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"Ein schwieriger Punkt ist die Glaubwürdigkeit"

Die Journalistin und Autorin, Margaret Heckel, glaubt, dass fehlende Erklärungen der Kanzlerin zu veränderten Positionen ein "definitives Manko" seien. Dennoch unterstreicht sie, dass Angela Merkel ihre Haltungen nicht aus machttaktischen, sondern sachlichen Gründen ändere.

Margaret Heckel im Gespräch mit Jasper Barenberg | 22.11.2010
    Jasper Barenberg: Über Wandlungen der Angela Merkel an der Macht wollen wir jetzt mit der Journalistin und Autorin Margaret Heckel sprechen. Im letzten Jahr hat sie eine Reportage mit dem Titel "So regiert die Kanzlerin" veröffentlicht. Dafür ist sie nah herangekommen an Angela Merkel, sie hat sie an vielen Arbeitstagen begleiten können. Einen schönen guten Morgen, Frau Heckel.

    Margaret Heckel: Einen schönen guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Auf dem Parteitag haben wir ja eine entschlossene, eine entschlossen konservative Kanzlerin erlebt und Parteichefin, eine, die gegen die Opposition wettert, gegen sie angeht. War das die wahre, die wirkliche Angela Merkel?

    Heckel: Nun ja, Sie haben ja in Ihrer Moderation schon beschrieben eine Frau, die den Sinn für die Macht mit Leidenschaft für Themen verbindet, oder eben auch nicht. Das war die Frage. Es zeigt sich eben jetzt schon ganz klar, dass sie an den nächsten Bundestagswahlkampf denkt, 2013. Sie ist in einer bürger
    lichen Koalition mit der FDP. Das heißt, sie kann jetzt natürlich viel deutlicher, viel klarer gegen die Opposition vorgehen, die SPD, aber natürlich auch die Grünen, als sie das in der Großen Koalition konnte, wo sie eben gegen die SPD sehr, sehr zurückhaltend war als ihr Regierungspartner und die kleinen Parteien in der Großen Koalition als Opposition ja kaum eine Rolle spielten. Das hat also auch sehr viel natürlich mit den derzeitigen Machtgegebenheiten zu tun und mit dem Ausblick auf die Bundestagswahl, die nächste, die ja als Lagerwahlkampf wohl offensichtlich geführt werden soll.

    Barenberg: Jedenfalls nach dem Willen der Kanzlerin, die sozusagen ein Gespür für die Taktik hat und ein taktisches Verhältnis damit auch zu dem, wie sie sich in der Öffentlichkeit präsentiert, mal so, mal anders?

    Heckel: Nun ja, sie verbindet diese beiden Dinge schon sehr klug. Anders kann man, glaube ich, nicht Kanzler werden und auch Kanzler bleiben, sprich in dem Fall dann eben zum zweiten Mal wiedergewählt werden. Einmal hat sie es schon geschafft. Es hat aber schon auch sachliche Inhalte, diese neue Positionierung, und die Kanzlerin hat ja zum Beispiel jetzt in diesem Sommer eine sogenannte Energiereise gemacht und hat dort eben erlebt, wie Grüne und auch ökologiebewegte auf der einen Seite für Ökostrom sind, auf der anderen Seite gegen den Ausbau neuer Netze, gegen Pumpspeicherkraftwerke zum Beispiel, gegen Großprojekte insgesamt. Hinzu kommt "Stuttgart 21" und da ist die Kanzlerin als Physikerin eben doch der Auffassung, diese Großprojekte müssten sein, um die Zukunftssicherheit Deutschlands zu gewähren. Das ist ihr großes Thema, so habe ich sie erlebt, die Zukunftssicherheit Deutschlands im 21. Jahrhundert, also was muss passieren, damit Deutschland 2020, 2030 wettbewerbsfähig ist. Deswegen eben auch dieses klare Eintreten für "Stuttgart 21", und das hat schon sachliche Inhalte, das ist nicht Machttaktik.

    Barenberg: Auf der anderen Seite, Frau Heckel, haben wir eine Kanzlerin erlebt, die sich ausdrücklich gegen Gentests ausspricht im Fall von künstlichen Befruchtungen. PID ist da das Stichwort, Präimplantationsdiagnostik. Auf dem Parteitag hat sie für ein Verbot sich ausgesprochen und damit die Meinung der Physikerin, der Forscherin, der Naturwissenschaftlerin dementiert, die sie früher einmal eingenommen hat, und das erleben wir ja bei der Kanzlerin nun ein ums andere Mal. Wir erinnern uns noch an die entschiedene Reformerin, lange war sie die präsidiale Regierungschefin, und jetzt die Wende ins Polarisierende, ins Konservative. Wie passt denn das zusammen, wie sollen das vor allem die Bürger im Land nachvollziehen?

    Heckel: Das ist in der Tat ein schwieriger Punkt, genauso wie auch zum Beispiel jetzt dieser Kampf gegen die Grünen, der ja aufgenommen wurde, ein schwieriger Punkt ist für die Glaubwürdigkeit, denn Angela Merkel war ja dafür bekannt, dass sie Schwarz-Grün interessant fand. Sie hat es in Hamburg dezidiert gefördert, als dort diese schwarz-grüne Koalition an die Macht kam. Das gilt auch für die Frage der Präimplantationsdiagnostik. Es ist nur eine ethische Frage, es ist nicht ganz klar, ob sie selber ihre Meinung nach langen Diskussionen, die sie ja immer führt, bevor sie zu Positionen kommt, geändert hat. Es ist ein sehr privates Thema, Sie sehen ja auch, wie gespalten der Parteitag war in dieser Frage. Es wurde ja nur knapp für ein Verbot votiert. Und es wird natürlich auch die Abstimmung im Bundestag, die jetzt folgen wird, freigegeben, weil jeder einzelne Abgeordnete eben hier seinem Gewissen folgt.

    Barenberg: Sie haben von der Gefahr gesprochen, die in solchen Wandlungen durchaus auch stecken kann. Heißt das, dass solche Wandlungen eben kein Vertrauen schaffen, sondern eher Verwirrung stiften, denn auffällig ist ja, dass die Erfolge, wenn man sie so nennen will, beispielsweise die guten Wirtschaftszahlen derzeit, jedenfalls nicht der Kanzlerin zugesprochen werden und anerkannt werden?

    Heckel: Nun ja, das stimmt. Sie hat auf der anderen Seite relativ hohe Popularitätswerte, obwohl ja die Partei und auch die Koalition so stark runtergegangen sind. Aber es stimmt schon, dass es ihr sehr schwer fällt, ihre Positionen zu erklären und der Bevölkerung klar zu machen, und dadurch entsteht dann eben oft der Eindruck, dass man nicht weiß oder nicht zu wissen glaubt, wofür sie steht. Das ist ein definitives Manko, das an anderen Politikern ja eben sehr geschätzt wird, zum Beispiel Herrn zu Guttenberg, der eben als sehr, sehr guter Erklärer gilt und dem es gelingt, seine Positionen in der Öffentlichkeit eben sehr viel deutlicher zu machen, auch wenn sie sich wandeln. Auch er hat ja in der Bundeswehrreform seine Meinung geändert, sodass es durchaus eben auch der Kanzlerin zugestanden werden muss, dass sie ihre Positionen ändert, aber sie muss sie dann eben auch erklären. Da ist sie nicht so gut drin.

    Barenberg: Frau Heckel, wir haben auch schon ein bisschen darüber gesprochen: Moderierend vermitteln, das war das Markenzeichen der Angela Merkel zu Beginn ihrer Kanzlerschaft, das hat sie auch als Führungsqualität gepriesen. Sie hat gesagt, das ist das, was die Menschen erwarten. Jetzt setzt sie seit Neuestem darauf, zu polarisieren – Sie haben gesagt, mit Blick auf die nächsten Wahlen, die 2011 stattfinden, letztendlich mit Blick auch auf ihre eigene Wiederwahl. Wie viel Risiko steckt denn darin, sich jetzt auch in eine Wagenburg zu setzen, mit der FDP zusammen beispielsweise?

    Heckel: Also es steckt schon beträchtliches Risiko darin, denn polarisieren nützt insofern, als man sich davon verspricht, eben verprellte Wähler wieder zurück an die Wahlurne zu bekommen. Wir hatten ja bei der letzten Bundestagswahl, aber auch bei den Wahlen zuvor im bürgerlichen Lager, also speziell bei der Union, große Teile, die gar nicht wählen gegangen sind. Es geht jetzt offensichtlich darum, diese Wähler zurückzugewinnen, auch mit diesen Themen, über die wir schon gesprochen haben, Präimplantationsdiagnostik, also sehr persönliche Themen, Großprojekte wie "Stuttgart 21", natürlich auch die Atompolitik. Aber das große Risiko ist natürlich, diese neuen Wähler, die man versucht, jetzt zu gewinnen mit dem moderaten Modernisierungsmittelkurs zu verprellen. Also es ist wirklich ein offenes Experiment, aber wir haben ja im nächsten Jahr sechs Landtagswahlen. Das heißt, die großen politischen Tests stehen jetzt unmittelbar bevor. Die Landtagswahl in Baden-Württemberg im März die Erste, auch die Wichtigste. Wenn die CDU dieses Bundesland verliert, dann wird die Diskussion natürlich noch mal verstärkt und sehr, sehr intensiv über den Kurs der Kanzlerin aufbrechen.

    Barenberg: Die Journalistin und Autorin Margaret Heckel heute Morgen live im Deutschlandfunk. Danke schön für das Gespräch, Frau Heckel.

    Heckel: Ich danke Ihnen!