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"Ein Schamane seiner selbst"

Die königlich spanische Akademie der Künste verweigerte ihm die Aufnahme. Doch jetzt, 60 Jahre nach Erscheinen seines ersten Buchs, erhält der Lyriker José Manuel Caballero Bonald die wichtigste Auszeichnung für spanischsprachige Literatur - den Cervantes-Preis.

Paul Ingendaay im Gespräch mit Kathrin Hondl | 29.11.2012
    Kathrin Hondl: Der Cervantes-Preis, der bedeutendste Literaturpreis der spanischsprachigen Welt, er geht dieses Jahr an den spanischen Schriftsteller José Manuel Caballero Bonald. Das hat Spaniens Kulturminister José Ignacio heute Nachmittag bekannt gegeben. Der 86-jährige Autor habe mit seinem Gesamtwerk zur Bereicherung des spanischen Literaturerbes beigetragen, heißt es in der Begründung der Jury – was nun allerdings leider kein sehr vielsagender oder aufschlussreicher Juryspruch ist, zumal José Manuel Caballero Bonald international - jedenfalls hier in Deutschland - kaum bekannt ist. Aber das wollen wir jetzt ändern. Am Telefon ist Paul Ingendaay, Kulturkorrespondent der FAZ in Madrid. Bitte klären Sie uns auf, Herr Ingendaay: Wer ist José Manuel Caballero Bonald, der Cervantes-Preisträger des Jahres 2012? Und womit hat er das spanische Literaturerbe so preiswürdig bereichert?

    Paul Ingendaay: Guten Tag, Frau Hondl. – Wenn Sie ihn erlebten, wenn Sie ihn auch mal im Fernsehen sähen, würden Sie ihn sofort mögen: 86 Jahre alt, ein Schamane seiner selbst, wie er genannt wurde, ein guter Dichter, der aus der Generation der 50er-Jahre ist. Die sind in Deutschland wenig bekannt geworden, weil sie in der dunklen Nach-Bürgerkriegszeit gelebt haben, geschrieben haben und unter Franco sich ducken mussten und ihre Lyrik irgendwie voran brachten zwischen Melancholie und leisem Protest. Das ist er auch, ein sehr anständiger Mann, ein Flamencologe, also Andalusier, aus dem Süden, und ein Mann, der 60 Jahre lang Lyrik geschrieben hat, die schön ist, melancholisch, präzise und wirklich noch nie ins Deutsche übersetzt wurde.

    Hondl: Wie erklären Sie sich das, dass er außerhalb der spanischsprachigen Welt so wenig bekannt ist. Ist er schwierig zu übersetzen?

    Ingendaay: Er ist eigentlich nicht schwierig zu übersetzen. Ich glaube sogar, es ließe sich machen. Aber Sie und ich lesen wahrscheinlich nicht jeden Tag Lyrik. Das wollen wir nicht vertiefen. Das zweite ist natürlich, dass in der Generation, als diese Leute gut wurden, 50er-, 60er-Jahre, wenig von Spanien nach Deutschland drang und das Interesse umgekehrt von Deutschland auch nicht wahnsinnig groß war. Denn wer war denn dort geblieben? Leute, die sich angepasst hatten, oder vielleicht doch Leute, die anständig geblieben waren - es war so ein Zwischenzustand. Er ist anständig geblieben, war sogar im Gefängnis in der Franco-Zeit, hat auch gegen Franco protestiert, aber wollte aus Spanien nicht dauerhaft raus, ist lange in Kuba gewesen, lange in Kolumbien, wo er unterrichtete, und wirklich ein würdiger Preisträger und er hat den bei uns viel bekannteren Juan Goytisolo vom ersten Platz verdrängt, denn der hat den Cervantes-Preis immer noch nicht bekommen.

    Hondl: Vor sechs Jahrzehnten, also vor 60 Jahren, haben Sie gesagt, hat er seinen ersten Gedichtband veröffentlicht, und sechs Jahrzehnte, das ist ja eine wirklich lange Karriere. Inwiefern hat er denn die spanische Literatur und Lyrik auch geprägt?

    Ingendaay: Er hat sie geprägt, wenn man darunter versteht, dass in Spanien auch Autoren leben, die sehr nach innen wirken. Es gibt Leute, die wurden nie übersetzt, sind aber hier sehr bekannte Namen. Das ist diese, wenn man so will, Nabelschau, die die spanische Literatur auch kennt. Und die lyrische Prägung ist ja ohnehin eine, die in einem kleineren Zirkel stattfindet. Da hatte er wirklich einen sehr guten Namen, hoch geachtet. Leider kam er auch in die Presse, einige Male ohne eigene Schuld, weil die königlich spanische Akademie ihn dann doch nicht aufnehmen wollte, und beim letzten Versuch fehlte ihm eine Stimme. Das war geradezu beschämend für uns, die wir das von außen betrachten mussten, dass dieser würdige Mann, kluge Mann wieder einmal von dem feinen Haus der Akademie abgelehnt wurde, und das wird auch jetzt nicht mehr geschehen.

    Hondl: Jetzt ist er der ausgezeichnete Außenseiter. Sein letztes Buch ist ja erst Anfang des Jahres erschienen: "Entreguerras" heißt das und ist, so informiert uns jetzt auf jeden Fall die die Deutsche Presseagentur, ein autobiografisches Gedicht, das aus fast 3000 Versen besteht. Das hört sich beeindruckend an – ist es das auch?

    Ingendaay: Ja ich kenne wirklich nicht jeden - ich habe wirklich darin gelesen. "Entreguerras" – zwischen den Kriegen – ist natürlich metaphorisch nicht nur zwischen realen Kriegen, die er übrigens auch immer kritisch begleitet hat, sondern auch das Leben selber ist ja ein Zwischenkriegszustand für ihn, es ist ein Kampf. Und es ist noch einmal ein großes autobiografisches Poemchen, ist eine unglaublich mutige Form und es findet sogar ein überschaubares, aber immerhin ein Publikum hier in Spanien, und ich sympathisiere sehr mit diesem Autor wie auch seinen Gesinnungsgenossen der 50er-, 60er-Jahre, die gute Lyriker waren, aber nie so weit nach außen gedrungen sind wie andere Autoren oder eben unsere Romanautoren, die deutlich populärer sind.

    Hondl: Also Sie haben es schon gesagt: ein würdiger Preisträger für den Premio Cervantes. – Vielen Dank, Paul Ingendaay, Kulturkorrespondent der FAZ in Madrid, über den spanischen Schriftsteller José Manuel Caballero Bonald, den frisch gekürten Träger des Cervantes-Preises, des wichtigsten Literaturpreises der spanischsprachigen Welt.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.