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"Ein relativ bisskräftiger Tiger"

Deutschland ist für die Pharmaindustrie bislang ein Paradies: Die Krankenkassen müssen zahlen, auch wenn Arzneien keinen besonderen Nutzen haben. Das soll ein neues Gesetz ändern, das die Hersteller zu einer Nutzenanalyse verpflichtet. Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, begrüßt diese Initiative weitestgehend.

Jürgen Windeler im Gespräch mit Jasper Barenberg | 11.11.2010
    Jasper Barenberg: Am Telefon ist jetzt Jürgen Windeler, der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz IQWiG. Einen schönen guten Morgen, Herr Windeler.

    Jürgen Windeler: Schönen guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Findet die Revolution statt? Diese Frage hat gerade unser Korrespondent aufgeworfen. Findet sie statt?

    Windeler: Ja, eine durchaus berechtigte Frage. Also ich würde mal das Gesetz so bewerten, dass die Grundsteine für diese Revolution gelegt worden sind. Die nächsten Bausteine, die man in einer Rechtsverordnung finden kann, gibt es auch schon. Ob es dann wirklich zur Revolution kommt, wird die Praxis zeigen, aber ich bin da durchaus zuversichtlich.

    Barenberg: Ein guter Ansatz also, aber noch nicht zu Ihrer Zufriedenheit jedenfalls umgesetzt?

    Windeler: Doch, weitestgehend zur Zufriedenheit derjenigen, die im IQWiG die Nutzenbewertung machen, derjenigen, die sich einer evidenzbasierten Medizin verpflichtet fühlen. Dass nicht alle Regelungen, alle Detailregelungen, die aus einem solchen demokratischen Diskussionsprozess kommen, die Zustimmung aller finden, ist völlig normal.

    Barenberg: Darauf können wir gleich noch im Detail eingehen. Zunächst einmal: Sie haben gesagt, evidenzbasierte Medizin. Was versteckt sich dahinter?

    Windeler: Dahinter versteckt sich ein Ansatz, der bei der Bewertung von Medikamenten, aber auch von allen anderen Anwendungen in der Medizin danach fragt, welche, nennen wir das mal, Indizienlage oder Beweislage es für diese Anwendung gibt. Diese Indizienlage gründet sich auf Studien, die internationale Wissenschaftler gemacht haben. Also bei einer Frage, die die evidenzbasierte Medizin versucht zu beantworten, sucht man überall in der Weltliteratur, sozusagen, in der wissenschaftlichen Weltliteratur nach allem, was es an Studien und guten Beweisen und guten Indizien gibt, trägt die zusammen und bewertet auf dieser Basis, ob ein Medikament oder eine Anwendung nutzbringend ist oder nicht.

    Barenberg: Und darum geht es im Kern, bringt ein neues Medikament wirklich mehr Nutzen? Das war offenbar bisher keine große Frage?

    Windeler: Es war schon eine Frage, aber es ist nicht so systematisch geprüft worden. Auch Arzneimittel sind bisher zum Beispiel im gemeinsamen Bundesausschuss vereinzelt bewertet worden, auch das IQWiG hat solche Bewertungen schon gemacht. Das Neue an dem Gesetz ist, dass jetzt alle neu zugelassenen Medikamente systematisch einer solchen frühen Nutzenbewertung unterzogen werden, und das ist dieser systematische Ansatz, wo man auch sagen muss, dass er bisher in zwei schon lange zurückliegenden Versuchen, eine Positivliste für Medikamente in Deutschland zu etablieren, nicht erfolgreich war. Dieser systematische Ansatz, der jetzt erneut versucht wird, ist schon etwas Neues und, wenn man so will, etwas, na ja, einer Revolution nahe Kommendes jedenfalls.

    Barenberg: Und wird sich denn das Versprechen dann auch erfüllen, dass Milliarden an Kosten dadurch gespart werden?

    Windeler: Das IQWiG ist nicht für Preise und für Kosten prioritär zuständig, sondern für die Nutzenbewertung, für die Qualitätsbewertung (auch für die Wirtschaftlichkeit). Wenn man für Medikamente, deren Zusatznutzen man als nicht belegt feststellt, die Preise deutlich senken kann, wenn man für andere Medikamente, wo es durchaus einen Zusatznutzen gibt, ebenfalls in Verhandlungen die Preisvorstellungen der Hersteller reduziert, also insgesamt bei neuen Medikamenten zu einem niedrigeren Preisniveau kommt, dann wird das auch zu Kosteneinsparungen führen.

    Barenberg: Werden Sie denn auch alle bisher schon zugelassenen Medikamente auf den Prüfstand stellen können?

    Windeler: Da wäre ich auch etwas optimistischer, als der Beitrag das gerade gezeigt hat. Der gemeinsame Bundesausschuss hat die Möglichkeit und hat dort relativ breiten Spielraum, auch bestehende Medikamente, sogenannte Bestandsarzneimittel, auf den Prüfstand zu stellen wie bisher auch, wenn er das für erforderlich hält. Und ich bin auch sicher, dass er von dieser Gelegenheit Gebrauch machen wird.

    Barenberg: Ist es richtig, dass es die Politik sein wird, die die Kriterien für den zusätzlichen Nutzen festlegen soll, und nicht Fachleute beispielsweise von Ihnen im IQWiG?

    Windeler: Es ist richtig, dass in einer Rechtsverordnung, die im Moment gerade in der Diskussion ist, Eckpunkte dieser Nutzenbewertung festgelegt werden, allerdings nicht sehr weitreichende Detailkriterien. Es bleibt demnach die Ausgestaltung dieser Detailkriterien, die Ausgestaltung dieser konkreten Bewertungskriterien dem gemeinsamen Bundesausschuss und in der Kombination sicherlich auch dem IQWiG vorbehalten und bleibt ihm auch übertragen. Das macht auch so Sinn, denn speziell das Institut ist natürlich in der Lage, aufgrund der wissenschaftlichen Bewertungskriterien diese Bewertungen vorzunehmen und demnach auch die wissenschaftlichen Bewertungskriterien festzulegen.

    Barenberg: Es hat ja verschiedene Seiten gegeben, die versucht haben, dieses Gesetz noch in den Verhandlungen jetzt mit Blick auf den Bundestag zu verändern, die Pharmaindustrie einerseits, die Unionsfraktion und die FDP im Bundestag andererseits. Ist es diesen Parteien gelungen, dem Gesetz den Zahn zu ziehen?

    Windeler: Nein, das ist den Parteien sicher nicht gelungen, weil der grundsätzliche Ansatz, eine systematische Nutzenbewertung, nicht infrage gestellt worden ist, Gott sei Dank nicht infrage gestellt worden ist. Es ist den Parteien gelungen, oder besser gesagt, es ist im Ergebnis zu einigen Änderungen im Gesetz gekommen, die man begrüßen kann, die man inhaltlich kritisieren kann. Ich kritisiere und habe das auch vielfach getan die Ausnahmeregelung für sogenannte Orphan Drugs, also Arzneimittel für seltene Erkrankungen. Man muss aber auch sehen, dass dieses Ergebnis dieses Gesetzes jetzt das normale Ergebnis eines politischen Meinungsbildungs- und Diskussionsprozesses ist. Ich bin sicher, dass das weiterhin in dieser Ausgestaltung jetzt ein relativ zahnbehafteter, ein relativ bisskräftiger Tiger bleiben wird.

    Barenberg: Zum Schluss noch eine Frage zum IQWiG selbst. Es soll ja eine wichtige Rolle spielen, alle Nutzenanalysen von Medikamenten sollen anerkannt werden, sagt der Minister. Haben Sie dafür denn genug Personal und genug Geld?

    Windeler: Zunächst mal ist ja erfreulich zu hören, dass sich so die Einschätzung, die man vor Kurzem hören konnte, das IQWiG würde entmachtet, inzwischen doch wieder geändert hat. Ich sehe das IQWiG durch diese neue Aufgabe und durch dieses Gesetz sehr gestärkt. Wir haben eine zusätzliche Aufgabe und für diese zusätzliche Aufgabe hatte das IQWiG nicht genug Personal. Wir suchen kompetentes Fachpersonal und sind auch schon dabei, uns für diese Aufgabe personenmäßig gut zu rüsten.

    Barenberg: ..., sagt Jürgen Windeler, der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Danke, Herr Windeler, für das Gespräch.

    Windeler: Vielen Dank.