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Ein streitbarer Christ

Er hat sich stets als Mitglied einer "Kirche im Widerstand" verstanden, so der Theologe Helmut Gollwitzer. Weder in Nazizeit, noch später in der Bundesrepublik Deutschland nahm er ein Blatt vor den Mund: Er kämpfe gegen das beginnende Vergessen der Nazizeit, gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik, wurde zum Fürsprecher der Bedrückten und Armen. Noch im hohen Alter nahm er Anteil an den Problemen der Welt. Heute vor 100 Jahren wurde er geboren.

Von Peter Hertel | 29.12.2008
    Die Pappenheimer sind seit Schillers Drama "Wallensteins Tod" als kämpferisches Regiment des 30-jährigen Krieges bekannt. Helmut Gollwitzer, der am 29. Dezember 1908 im bayerischen Pappenheim das Licht der Welt erblickte, ist zwar ebenfalls als streitbarer Kämpfer in die deutsche Geschichte eingegangen, aber als Kriegsgegner. Allerdings war das dem Sohn des Pappenheimer Pfarrers Gollwitzer nicht ins Stammbuch geschrieben:

    "Mein Vater war Bauernsohn. Er schwankte, ob er Offizier oder Pfarrer werden sollte. Und entschied sich für Pfarrer, weil seine Mutter auf ihrem Sterbebett das gewünscht hatte. Sein Herz hing immer sehr beim Militär."

    Helmut Gollwitzer wurde zwar wie sein Vater evangelischer Theologe und Pfarrer, war aber kein Freund des Militärs. Erbittert stritt er gegen die westdeutsche Wiederbewaffnung und wurde Mitinitiator der Ostermarschbewegung gegen die deutsche Atomrüstung. Noch im hohen Alter gehörte er zu den Sitzblockierern gegen die Raketenbewaffnung. Die theologische Abkoppelung vom konservativen Elternhaus hatte früh begonnen. Sie wurde vollendet, als Gollwitzer bei Karl Barth, dem späteren Vater der Bekennenden Kirche, Theologie studierte.

    "Ein politischer Christ war ich natürlich schon vorher. Ich war ja Pfarrer der Bekenntnisgemeinde in Dahlem, und hatte die Verfolgten der Nazi-Zeit ständig vor mir und um mich."

    Als Nachfolger des Pfarrers Niemöller, den Hitler in Festungshaft setzte, hob Helmut Gollwitzer die Versäumnisse seiner Kirche gegenüber den Juden ins Bewusstsein. Darüber hinaus war er eine Anlaufstelle für politisch Verfolgte, die, vom KZ bedroht, Hilfe suchten. Die Auseinandersetzung mit dem Faschismus seit 1933 - er wurde verhaftet und erhielt Redeverbot - hat ihn geprägt und nicht zuletzt für sein Auftreten nach 1945 präpariert.

    "Dafür wurde mir die Nazizeit wichtig, sofern eine Weisung aus dem Evangelium ganz klar war: Tue deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache derer, die verlassen sind. Und da war dann rasch deutlich: du kannst denen doch nicht in ihrer Lebensnot helfen, ohne die Ursachen ins Auge zu fassen."

    Bei seiner Ursachenbekämpfung avancierte dieser Christ und Sozialist beispielsweise zum Fürsprecher der rebellierenden Studenten, die ihn liebevoll "Golli" nannten. Rudi Dutschke, der Kopf der Studentenbewegung in den Sechziger-Jahren, war mit ihm befreundet und wohnte einige Zeit bei ihm - mit seiner Frau Gretchen, die bei Gollwitzer Theologie studierte.

    "Und da kommen die Dutschkes rein, und Gretchen verkündigt strahlend: ‚Ich bin schwanger.' Und das Erste, was ich sagte, ist: ‚Gretchen, dann ziehst du sofort dein kurzes Röckchen aus, denn es war ein kalter Herbsttag, und anständige Hosen an; denn man muss warm sein, wenn man ein Kind im Bauch hat.'"

    1972, als Helmut Gollwitzer am Grabe Ulrike Meinhofs die Trauerrede hielt, sahen manche in ihm einen Sympathisanten der Terroristen und nützlichen Idioten der RAF. Für viele andere aber war er ein heilsamer Unruhestifter. Er wurde zum meist beachteten - und trotz aller Umstrittenheit meist geachteten - evangelischen Theologieprofessor. Noch im Alter von 80 Jahren erschien er in Berlin-Kreuzberg mit einer Matratze auf dem Rücken, um an einem Hausbesetzerstreik teilzunehmen.

    Helmut Gollwitzer starb mit 84 Jahren in Berlin. Dieser Professor und Provokateur hat eine ganze Generation politischer Theologen geprägt. Noch kurz vor seinem Tode sagte er, er leide darunter, in der Nazizeit nicht genug getan zu haben; und auch heute könne er angesichts des Hungers in der Welt und der Massenarbeitslosigkeit nur wenig bewirken für die Armen und Bedrückten.

    "Täglich allein das zu lesen, was da aus den verschiedensten Weltteilen kommt, und dann hier zu sitzen nach gutem Frühstück, das ist ja schon eine Unmöglichkeit für einen, der gern ein Jünger Jesu sein will."