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"Ein Trainertyp wie van Gaal wäre undenkbar in Afrika"

"Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weißer". So lautet der Titel des Buches von "Stern"-Reporter Christian Ewers. Eines der größten Ziele vieler afrikanischer Profispieler sei es, in Europa kicken zu können, sagt der Journalist.

Christian Ewers im Gespräch mit Stefan Heinlein | 07.06.2010
    Stefan Heinlein: Die unzähmbaren Löwen aus Kamerun, die Super Eagles aus Nigeria oder die Gastgeber Bafana Bafana aus Südafrika – ein ganzer Kontinent hat in den kommenden vier Wochen ein Heimspiel. Die erste Fußball-WM auf afrikanischem Boden erfüllt die Sehnsucht vieler Menschen. Man will nicht nur ein guter Gastgeber sein, sondern auch zum ersten Mal den Weg ins Finale schaffen. Für viele afrikanische Spieler ist die WM zudem eine Bühne, doch die meisten Träume vom Profivertrag in Europa erfüllen sich nicht. Nachwuchsspieler werden von skrupellosen Agenten ausgenutzt, Korruption und Machtspiele in den Heimatverbänden verhindern den Durchbruch der Talente. Fußball in Afrika, fern der FIFA-Glitzerwelt, darüber möchte jetzt sprechen mit dem Reporter Christian Ewers vom Magazin "Stern". Er hat wochenlang auf dem afrikanischen Kontinent recherchiert und darüber ein Buch geschrieben mit dem Titel "Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weißer". Guten Morgen, Herr Ewers!

    Christian Ewers: Guten Morgen!

    Heinlein: Können Sie uns den Titel Ihres Buches erklären?

    Ewers: Ich kann Ihnen den Untertitel ganz gut erklären: "Die Tragödie des afrikanischen Fußballs" besteht meiner Meinung darin, dass afrikanische Nationen immer wieder genannt werden, immer wieder neu. Bei jeder WM heißt es, diesmal kann Afrika den Durchbruch schaffen, es ist so viel Talent da, es sind so viele junge Spieler da, die hungrig sind, dieses Mal werden sie es schaffen, diesmal kommt eine afrikanische Mannschaft ins Finale und holt womöglich den WM-Titel. Und das ist noch nie gut gegangen, der letzte Erfolg liegt lange, lange zurück, 20 Jahre genau, als Kamerun im Viertelfinale gegen England ausschied, 1990 bei der WM in Italien.

    Heinlein: Ist denn diesmal ein afrikanisches Team reif für den Titel?

    Ewers: Also wenn Sie mir die Frage vor zwei oder drei Wochen gestellt hätten, hätte ich die wahrscheinlich anders beantwortet. Jetzt haben ja die meisten afrikanischen Teams den Verlust ihrer besten Spieler zu beklagen, ob das Bagana ist, Drogba in der Elfenbeinküste oder Obi Mikel in Nigeria, also das trifft gerade die afrikanischen Mannschaften doch sehr, sehr hart, also die ihre aufgrund von Verletzungen auf ihre besten Kräfte verzichten müssen. Von daher bin ich da etwas pessimistischer. Ich glaube aber dennoch, dass ein Land wie die Elfenbeinküste eine sehr, sehr gute Rolle spielen kann, und ich könnte mir gut vorstellen, dass ein Favorit – Brasilien oder Portugal – nach der Gruppenphase die Segel streichen muss und die Elfenbeinküste in die nächste Runde kommt.

    Heinlein: Ist nur der Ausfall dieser Superstars aus afrikanischen Teams, den Sie gerade genannt haben, ein Grund, weshalb Sie Zweifel haben, dass ein afrikanisches Team ganz weit kommt, oder liegt es auch an den Strukturen des afrikanischen Fußballs – denken wir an den Untertitel Ihres Buches.

    Ewers: Ja, sicherlich. Also das war jetzt eine kurzfristige Entwicklung, die so eine Mannschaft schwächt, aber Sie nennen da schon den richtigen Punkt. Also die Strukturen in den Verbänden, die sind nach wie vor sehr schwach. Die Position des Trainers ist nicht zu vergleichen mit der eines europäischen Trainers. Also ein Trainertyp wie van Gaal wäre undenkbar in Afrika, also einer, der autokratisch herrscht, der sagt, ich geh meinen Weg, ich mach es so, wie ich es will, und wenn ihr das nicht wollt, dann gehe ich. Also so eine souveräne Position gibt es im afrikanischen Fußball nicht, gerade in den Nationalmannschaften nicht. Da gibt es viele Einflüsterer, da reden Politiker mit rein, da reden Altstars mit rein, da kaufen sich Manager ein, also ihre Spieler werden mit Geld in die Mannschaften reingeschoben. Also das ist doch ein sehr, sehr kompliziertes Beziehungsgeflecht, was sich in der Vergangenheit immer wieder als Hemmnis herausgestellt hat.

    Heinlein: Hat sich nichts geändert in den vergangenen Jahren, denn viele europäische Trainer arbeiten ja in den afrikanischen Ligen und umgekehrt, viele afrikanische Nationalspieler spielen in den europäischen Topligen.

    Ewers: Das hat sicherlich zur Qualitätssteigerung beigetragen, ob es aber für den ganz großen Wurf reicht, das würde ich doch bezweifeln wollen.

    Heinlein: Werden viele afrikanische Talente auch verheizt von den Vereinen und Verbänden?

    Ewers: Ach, verheizt weiß ich gar nicht mal. Ich tu mich auch ehrlich gesagt schwer mit dem Begriff moderner Menschenhandel oder moderner Sklavenhandel. Das würde ja voraussetzen, dass jemand wider Willen irgendwohin kommt und zur Arbeit gezwungen wird. Das Gegenteil ist eigentlich der Fall. Also als ich in Schwarzafrika war zu den Recherchen für mein Buch, habe ich mit vielen, vielen Spielern gesprochen, und die muss man nicht mehr entflammen für Europa, die muss man nicht mehr überreden oder gewinnen, sondern sie sind bestens informiert, sie verfolgen die Champions League, die sitzen im Internet, die wissen im Detail genau, was in der Premier League in England passiert, was in Spanien passiert, was in der Champions League läuft. Also es ist eine große, große Sehnsucht da, nach Europa zu gehen, und gerade deshalb ist das Missbrauchspotenzial des Fußballs so groß, weil man da relativ leichtes Spiel hat.

    Heinlein: Leichtes Spiel sagen Sie, welche Rolle haben denn die Agenten, die Spieleragenten, sie sind ja das Bindeglied zwischen den Vereinen und den afrikanischen Spielern?

    Ewers: Ja, die haben eine ganz zentrale Rolle, und da gibt es gute und schlechte Agenten. Das ist für einen jungen afrikanischen Spieler oft schwer zu unterscheiden beziehungsweise gar nicht zu beantworten die Frage, wer hilft mir wirklich oder wer gibt nur vor, beste Kontakte zu Spitzenclubs zu haben.

    Heinlein: Wie groß ist denn der Sprung, Herr Ewers, die Herausforderung für einen afrikanischen Spieler, für ein Talent, wenn er in die europäischen Ligen wechselt? Spielen da unterschiedliche Mentalitäten dann auch eine Rolle?

    Ewers: Ja, also der Sprung nach Europa oder der Schritt nach Europa ist doch ein großer. Man betritt einen neuen Kulturraum, der Spieler hat seine Heimat verlassen, seine Freunde, seine Familie, er kennt die Codes nicht in den neuen Ländern, in den neuen Ligen – da bedarf es doch einer längeren Phase der Akklimatisierung. Und das ist oftmals ein kritischer Punkt in der Karriere. Uns so europäische Trainer denken oft, der Junge hat doch einen guten Vertrag, wir haben ihm eine Wohnung gegeben, manchmal gibt es auch noch ein Auto dazu, also eigentlich haben wir für alles gesorgt, warum trifft der nicht mehr? Also dass es da einer pädagogischen Betreuung bedarf, dass man Geduld haben muss, Nachsicht. Das wird halt in diesem Business oftmals ausgeblendet.

    Heinlein: Zum Schluss blicken wir, Herr Ewers, noch mal gemeinsam auf diese WM, diese erste WM auf afrikanischem Boden: Wie groß ist die Sehnsucht der Menschen auf dem Kontinent nach einem Erfolg ihrer Mannschaften, egal ob Südafrika, Ghana, Kamerun oder eine andere afrikanische Mannschaft?

    Ewers: Also die ist riesig. Und was man sich halt kaum vorstellen kann, ist, dass diese WM ein panafrikanisches Ereignis ist. Also wenn ich mich mit Leuten unterhalten habe in Ghana oder der Elfenbeinküste, dann haben alle immer von unserer WM gesprochen, und das ist ja in Europa gar nicht vorzustellen. Also als 2006 die WM in Deutschland war, da habe ich jedenfalls nichts von Holländern gehört, dass sie gesagt hätten, das ist unsere WM. Also die Identifikation mit dem Turnier in Südafrika ist auf dem ganzen Kontinent gewaltig. Da kann man schon sagen, dass diese WM ein großes symbolisches Potenzial hat, also Afrika als Kontinent, der sich oftmals als Bittsteller wahrgenommen hat, der an Krücken geht, die ihm der Westen gereicht hat und die nördliche Welt. Dieser Kontinent lädt ein, die Welt ist zu Gast mit den allerbesten Spielern. Das, was man nur aus dem Fernsehen kennt, aus der Champions League, aus der Premier League, ist plötzlich zum Greifen nah, die Besten der Besten sind da. Und ich glaube, dass die WM in ihrer symbolischen Bedeutung nicht zu unterschätzen ist für Afrika.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der "Stern"-Reporter Christian Ewers, Autor des Buches "Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weißer", erschienen im Gütersloher Verlagshaus. Ich danke, Herr Ewers, für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Ewers: Sehr gerne!