Archiv


"Ein Stück aus dem Tollhaus"

Der CDU-Haushaltsexperte Oswald Metzger hat die Rechtfertigungsversuche für Nebenhaushalte als organisierten Selbstbetrug bezeichnet. Die Regierungsverantwortlichen versuchten sich, im schlechtest möglichen Stil durchzumogeln. Steuersenkungsversprechen seien angesichts der Kassenlage eine nicht haltbare Wohltat.

    Gerwald Herter: Die Vorgespräche haben schon begonnen. Die große Koalitionsrunde wird in Kürze zusammentreten. Union und FDP haben schon viele Vereinbarungen getroffen. Die großen Kompromisse müssen aber noch gefunden werden.

    Einige Ministerpräsidenten der CDU hatten schon am Wochenende deutlich gemacht, dass sie Steuersenkungen kritisch gegenüber stehen, vor allem wenn sie auf Kosten der Länder gehen. Die wohl schärfste Kritik aus den Reihen der CDU kommt jedoch von Oswald Metzger. Der frühere Abgeordnete der Grünen war ein über die Fraktionsgrenzen anerkannter Haushaltsexperte im Bundestag. Mit ihm bin ich nun verbunden. Herr Metzger, guten Tag!

    Oswald Metzger: Guten Tag, Herr Herter.

    Herter: Sie sagen, was die Unterhändler der Koalition da vorhaben, das sei organisierter Selbstbetrug. Die FDP sagt, ein Nebenhaushalt trage zu mehr Transparenz bei. Stimmt das etwa nicht?

    Metzger: Das halte ich für eine reichlich kühne Behauptung. Ich meine, Sie müssen die Gefechtslage sehen, in der die Koalitionsverhandlungen stattfinden. Auf der einen Seite Steuersenkungsversprechungen, die überhaupt nicht zur objektiven Haushaltslage von Bund und Ländern beitragen; auf der anderen Seite natürlich eine Unterfinanzierung der Sozialsysteme, die zu einer massiven Beitragssteigerung führen würde. Alles eine Konsequenz dieses Wahljahres, in der die realen Probleme dieses Landes über viele Monate von allen politischen Parteien, nicht nur von der heutigen Regierung, unter den Teppich gekehrt wurden.

    Herter: CDU und FDP berufen sich darauf, dass es solche Nebenhaushalte schon in der Vergangenheit gegeben hat. Also ist das gängige Praxis. Was stört Sie dann daran?

    Metzger: Ich kann mich erinnern, als ich 1994 in den Bundestag in Bonn am Rhein kam, als Haushaltssprecher einer Oppositionsfraktion, haben wir damals, die Opposition, die Schattenhaushalte des Erblastentilgungsfonds kritisiert. Und als Rot-Grün dann 1999 regierte, wurde dieser Schattenhaushalt sukzessive quasi in den Bundeshaushalt integriert, was dann fälschlich im Januar dieses Jahres den Außenminister Steinmeier und die Kanzlerin Merkel dazu veranlasste zu behaupten, dieser Erblastentilgungsfonds sei binnen 14 Jahren getilgt worden. Es handelte sich immerhin um die Treuhand-Anstalt-Restschuld - kommunale Altschulden der DDR - und diese 172 Milliarden hätten sich quasi in 14 Jahren wegfinanziert. Wenn man das aber bei Lichte anguckt, sind etwa 80 Milliarden wirklich getilgt worden durch Bundesbank-Mehrgewinn und durch einen Versteigerungserlös der UMTS-Mobilfunkfrequenzen, aber über 85 Milliarden sind am Bundeshaushalt kleben geblieben.

    Genau das Gleiche wird im Endeffekt auch mit diesem Sozialhilfelasten-Ausgleichsfonds passieren, wenn er denn kommt, und ich weiß nicht, ob man die Bürger in unserem Land für dumm verkaufen will und ihnen sagt, ihr kriegt Steuersenkungen, weil wir das im Wahlkampf versprochen haben, aber das Ganze wird durch eine massive Kreditaufnahme refinanziert und irgendwann müssen die Bürger quasi Zins und Zinseszins für die vermeintlichen eigenen Steuerentlastungen bezahlen.

    Herter: Gehen Sie davon aus, dass dieser Nebenhaushalt verfassungsgemäß wäre?

    Metzger: Das wird wohl darauf ankommen, ob die Absicht besteht, auch die Unterdeckung der Krankenversicherung dort vorzusehen, weil wenn man jetzt Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ins Kalkül zieht und dann die vier Jahre Defizit der Arbeitslosenversicherung in diesen Fonds einbucht – das will man ja dieses Jahr machen -, dann müsste schon am 6. November das Bundeskabinett den dritten Nachtragshaushalt dieses Jahres mit einer Rekordverschuldung beschließen, und wenn man im Jahr 2010 dann insgesamt 16 Milliarden Krankenversicherungsdefizit dort integriert. Das müssen die Juristen erproben.

    Aber unabhängig vom juristischen Problem: das politische Spektakel bleibt doch gleich. Man hat im Prinzip kein Geld, glaubt sich aber im Wort gegenüber dem Bürger, weil man Steuersenkungen versprochen hat, und müsste sich vielleicht als liberale Partei mal fragen lassen, ob es einen nicht nachdenklich stimmt, dass nach Umfragen schon im Wahlkampf fast 90 Prozent der potenziellen FDP-Wähler eine Steuersenkung angesichts der gigantischen Staatsschuld überhaupt nicht für realistisch gehalten haben.

    Herter: Geht es darum, jetzt noch einmal einen Schluck aus der Pulle zu nehmen, bevor die Schuldenbremse kommt und alles noch schwieriger wird?

    Metzger: Das ist natürlich der Hintergrund, diese Schuldenbremse. Aber auch das ist irgendwie ein Stück aus dem Tollhaus. Meine Partei, die Union, aber auch die FDP haben bei der Schuldenregelung eigentlich sehr strenge Maßstäbe jetzt in diesem Jahr, als sie ins Grundgesetz kamen, angelegt und jetzt plötzlich, wenn es darum geht, in Regierungsverantwortung sich daran zu halten, dann wird man kreativ im wirklich schlechtest denkbaren Stil und versucht, sich über Schattenhaushalte und "Schwarzgeld" durchzumogeln. Unsere Gesellschaft bräuchte mehr Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit.

    Herter: Dafür treten CDU-Ministerpräsidenten ein. Sie haben vor Steuersenkungen, die zu weit gehen, gewarnt. Warum drohen den Ländern Einbußen, wenn es Steuersenkungen gibt?

    Metzger: Weil die Länder natürlich über den Steuerverbund am Steueraufkommen der Gesamtgesellschaft beteiligt sind: an der Mehrwertsteuer, an anderen Steuerarten relativ stark. Insofern ist es klar, dass man da Ängste bekommt. Es wird ja praktisch fast stündlich eine neue Sau durchs Dorf getrieben, wenn Sie jetzt die Überlegung sehen, ob man für kommunale Versorgungs- und Entsorgungsbetriebe nicht eine Mehrwertsteuerpflicht einführen sollte vor dem Hintergrund der Gleichbehandlung von Privatwirtschaft und kommunaler Daseinsvorsorge. Auch hier würde im Endeffekt der gleiche Bürger, der bei der Einkommenssteuer entlastet wird, dann möglicherweise über steigende kommunale Abwassergebühren und Abfallgebühren die Zeche bezahlen müssen. Warum kann man sich nicht ehrlich machen und wirklich den Menschen sagen, was Sache ist? In Zeiten, in denen die Haushalte praktisch implodieren, die Staatsschuld wächst, die Sozialversicherungen in die Miesen gehen, ist ein Steuersenkungsversprechen, ein Entlastungsversprechen eine nicht haltbare Wohltat.

    Herter: Die Länder stecken ziemlich in der Klemme durch die Schuldenbremse, aber auch Landesbanken und so weiter. Würde es den Ländern auch offenstehen, Nebenhaushalte zu gründen?

    Metzger: Das haben sie, denken Sie an Baden-Württemberg. Sie hören ja, ich bin Schwabe. Da haben wir einen Schattenhaushalt zur Finanzierung der Landesbank Baden-Württemberg, der sich vonschreibt, und im Endeffekt ist die Versuchung der Politik unglaublich groß, die Fakten zu verschleiern und sich irgendwie durchzumogeln, weil eines scheut der Politiker offensichtlich, egal welcher Provenienz, immer am stärksten: Sparen. Und Sparen heißt, weniger ausgeben. Weniger ausgeben heißt, den Leuten etwas wegnehmen, was sie bisher haben.

    Was aber nicht geht ist, auf der einen Seite sich nicht trauen zu sparen, den Leuten etwas wegzunehmen und ihnen auf der anderen Seite eine Entlastung zu versprechen, die gar nicht objektiv bezahlbar ist, sondern die sich der Staat wieder an irgendwelchen anderen Baustellen holt.

    Herter: An Selbstfinanzierungseffekte von Steuersenkungen glauben Sie nicht, oder?

    Metzger: Nein, daran glaube ich nicht, und zwar aus einem ganz einfachen Grund. Die volkswirtschaftliche Steuerquote – das ist jetzt ein objektiver messbarer Wert – ist in Deutschland nicht so gigantisch hoch, wie viele glauben, sondern eher vergleichsweise bescheiden. Bei uns sind zugegebenermaßen die Sozialabgaben sehr hoch, aber die Steuerquote ist nicht so hoch. Schauen Sie sich jetzt die Rettungsaktionen nach der Finanzmarktkrise weltweit an: Sie treiben die Staatsverschuldung in allen Industriestaaten gewaltig und alle Staaten dieser Welt werden in den nächsten Jahren die Steuern erhöhen müssen, werden ihren Bürgern die Zeche dafür präsentieren müssen, dass man die Verluste im Bankensektor sozialisiert hat, während die Gewinne privatisiert geblieben waren. Darüber nachzudenken in einer Marktwirtschaft, wäre auch mal nötig.

    Herter: Die Pläne der Koalition für einen Schatten- oder Nebenhaushalt. Einschätzungen und Bewertungen des CDU-Politikers Oswald Metzger. Vielen Dank!

    Metzger: Ich danke auch.