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"Ein Sparkurs in Deutschland ist wichtig für den Euro"

Kanzlerin Merkel hat die Steuersenkungspläne der FDP vorerst gestoppt. Der Finanzwissenschaftler Clemens Fuest leitet den wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums und begrüßt den eingeleiteten Sparkurs. Dennoch dürfe nicht an den falschen Stellen gekürzt werden, wie zum Beispiel im Bereich Bildung.

Clemens Fuest im Gespräch mit Silvia Engels | 11.05.2010
    Silvia Engels: Roland Koch ist hessischer Ministerpräsident und er meldet sich seit der Nordrhein-Westfalen-Wahl mit so deutlichen Erklärungen zu Wort, dass manch einer sich an seine frühere Zeit als Kritiker von Bundeskanzlerin Merkel erinnert fühlt. Zum einen mahnt er heute im "Hamburger Abendblatt" an, das konservative Profil der CDU zu schärfen; zum anderen hat der CDU-Politiker, der von manchem Beobachter als künftiger Bundesfinanzminister gehandelt wird, auch erste Einsparvorschläge auf den Tisch gelegt: Rotstift bei der Familien- und Bildungspolitik. In Berlin freut sich die Union erst mal über das Ende der Steuersenkungsdebatte. Über Euro-Rettungsschirm und Spargedanken wollen wir nun sprechen mit Clemens Fuest. Er ist Finanzwissenschaftler an der Universität Oxford und er leitet den wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums. Guten Tag, Professor Fuest, nach Oxford.

    Clemens Fuest: Schönen guten Tag, Frau Engels.

    Engels: Sie haben ja schon lange Sparanstrengungen des Bundes angemahnt. Nun hat die Kanzlerin – wir haben es gehört – die Steuersenkungspläne der FDP gekippt. Sind Sie froh, dass es endlich losgeht mit Spardiskussionen?

    Fuest: Zunächst einmal finde ich es richtig, dass man die Steuerreform vertagt hat. Für Steuersenkungen, jedenfalls breite, ist im Moment kein Geld da. Und es ist auch richtig, dass man jetzt darüber diskutiert, welche Ausgaben man kürzen will. Da muss man allerdings aufpassen, dass man auch die richtigen wählt und dass man jetzt nicht anfängt, ausgerechnet bei Zukunftsausgaben, zum Beispiel im Bereich Bildung, zu sparen. Im Bereich der Familienförderung kann man Einsparungen durchführen. Krippenplätze aber abzubauen in einem Land wie Deutschland, das viel schlechter als andere mit Krippenplätzen ausgestattet ist, würde ich persönlich allerdings für völlig falsch halten. Ich muss sagen, ich bin entsetzt, dass Herr Koch einen solchen Vorschlag macht. Es gibt viel weniger bedeutende Subventionen oder Sozialleistungen, zum Beispiel das Elterngeld, das braucht eigentlich niemand. Ich denke, man muss da gut auswählen, dann kann man auch etwas einsparen. Aber wir müssen eigentlich eher an Bereiche denken, die für die Zukunft vielleicht weniger wichtig sind. Das heißt, es muss ein Beitrag aus dem Bereich der Sozialtransfers kommen und aus anderen Bereichen. So viel Geld wird für Bildung nicht ausgegeben, dass man dort viel einsparen könnte.

    Engels: Sie lehnen also diese Vorschläge von Herrn Koch ab. Kürzen könnte man Ihrer Meinung nach vielleicht am Elterngeld und in Sozialbereichen. Welche wären das zum Beispiel?

    Fuest: Ich denke, ein großer Batzen im Bundeshaushalt ist eben der Zuschuss zur Rentenversicherung, und die Renten sind ja kurz vor der Wahl noch mal erhöht worden, obwohl klar war, dass der Bundeshaushalt in Schwierigkeiten ist. Ich denke, wir müssen dort zum Beispiel darüber reden, dass da doch jetzt auf längere Zeit die Renten einfrieren. Dann müssen wir auch im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit die Ausgaben durchforsten. Es gibt dann den ganzen Bereich der Subventionen, auch die Subventionen für erneuerbare Energien. Da wird auch viel Unsinn gemacht. In diesen Bereichen ist das Sparpotenzial groß. Dort zu kürzen, ist viel wichtiger als ausgerechnet bei den Krippenplätzen.

    Engels: Alles hängt ja in der Wirtschaft mit allem zusammen. Wie wichtig ist denn nun ein glaubwürdiger Sparkurs in Deutschland für einen glaubwürdigen Rettungsschirm für den Euro?

    Fuest: Ein Sparkurs in Deutschland ist wichtig für den Euro, weil Deutschland der Stabilitätsanker der Eurozone ist. Es ist vor allem wichtig, dass Deutschland sich jetzt in dieser Lage an die Schuldenbremse hält. Die hat Deutschland ins Grundgesetz geschrieben und wenn man sich daran nicht halten würde, dann würde ein großer Glaubwürdigkeitsschaden entstehen. Insofern ist der Sparkurs in Deutschland schon wichtig, auch für die Eurozone.

    Engels: Die Börsen hatten ja gestern nach der Verkündung dieses 750 Milliarden Euro Rettungsschirms zunächst angezogen. Heute bröckeln die Werte wieder. Ist die psychologische Wirkung bereits verpufft?

    Fuest: Ja, die psychologische Wirkung lässt immer ein bisschen nach. Aber das Ganze ist nicht nur Psychologie, sondern jeder, der überlegt, wo er sein Geld anlegt, schaut natürlich schon hin. Dieser Rettungsschirm hat zunächst mal die Risiken beim Kauf griechischer und vielleicht portugiesischer Anleihen reduziert, aber die Risiken beim Kauf deutscher und holländischer und französischer Anleihen erhöht. Das heißt, durch den Rettungsschirm hat die Eurozone insgesamt an Solidität verloren und Griechenland und Portugal sind stabilisiert worden. Das war jetzt kurzfristig auch nicht anders zu organisieren. Allerdings muss man jetzt mittelfristig – und das heißt relativ bald, in den nächsten Monaten – mit einem überzeugenden Konzept kommen, wie die Eurozone in Zukunft funktionieren soll. Dass wie jetzt alle für die Schulden aller haften, das kann es ja nicht sein, denn dann würde jeder Anreiz für solide Politik genommen. Das heißt, man braucht jetzt ziemlich schnell ein Konzept, das dann auch überzeugt, aus dem dann hervorgeht, dass auch in Zukunft noch Anreize bestehen, Schulden abzubauen.

    Engels: Wie könnte denn das aussehen? Wir haben ein Element genannt: das ist eine glaubwürdige Haushaltskonsolidierung, nicht nur in Deutschland, auch anderswo. Welche anderen Elemente gehören dort hinein?

    Fuest: Aus meiner Sicht ist es unvermeidlich, dass man auf lange Sicht ein Insolvenzverfahren für öffentliche Schuldner einrichtet. Damit solche Insolvenzen nicht zu allgemeinen Finanzmarktkrisen führen, muss man außerdem die Finanzmarktregulierungen ändern. Es muss dort mehr Transparenz geben, so dass man zum Beispiel weiß, wenn jetzt etwa bei Griechenland ein Schuldenschnitt käme, welche Banken wären davon betroffen, wo muss man möglicherweise stabilisierend eingreifen. Da ist einiges zu tun, das ist nicht einfach, so etwas zu konzipieren, aber es ist höchste Zeit, dass so etwas kommt, denn wenn das nicht ermöglicht wird, werden am Ende wie gesagt die Schulden der gesamten Eurozone sozialisiert. Das heißt, jedes Land muss für die Schulden anderer einstehen und keiner hat mehr einen Anreiz, zu sparen. Das darf nicht passieren, das würde auch den Euro untergraben, und da muss man dagegenhalten. Aus meiner Sicht ist das Insolvenzverfahren der entscheidende Schritt und die einzige Art und Weise, die Währungsunion zu retten.

    Engels: Würde das bedeuten, wenn man hier kein glaubwürdiges Konzept vorlegt, dass mittelfristig auch Deutschland höhere Zinsen am Kapitalmarkt zahlen muss?

    Fuest: Das wird sehr schnell kommen, genau das wird passieren. Die Inflationserwartungen werden steigen, man wird also befürchten, dass am Ende dann die Europäische Zentralbank anfängt, in großem Umfang Staatspapiere zu kaufen, und steigende Inflationserwartungen bedeuten eben auch steigende Zinsen für Deutschland. In den letzten Tagen sind ja schon die Zinsen für deutsche Anleihen gestiegen, weil die Deutschen dort eingesprungen sind, und dieser Prozess wird weitergehen.

    Engels: Wenn der Markt, wenn die Märkte sich nicht beruhigen, haben die Staats- und Regierungschefs noch irgendetwas im Köcher?

    Fuest: Nicht mehr viel. Es wird ja jetzt nichts bringen, wenn man auf diesen Rettungsschirm noch mal etwas drauflegt, die Beträge erhöhen wird. Ich denke, man wird jetzt damit leben müssen, dass der Euro langsam weiter abbröckelt. Das ist auch kein so großes Problem. Es ist einfach wichtig, dass man sich jetzt darauf konzentriert, ein langfristig tragfähiges Konzept vorzulegen.

    Engels: Der Finanzwissenschaftler und Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums, Professor Clemens Fuest. Vielen Dank für das Gespräch.