese Probleme zu lösen, und da sind gute Beschlüsse gefasst worden, das werden wir jetzt gemeinsam mit den Regierungsfraktionen CDU/CSU diskutieren, und zu Recht sagt das Parlament ja auch: Es wird keine wichtige Entscheidung ohne unsere Zustimmung geben, und das muss sich dann auch in den künftigen Regeln wiederfinden, aber weil die Argumente eben dafür sprechen, mache ich mir um die Mehrheiten keine Sorgen."

    Rudolf Orlon hingegen macht sich Sorgen. Denn in Niedersachsen müssen die Liberalen am 11. September um den Einzug in die Rathäuser fürchten. Ob der Oberstudiendirektor wieder einen Sitz im Stadtrat bekommt, hängt auch vom Trend der Bundes-FDP ab. Wie der sich auf längere Sicht entwickeln wird? Orlon ist zuversichtlich. Wegen Philipp Rösler.

    "Er kann begeistern, insofern setze ich auf ihn, und wir müssen einfach Geduld haben, und wir dürfen dann nicht, wenn die nächsten Wahlen schlecht ausgehen und die übernächsten Wahlen schlecht ausgehen, dann nach einem neuen Vorsitzenden suchen, sondern sagen: Ok, dann geht es die nächsten Jahre mit Philipp Rösler – sofern er denn will – auch durch. Und ich wäre bereit dazu."

    Zuhause in Niedersachsen lassen sie ihren Philipp Rösler nicht so schnell fallen. Selbst in den richtig harten Zeiten.