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"Ein Risiko für die SPD"

In getrennten Kongressen haben PDS und WASG am Wochenende den Weg für eine Fusion freigemacht. Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Gero Neugebauer könnte der Zusammenschluss ein Risiko für die Sozialdemokraten darstellen. Bereits bei der Bundestagswahl 2005 habe die SPD eine erhebliche Anzahl an Wählerstimmen an die Linkspartei verloren, sagte Neugebauer.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Herr Neugebauer, zunächst mal würde mich interessieren, welche Art des demokratischen Sozialismus können Sie sich denn vorstellen in Deutschland, sollte die linke Partei ihre Ziele umsetzen können?

    Gero Neugebauer: Wenn man nach den Eckpunkten geht, dann haben wir es mit einem demokratischen Sozialismus zu tun, der sich dadurch auszeichnet, dass Schlüsselbereiche der Wirtschaft in Gemeineigentum sind, wobei schon Schlüsselbereiche nicht mal definiert ist und wo dann, wie man bei dem Beitrag von Lafontaine hörte, eine Politik gemacht wird, die friedlich ist, die Natur schützt und ähnliches mehr. Das Problem ist nur: Demokratischer Sozialismus ist eine Formel, die ist eingebaut worden 1951 bei der Sozialistischen Internationale ins Programm, und im Programm der PDS steht es drin als Einheit von Weg, Ziel und Werten, und man kann es ausfüllen, womit man will. Das ist sehr unterschiedlich. Insofern ist es kein konkretes Angebot, unter dem man sich wirklich was vorstellen kann.

    Klein: Ich möchte gern noch auf ein Zitat von Oskar Lafontaine eingehen, das wir auch gerade im Beitrag gehört haben: Er fordert eine demokratische Erneuerung, denn dieses Land, die Bundesrepublik Deutschland, sei nicht mehr demokratisch. Begründung: Zwei Drittel der Volksvertreter würden gegen zwei Drittel des Volkes regieren. Eine Polemik gegen immerhin gewählte Volksvertreter im Bundestag. Hat sich Lafontaine da als gnadenloser Populist einmal mehr erwiesen, oder wie sollen wir das sehen?

    Neugebauer: Auf der einen Seite steht das in der Tat in der Quantität von Sprüchen wie von Schweinebande oder Tinnef, was die da im Bundestag machen…

    Klein: Quasselbude hatten wir ja auch schon mal, nicht?

    Neugebauer: …ja, ja, und die Aussage im Wahlkampf in Chemnitz seinerzeit, als er den Staat aufforderte, die Arbeitsplätze deutscher Frauen und Männer vor Ausländern zu schützen. Das ist blanker Populismus. Zum anderen muss man fragen, wenn es wieder demokratisch werden soll, ob wir denn das, was er meint, nämlich Volksabstimmung und Ähnliches schon mal gehabt hätten. Es spricht so einen Stil an, den Lafontaine pflegt. Es ist die Frage, wenn die Mehrheit des Volkes auf einmal für Todesstrafe ist, ob er dann auch für die Todesstrafe plädieren würde. Es ist Populismus. Und auf der anderen Seite ist es auch so ein, wenn man so will, Bedürfnis, in dieser Partei mit starken Worten auftreten zu können, um sie zu erwecken. Ganz konkrete Angebote jetzt, das sind die Punkte, die wir in nächster Zeit machen, hat er ja nicht gemacht. Er muss nur motivieren. Er muss sich selbst auch an die Spitze setzen können. Er muss Bedenken gegen sich überwinden, und insofern ist das schon ein ganzes Paket von, sagen wir mal, populistischen Sprüchen, die er da losgelassen hat. Aber Unschärfe ist das Günstigste, was er bieten kann. Da kann er am wenigsten kritisiert werden.

    Klein: Es würde vermutlich zu der Fusion kommen bei einem Vereinigungsparteitag im Juni. Welche Erfolgsaussichten wird diese linke Partei aus Ihrer Sicht im Wählerspektrum haben?

    Neugebauer: Also man muss einmal sehen, das ist eine Transformation, die ist für die PDS sehr viel problematischer als die WASG. Die PDS hat eine gewachsene Identität als Ostpartei, und deren Problem war es ja, dass sie im Westen nie ein Angebot an Personen und Politik machen konnte, das angenommen worden ist. Umgekehrt gilt für die WASG: Für sie ist der Osten ein unbekanntes Terrain. Und insofern stellen beide zur Zeit so eine politische Bedarfsgemeinschaft dar. Das haben sie bei den Wahlen 2005 auch demonstriert.

    Erst wenn diese Transformation so glaubhaft geworden ist, dass das Politikangebot, dass das Personalangebot im Westen vor allen Dingen positiv aufgenommen wird und dass auch Nachfrage beim Wähler entsteht, also dann kann man sagen, wird diese Partei Erfolg haben. Vorher, denke ich, ist es sehr problematisch, und die Umfrageergebnisse zeigen ja auch, dass sie immer zwischen dem Sechser- und Achterbereich rumpendelt. Aber Bedarf ist schon da, dass man sagen kann, das politische Spektrum in der Bundesrepublik ist weit genug, so dass da auch eine Partei links von der SPD durchaus existieren könnte. Nur: Ob es die Partei ist mit diesen alten Personen und mit diesen Identitäten, das wird die Frage sein.

    Klein: Wird es denn eine Art von Gefahr für die SPD werden, diese Linkspartei, die sich da vereinigen möchte?

    Neugebauer: Die SPD hat bei der Bundestagswahl 2005 schon erhebliche Wähler an diese Partei verloren. Auch wenn man sagen muss, manches, was da tönt, ist nicht zeitgemäß, so ist es doch für bestimmte Wählergruppen immer noch nicht unattraktiv. Insofern sind es wohl weniger die gegenwärtigen Wähler der SPD, die da interessiert sein könnten, sondern die, die früher SPD gewählt und die die SPD in der Zwischenzeit ja noch nicht zurückholen konnte. Also es ist schon ein Risiko für die SPD, es hat sich ja auch schon bei den Bundestagswahlen gezeigt, aber ob es tatsächlich auch ein Risiko wird, das werden wirklich die nächsten Wahlen zeigen.

    Klein: Aber welche Strategie folgt daraus jetzt für die Sozialdemokraten, wenn die sich überlegen, wie sie an der Macht bleiben können. Also die Antwort darauf, eher darin zusehen, wieder etwas mehr "links" zu rücken, was bei der Großen Koalition wahrscheinlich nicht richtig möglich sein wird, oder sich eben gerade von dieser Linkspartei abzugrenzen?

    Neugebauer: Sie werden sich von der Linkspartei dadurch abgrenzen, dass sie versuchen zu demonstrieren, die Linkspartei wird für ihre Programme keine Mehrheiten finden, und Mehrheiten braucht man, um in Regierungsverantwortung zu kommen, und Regierungsverantwortung muss man haben, um Politik durchsetzen zu können. Das ist der eine Punkt, aber der andere wird der inhaltliche sein. In der Tat ist die Sozialdemokratie immer noch im Ansehen der Wähler die Partei, die soziale Gerechtigkeit repräsentiert, und wenn die Linkspartei, die Linke, wie sie demnächst heißen soll, wenn sie es schafft, diesen Wert für sich zu reklamieren und zu sagen, wir machen die Politik, dann entsteht schon ein Risiko, wenn die Sozialdemokratie weiter einen Reformkurs fährt, der teilweise nicht vermittelbar ist, teilweise von ihren traditionellen Werten abrückt und teilweise eben auch sozusagen, um jetzt die populistische Seite wieder aufzugreifen, Befürchtungen bei Wählern stimmt, die SPD würde weiter in dem Kontext nach rechts rücken, sich weniger um die Belange vor allen Dingen des unteren Drittels der Gesellschaft kümmern und damit dann auch für viele Wähler nicht mehr die Partei sein, die ihre Interessen bedient. Und insofern, denke ich, ist immer ein Risiko da für die Sozialdemokratie, wenn links von ihr eine Partei auftaucht, aber es kommt darauf an, wie konkret sie dann Politik macht und Personen anbietet und auch Kompetenzen nachweisen kann.

    Klein: Und auf der anderen Seite ist ja Rot-Rot in einigen Ländern in der Regierungsverantwortung und zeigt eben dort auch, dass viele der gemachten Versprechen an die Wähler eben nicht eingelöst werden.

    Neugebauer: Richtig. Dort, wo sie an der Macht ist, wo sie daran beteiligt ist, ist sie sehr pragmatisch und sehr zweckorientiert in ihrer Politik, und der ganze revolutionäre Attentismus oder diese verbale Rhetorik, die so kämpferisch klingt, verschwindet hinter den Tagesgeschäften der Politik.

    Klein: Vielen Dank für das Gespräch.