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"Ein Stückchen deutscher Seele und Kultur ist in mir"

In seinem neuen Film "Django Unchained" lässt Quentin Tarantino amerikanischen Sklaven Gerechtigkeit widerfahren. Im Interview spricht der Regisseur über Rachemotive im Kino, seine Zusammenarbeit mit Christoph Waltz - und das Verhältnis der Deutschen zu Hitler.

Moderation: Sigrid Fischer | 15.01.2013
    Sigrid Fischer: Quentin Tarantino, zum zweiten Mal modeln Sie die Geschichte um und lassen Opfern im Nachhinein Gerechtigkeit zuteilwerden. In "Inglourious Basterds" waren es die Opfer der NS-Regimes, in "Django Unchained" die amerikanischen Sklaven. Glauben Sie daran, dass ein Kinofilm tatsächlich ein Gefühl von Gerechtigkeit herstellen kann?

    Quentin Tarantino: Ja, das glaube ich. Und nicht nur Kino kann das, sondern das fiktionale Erzählen überhaupt. Romane, Comics und mündlich erzählte Geschichten können das auch. Fiktionale Geschichten vor realem historischem Hintergrund können kathartisch wirken, sie können die historischen Opfer und die, die sich mit ihnen identifizieren, von Rache und Genugtuung träumen lassen.

    Und ich meine nicht nur Juden oder Schwarze im Publikum. Wir alle schauen die Filme mit den Augen der Opfer. Bei den Vorführungen von "Inglourious Basterds" in Deutschland sowieso. Das hat mich aber auch nicht überrascht, denn ich habe den Film ja schon in Deutschland gedreht und kannte den Blickwinkel. Ich habe mich damals ein bisschen wie ein Botschafter Ihres Landes gefühlt, weil ich überall zu hören bekam: "Hoho, was werden wohl die Deutschen dazu sagen". Dann habe ich immer gesagt: wenn irgendjemand auf der Welt Tötungsfantasien gegenüber Hitler hat, außer vielleicht den Juden, dann doch wohl die letzten drei Generationen der Deutschen.

    Fischer: Nun zieht der ehemalige Sklave Django auf dem Weg zur Gerechtigkeit eine ziemlich breite Blutspur hinter sich her. Finden Sie, Rache ist ein Mittel, die Welt zu verändern?

    Tarantino: In diesem Film geht es nicht wirklich um Rache. Djangos Job ist es nicht, die Plantage in die Luft zu jagen und alle umzulegen. Er will seine Frau Broomhilda befreien und sie in den Norden bringen. Aber dann passiert eben so einiges. Und das braucht Django auch, um ein Held zu werden, er muss dahin und sie rausholen. Andernfalls wäre er nur eine Nebenfigur. Fürs wahre Leben gilt natürlich: Nein, Rache ist keine Lösung. Aber in der Fiktion ist die Antwort oft: ja. (lacht)

    Fischer: Schon in "Inglourious Basterds" hat diese Kombination aus historischem Thema und genregerechtem Entertainment mit viel Gewalt und Ballerei einen Teil der Zuschauer irritiert, denn man hat den Eindruck, dass es Ihnen immer in erster Linie um Unterhaltung geht, und darum, große Kinomomente zu schaffen, und weniger um irgendein Thema.

    Tarantino: Ja, sicher will ich unterhalten und Kinomomente schaffen. Die Leute sollen Spaß haben und sich wohlfühlen in meinen Filmen, auch wenn es um ernste Themen geht. Aber zu einem Kinovergnügen gehört auch, dass es zeitweise heftig zur Sache geht. Was mich bei Django stolz macht ist, dass man da viele Gefühle durchlebt: Man lacht, man erlebt die Brutalität gegenüber den Sklaven, die man vielleicht gar nicht erleben möchte, aber die ist notwendig. Auch die hässlichen Wörter, die da benutzt werden, auch die gehören dazu. Und es gibt auch romantische Momente. Es gibt Gewalt, die schwer anzusehen ist, und Gewalt, die Spaß macht anzusehen, weil sie befreiend wirkt. Es kommt auf die richtige Balance an. Und davon hängen auch Erfolg oder Misserfolge des Films ab. Das ist ein Tanz auf dem Stecknadelkopf oder einer Rasierklinge. Damit riskiert man, ständig zu scheitern. Das entscheidet sich am Ende des Films, und ich möchte, dass Sie Django zujubeln. Und alles, was dem im Wege stehen könnte, muss angepasst werden. Bei der ersten Testvorführung, als der Film noch nicht fertig war, und wir nur mal einen Eindruck von außen haben wollten, da waren zwei Szenen viel härter als jetzt. Ich hätte damit leben können, denn ich hab weniger Probleme damit, Eingeweide zu sehen, als die meisten Menschen. Aber ich habe das Publikum damit zu sehr geschockt und am Ende nicht die gewünschte Reaktion bekommen. Deshalb musste ich etwas nachmodulieren, damit ich die Resonanz bekomme, die ich haben möchte.

    Fischer: Mit der Figur des Kopfgeldjägers Doktor Schultz aus Düsseldorf, den Christoph Waltz spielt, kommt wieder deutsches Flair in Ihren Film, von der Nibelungensage ist sogar die Rede. Bringt er Sie auf so was?

    Tarantino: Da kommt mehreres zusammen. Ich weiß nicht, ob mir die Figur des King Schultz überhaupt eingefallen wäre, wenn ich Christoph Waltz nie begegnet wäre. Ich weiß nicht mal, ob es eine bewusste Entscheidung war, die Rolle zu schreiben. Denn Christoph ist mittlerweile so in meiner künstlerischen DNA verankert, dass die Figuren, die ich für ihn schreibe, ganz von alleine aus der Feder fließen, ohne dass ich da groß drüber nachdenken muss. Je mehr Erfahrungen man im Leben macht, desto mehr davon fließen in die Arbeit ein. Als ich "Inglourious Basterds" gedreht habe, war ich sechs Monate in Deutschland, das ist jetzt Teil meines Lebens. Ein Stückchen deutscher Seele und Kultur ist in mir, weil ich hier gelebt habe und Freunde hier habe und mich etwas auskenne.

    Fischer: Quentin Tarantino, Sie werden im März 50 Jahre alt, trotzdem sieht man in Ihnen immer noch den "jungen Wilden", der das Filmemachen revolutioniert. Sehen Sie sich selbst auch immer noch so, vielleicht, weil da auch niemand nachkommt, der die Branche ähnlich aufmischt wie Sie?

    Tarantino: Ah, Sie meinen den Atem des jungen Hundes in meinem Nacken, so wie Oliver Stone ihn spürte, als ich damals auf der Bildfläche erschien?(lacht)
    Nein, noch sehe ich niemanden, der mich über den Haufen rennt oder der mit seiner Arbeit meine altbacken aussehen lassen würde.

    Fischer: Ich meine das gar nicht so wettbewerbsmäßig, sondern frage tatsächlich, was Sie beobachten? Gibt es junge Filmemacher, die neue Erzählformen entwickeln, die mit filmischen Traditionen brechen und neue Genres erfinden, wie Sie das getan haben und immer noch tun?
    Tarantino: Also ich sehe niemanden, der macht, was ich mache. Nicht, dass sie das sollten. Aber sicher gibt es Leute, die interessante Filme drehen. Aber der eigentliche Punkt Ihrer Frage ist, glaube ich, wie erzählt ein Künstler seine Geschichten? Ich möchte, dass mein Werk, das Sie hier beschreiben, aus einem Guss ist. Ich möchte nicht plötzlich in eine andere "Phase" meines Schaffens eintreten. Wo ich meine Einstellung ändere und ich zum Beispiel plötzlich sanft und milde werde. Wobei ja nicht alle meine Filme Aufsehen erregen. Wenn ich morgen "Jackie Brown" drehen würde, würden alle sagen: 'Ah, guck mal, er ist reifer geworden, er wählt jetzt einen anderen Weg. Interessant! Ein ganz neuer Tarantino, eine neue Philosophie, eine neue Sichtweise.' Ich habe Jackie Brown nach Pulp Fiction gedreht, also in meinen frühen 30ern, okay? Und auch damals galt schon: Meine Arbeit soll ein Gesamtwerk sein, ich will meinen Song auf eine bestimmte Art singen.
    Wenn ich mit Rock 'n Roll angefangen habe, dann werde ich auch mit Rock 'n Roll enden, und nicht auf einmal 40er-Jahre-Balladen singen oder Jazz. Meine Platten stehen alle in der Rock 'n Roll-Abteilung.

    Fischer: Man liest hier und da, dass Sie ans Aufhören denken, stimmt das?
    Tarantino: Ich denke, dies sind meine letzten zehn Jahre als Filmemacher.

    Fischer: Erhöht das den Druck auf die nächsten Filme, weil die dieses "Werk", von dem Sie gerade sprachen, adäquat komplettieren müssen?

    Tarantino: Ich hab immer Druck empfunden, wenn ein neuer Film von mir ins Kino kommt. Aber anders will ich das gar nicht. Ich möchte, dass Sie alles von mir verlangen, dass Sie hohe Erwartungen an mich haben, ich möchte, ich hoffe, dass meine Filme Ereignisse sind, wenn sie raus kommen. Ich will es vollbringen, weil ich genau das auch von den Künstlern erwartet habe, die mich aufgerüttelt haben. Und ich bin sicher, die Leute haben das auch von Bob Dylan in den 60ern erwartet oder von Dickens und Hemingway zu ihrer Zeit. So will auch ich beurteilt werden.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.