Christoph Heinemann: Am 7. Juni finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Das haben wir jetzt in dieser Sendung gelernt. Denjenigen, welche dieses Datum oder diese Wahl für unwichtig halten, bietet der 8. Mai einen Anlass, sich auf die Bedingungen zu besinnen, unter denen die Europäische Union gegründet wurde. Mit der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation endeten an diesem Tag im Jahr 1945 der Zweite Weltkrieg und das Naziregime. 40 Jahre später sprach Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Deutschen Bundestag:
"Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern. Die Menschen, die ihn bewusst erlebt haben, denken an ganz persönliche und damit ganz unterschiedliche Erfahrungen zurück. Der eine kehrte heim, der andere wurde heimatlos. Dieser wurde befreit, für jenen begann die Gefangenschaft. Verbittert standen Deutsche vor zerrissenen Illusionen, und dennoch wurde von Tag zu Tag klarer, was es heute für alle gemeinsam zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung."
Heinemann: Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985. - Der 8. Mai als Tag der Befreiung. Lange stand dieses Datum in Deutschland für die Niederlage. In Frankreich ist der 8. Mai der Tag des Sieges und bis heute ein Feiertag. - Vor dieser Sendung hatten wir Gelegenheit, mit Bruno Le Maire zu sprechen. Ich habe den französischen Minister für Europaangelegenheiten gefragt, wie sehr die Vergangenheit heute noch das Deutschlandbild der Franzosen prägt und was er mit dem 8. Mai verbindet.
Bruno Le Maire: Der 8. Mai ist natürlich ein sehr wichtiges Datum für Frankreich, ein wichtiges Datum für Deutschland und auch für das ganze Europa. Sie haben von einem Tag des Sieges für Frankreich gesprochen, aber ich würde eher sagen, das ist ein Tag des Sieges für Europa. Im Vordergrund dieses Datums steht natürlich für mich der Gedanke der Freiheit Europas von der Naziherrschaft. Das bedeutet den Sieg über das Böse und das Ende des Horrors. Aber das ist auch meiner Meinung nach ein Datum eines Anfangs, und zwar des Anfangs einer neuen Ära für Europa und einer neuen Ära für die deutsch-französischen Beziehungen, und das ist für mich das Wichtigste.
Heinemann: Und bevor wir über diese deutsch-französischen Beziehungen sprechen, drängt sich jetzt eine Frage auf: Wo haben Sie so gut deutsch gelernt?
Le Maire: In der Schule, und ich habe auch einige Wochen in Norddeutschland verbracht, als ich 15 Jahre alt war. Das war in Lübeck.
Heinemann: In Lübeck. - Bei Ihrem Chef und seiner deutschen Ansprechpartnerin ist das anders. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy unterhalten jedenfalls erkennbar keine engen Beziehungen zur Kultur des jeweiligen Nachbarlandes. Erklärt das die gelegentlichen Irritationen auf beiden Seiten?
Le Maire: Ich würde nicht von Irritationen sprechen; ich würde eher von Missverständnissen sprechen. Aber ich glaube wirklich, das ist meine Rolle als Minister, diese Missverständnisse zu erklären und diese engen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich zu verbessern und zu unterstreichen. Das ist wirklich meine Rolle. Aber es gibt heute wirklich ein sehr gutes Verhältnis zwischen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy. Wir haben natürlich darüber gearbeitet, und das Ereignis ist wirklich ein sehr gutes Ereignis.
Heinemann: Sehr gute Beziehungen, haben Sie gesagt. Mit welcher Note, wenn wir das französische System anwenden, zwischen 0 und 20 würden Sie die Beziehungen heute bewerten?
Le Maire: Ich würde nicht 20 sagen, aber vielleicht 19.
Heinemann: Fast Höchstnote! - Sie sind sehr diplomatisch.
Le Maire: Es gibt noch Raum für Fortschritt, aber nur einen Punkt.
Heinemann: Gut. - Blicken wir auf die Europäische Union, Herr Le Maire. Vor neun Jahren, im Mai 2000, hielt der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer in der Berliner Humboldt-Universität seine Rede über die Finalität der Europäischen Union. Joschka Fischer skizzierte
"den Übergang vom Staatenverbund der Union hin zur vollen Parlamentarisierung in einer europäischen Föderation, die Robert Schumann bereits vor 50 Jahren gefordert hat. Und das heißt nichts geringeres als ein Europäisches Parlament und eine eben solche Regierung, die tatsächlich die gesetzgebende und die exekutive Gewalt innerhalb der Föderation ausüben."
Heinemann: Herr Minister Le Maire, französischer Europaminister, vom Staatenbund zur Föderation, ist das utopisch, oder visionär, das heißt irgendwann mal erreichbar?
Le Maire: Joschka Fischer, wissen Sie, ist ein sehr guter Freund, und ich habe viel Bewunderung für das, was Joschka Fischer getan hat. Aber ich würde nicht von einer Föderation sprechen. Ich glaube, das bleibt Utopie für das Europa heute. Ich glaube, dass wirklich die Europäische Union heute auf den Nationen beruht, und das wird der Fall bleiben für viele Jahre, glaube ich.
Heinemann: Welches ist für Sie das Ziel, die Finalität dieser Europäischen Union?
Le Maire: Ich glaube, dass die Finalität für die kommenden Jahre eine engere Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten ist. Das ist, glaube ich, das Hauptziel der Europäischen Union heute. Die Föderation bleibt eine Utopie für viele Mitgliedsstaaten und für Staaten wie Frankreich zum Beispiel, aber auch vielleicht Italien oder Spanien. Das wäre etwas wirklich Unmögliches. Brüssel hat natürlich eine sehr wichtige, eine Hauptrolle zu spielen, aber es bleibt auch Raum für die Rolle der Nationen und für die Rolle der nationalen Institutionen, die nationalen Parlamente. Die spielen wirklich eine sehr wichtige Rolle. Aber meiner Meinung nach ist die engere Kooperation zwischen allen diesen Institutionen das Hauptziel heute für Europa. Es gibt keinen Widerspruch, es gibt dieses Ziel einer engeren Kooperation.
Heinemann: Herr Minister Le Maire, sollten die Bürgerinnen und Bürger stärker mitreden? Sie wissen, in Deutschland fordert die Partei CSU Volksabstimmungen über wichtige Entscheidungen der Europäischen Union. Ist das eine gute Idee, wenn man an die Erfahrungen in Frankreich denkt?
Le Maire: Seien wir sehr vorsichtig mit Volksabstimmungen. Wir haben diese Erfahrung in Frankreich, dass die Volksabstimmungen ein bisschen gefährlich sein können. Ich glaube, natürlich hat das Volk die Hauptrolle zu spielen, aber für diese Rolle gibt es das Europäische Parlament und meiner Meinung nach muss unbedingt das Europäische Parlament eine wichtigere Rolle spielen. Das wäre meiner Meinung nach die beste Lösung.
Heinemann: Aber je mehr das Europäische Parlament zu sagen hat, umso weniger die nationalen Parlamente.
Le Maire: Ja, aber man muss das gute Gleichgewicht zwischen dem nationalen Parlament und dem Europäischen Parlament finden. Aber wir können nicht sagen, dass wir mehr europäische Demokratie wollen und diese Hauptrolle des Europäischen Parlaments nicht unterstützen. Meiner Meinung nach will in der Zukunft das Europäische Parlament die Hauptrolle spielen, und das ist ein Glück für Europa, das ist auch ein Glück für alle Mitgliedsstaaten.
Heinemann: Herr Minister Le Maire, zur Tagespolitik. Die NATO rückt immer näher an Russland heran. Zurzeit finden Manöver in Georgien statt. Die Europäische Union hat mit inzwischen souveränen Staaten, früheren Sowjetrepubliken Partnerschaftsverträge abgeschlossen beziehungsweise sie angeboten. Ist es nicht verständlich, dass die russische Regierung das als Bedrohung oder sogar Brüskierung versteht?
Le Maire: Ja, aber es gibt wirklich meiner Meinung nach keine Bedrohung von der NATO. Sie haben von Manöver gesprochen; das ist, glaube ich, das richtige Wort. Das sind nur Manöver, es gibt wirklich keine Bedrohung von der NATO gegenüber Russland. Das ist nicht der Fall und das wird nie der Fall sein.
Heinemann: Wie verstehen Sie die Reaktion in Moskau?
Le Maire: Ich glaube, in Moskau gibt es manchmal den Eindruck, dass die NATO eine Bedrohung für die Souveränität Russlands sein kann. Aber das ist wirklich nicht der Fall, das wollen wir unbedingt erklären.
Heinemann: Gibt es Anzeichen dafür, dass diese Botschaft, Ihre Botschaft in Moskau verstanden wird?
Le Maire: Ich glaube, dass alle Botschaften von den europäischen Mitgliedsstaaten in Moskau sehr gut verstanden sind, aber wir brauchen Erklärungen, wir brauchen, diese Missverständnisse zu erklären, und dann wird sehr gut verstanden in Moskau, dass es wirklich keine Bedrohung von europäischen Mitgliedsstaaten oder von der NATO gibt.
"Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern. Die Menschen, die ihn bewusst erlebt haben, denken an ganz persönliche und damit ganz unterschiedliche Erfahrungen zurück. Der eine kehrte heim, der andere wurde heimatlos. Dieser wurde befreit, für jenen begann die Gefangenschaft. Verbittert standen Deutsche vor zerrissenen Illusionen, und dennoch wurde von Tag zu Tag klarer, was es heute für alle gemeinsam zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung."
Heinemann: Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985. - Der 8. Mai als Tag der Befreiung. Lange stand dieses Datum in Deutschland für die Niederlage. In Frankreich ist der 8. Mai der Tag des Sieges und bis heute ein Feiertag. - Vor dieser Sendung hatten wir Gelegenheit, mit Bruno Le Maire zu sprechen. Ich habe den französischen Minister für Europaangelegenheiten gefragt, wie sehr die Vergangenheit heute noch das Deutschlandbild der Franzosen prägt und was er mit dem 8. Mai verbindet.
Bruno Le Maire: Der 8. Mai ist natürlich ein sehr wichtiges Datum für Frankreich, ein wichtiges Datum für Deutschland und auch für das ganze Europa. Sie haben von einem Tag des Sieges für Frankreich gesprochen, aber ich würde eher sagen, das ist ein Tag des Sieges für Europa. Im Vordergrund dieses Datums steht natürlich für mich der Gedanke der Freiheit Europas von der Naziherrschaft. Das bedeutet den Sieg über das Böse und das Ende des Horrors. Aber das ist auch meiner Meinung nach ein Datum eines Anfangs, und zwar des Anfangs einer neuen Ära für Europa und einer neuen Ära für die deutsch-französischen Beziehungen, und das ist für mich das Wichtigste.
Heinemann: Und bevor wir über diese deutsch-französischen Beziehungen sprechen, drängt sich jetzt eine Frage auf: Wo haben Sie so gut deutsch gelernt?
Le Maire: In der Schule, und ich habe auch einige Wochen in Norddeutschland verbracht, als ich 15 Jahre alt war. Das war in Lübeck.
Heinemann: In Lübeck. - Bei Ihrem Chef und seiner deutschen Ansprechpartnerin ist das anders. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy unterhalten jedenfalls erkennbar keine engen Beziehungen zur Kultur des jeweiligen Nachbarlandes. Erklärt das die gelegentlichen Irritationen auf beiden Seiten?
Le Maire: Ich würde nicht von Irritationen sprechen; ich würde eher von Missverständnissen sprechen. Aber ich glaube wirklich, das ist meine Rolle als Minister, diese Missverständnisse zu erklären und diese engen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich zu verbessern und zu unterstreichen. Das ist wirklich meine Rolle. Aber es gibt heute wirklich ein sehr gutes Verhältnis zwischen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy. Wir haben natürlich darüber gearbeitet, und das Ereignis ist wirklich ein sehr gutes Ereignis.
Heinemann: Sehr gute Beziehungen, haben Sie gesagt. Mit welcher Note, wenn wir das französische System anwenden, zwischen 0 und 20 würden Sie die Beziehungen heute bewerten?
Le Maire: Ich würde nicht 20 sagen, aber vielleicht 19.
Heinemann: Fast Höchstnote! - Sie sind sehr diplomatisch.
Le Maire: Es gibt noch Raum für Fortschritt, aber nur einen Punkt.
Heinemann: Gut. - Blicken wir auf die Europäische Union, Herr Le Maire. Vor neun Jahren, im Mai 2000, hielt der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer in der Berliner Humboldt-Universität seine Rede über die Finalität der Europäischen Union. Joschka Fischer skizzierte
"den Übergang vom Staatenverbund der Union hin zur vollen Parlamentarisierung in einer europäischen Föderation, die Robert Schumann bereits vor 50 Jahren gefordert hat. Und das heißt nichts geringeres als ein Europäisches Parlament und eine eben solche Regierung, die tatsächlich die gesetzgebende und die exekutive Gewalt innerhalb der Föderation ausüben."
Heinemann: Herr Minister Le Maire, französischer Europaminister, vom Staatenbund zur Föderation, ist das utopisch, oder visionär, das heißt irgendwann mal erreichbar?
Le Maire: Joschka Fischer, wissen Sie, ist ein sehr guter Freund, und ich habe viel Bewunderung für das, was Joschka Fischer getan hat. Aber ich würde nicht von einer Föderation sprechen. Ich glaube, das bleibt Utopie für das Europa heute. Ich glaube, dass wirklich die Europäische Union heute auf den Nationen beruht, und das wird der Fall bleiben für viele Jahre, glaube ich.
Heinemann: Welches ist für Sie das Ziel, die Finalität dieser Europäischen Union?
Le Maire: Ich glaube, dass die Finalität für die kommenden Jahre eine engere Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten ist. Das ist, glaube ich, das Hauptziel der Europäischen Union heute. Die Föderation bleibt eine Utopie für viele Mitgliedsstaaten und für Staaten wie Frankreich zum Beispiel, aber auch vielleicht Italien oder Spanien. Das wäre etwas wirklich Unmögliches. Brüssel hat natürlich eine sehr wichtige, eine Hauptrolle zu spielen, aber es bleibt auch Raum für die Rolle der Nationen und für die Rolle der nationalen Institutionen, die nationalen Parlamente. Die spielen wirklich eine sehr wichtige Rolle. Aber meiner Meinung nach ist die engere Kooperation zwischen allen diesen Institutionen das Hauptziel heute für Europa. Es gibt keinen Widerspruch, es gibt dieses Ziel einer engeren Kooperation.
Heinemann: Herr Minister Le Maire, sollten die Bürgerinnen und Bürger stärker mitreden? Sie wissen, in Deutschland fordert die Partei CSU Volksabstimmungen über wichtige Entscheidungen der Europäischen Union. Ist das eine gute Idee, wenn man an die Erfahrungen in Frankreich denkt?
Le Maire: Seien wir sehr vorsichtig mit Volksabstimmungen. Wir haben diese Erfahrung in Frankreich, dass die Volksabstimmungen ein bisschen gefährlich sein können. Ich glaube, natürlich hat das Volk die Hauptrolle zu spielen, aber für diese Rolle gibt es das Europäische Parlament und meiner Meinung nach muss unbedingt das Europäische Parlament eine wichtigere Rolle spielen. Das wäre meiner Meinung nach die beste Lösung.
Heinemann: Aber je mehr das Europäische Parlament zu sagen hat, umso weniger die nationalen Parlamente.
Le Maire: Ja, aber man muss das gute Gleichgewicht zwischen dem nationalen Parlament und dem Europäischen Parlament finden. Aber wir können nicht sagen, dass wir mehr europäische Demokratie wollen und diese Hauptrolle des Europäischen Parlaments nicht unterstützen. Meiner Meinung nach will in der Zukunft das Europäische Parlament die Hauptrolle spielen, und das ist ein Glück für Europa, das ist auch ein Glück für alle Mitgliedsstaaten.
Heinemann: Herr Minister Le Maire, zur Tagespolitik. Die NATO rückt immer näher an Russland heran. Zurzeit finden Manöver in Georgien statt. Die Europäische Union hat mit inzwischen souveränen Staaten, früheren Sowjetrepubliken Partnerschaftsverträge abgeschlossen beziehungsweise sie angeboten. Ist es nicht verständlich, dass die russische Regierung das als Bedrohung oder sogar Brüskierung versteht?
Le Maire: Ja, aber es gibt wirklich meiner Meinung nach keine Bedrohung von der NATO. Sie haben von Manöver gesprochen; das ist, glaube ich, das richtige Wort. Das sind nur Manöver, es gibt wirklich keine Bedrohung von der NATO gegenüber Russland. Das ist nicht der Fall und das wird nie der Fall sein.
Heinemann: Wie verstehen Sie die Reaktion in Moskau?
Le Maire: Ich glaube, in Moskau gibt es manchmal den Eindruck, dass die NATO eine Bedrohung für die Souveränität Russlands sein kann. Aber das ist wirklich nicht der Fall, das wollen wir unbedingt erklären.
Heinemann: Gibt es Anzeichen dafür, dass diese Botschaft, Ihre Botschaft in Moskau verstanden wird?
Le Maire: Ich glaube, dass alle Botschaften von den europäischen Mitgliedsstaaten in Moskau sehr gut verstanden sind, aber wir brauchen Erklärungen, wir brauchen, diese Missverständnisse zu erklären, und dann wird sehr gut verstanden in Moskau, dass es wirklich keine Bedrohung von europäischen Mitgliedsstaaten oder von der NATO gibt.