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Ein Tröpfchen Humanität

Ein Muss ist sie nicht, sie hat sich eher eingeschlichen in den wissenschaftlichen Betrieb: die Widmung. Ist sie ein Lichtblick in ansonsten trockenem Stoff oder doch eher eine spezielle Form der Selbstdarstellung.

Thomas Hoeren im Gespräch mit Ulrike Burgwinkel |
    Ulrike Burgwinkel: Wir reden jetzt mal nicht von Plagiaten, Copy and Paste oder vergessenen Quellenangaben, sondern kümmern uns um einen bislang wenig bedachten Teil einer Dissertation, und zwar, wir kümmern uns um die Widmung: gleich auf der ersten Seite, noch zur Titelei gehörend, oft in Kapitälchen gesetzt - ein Ausdruck des Dankens oder auch der Verbundenheit des Autors mit den Bewidmeten. Professor Thomas Hoeren ist Jurist an der Uni Münster am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht. Er hat sich genau dieser vernachlässigten Gattung angenommen. Guten Tag nach Münster!

    Thomas Hoeren: Ja, guten Tag!

    Burgwinkel: Herr Hoeren, so eine Widmung, ist das eigentlich ein Muss?

    Hoeren: Es ist überhaupt gar kein Muss, das hat sich eingeschlichen, das hat es bis in die 50er-Jahre dieses Jahrhunderts nie gegeben, also von daher aus kann man das als modernes Phänomen bezeichnen.

    Burgwinkel: Gibt es denn dann bestimmte Regeln bei diesem modernen Phänomen?

    Hoeren: Ja, die Regeln scheinen beliebig zu sein. Sehr viel Wert scheinen Doktorväter auf so was zu legen, die scheinen das sogar richtig zu drücken, dass so was reinkommt, und auch eine gewisse Enttäuschung macht sich bei Eltern anscheinend breit, wenn die so eine Widmung nicht bekommen.

    Burgwinkel: Kann man denn diese Regeln absichtsvoll, also lustvoll, unterlaufen oder eher auch naiv umsetzen? Sie haben das ja nun recherchiert, was haben Sie denn gefunden?

    Hoeren: Es ist eine Fülle von skurrilen Phänomenen, die da aufgetaucht sind. Es scheint so zu sein, dass Frauen zum Beispiel eher eine richtige Quasselwut haben und über 100 Leuten danken - vom Mineralwasserlieferanten bis hin zum Hund -, während Männer als Biertrinker ihren Bierfreunden und der Fußballmannschaft danken. Es gibt da echte Extreme.

    Burgwinkel: Ja, aber was soll das dann? Was hat das in einer Widmung zu suchen für eine wissenschaftliche Arbeit? Das ist für mich vollkommen unverständlich.

    Hoeren: Ja, das sehe ich ganz genauso. Es hat mal angefangen, glaube ich, mit dem Dank für den Doktorvater und den Eltern, und in der Zwischenzeit dankt man vielleicht manchmal gar nicht mehr den Eltern, sondern allen postmodernen Kompagnons, also von der WG bis zur Ex-Frau ist alles da, aber Sinn macht das alles nicht.

    Burgwinkel: Dann dient es der Selbstdarstellung des Autors.

    Hoeren: Ja, so ein bisschen da ... Es dient dazu, glaube ich, wenn man so diese ganze Arbeit fertig hat und 500 Seiten trockensten Stoff geschrieben hat, möchte man an einer Stelle noch mal so ein kleines Tröpfchen Humanität einfließen lassen, und dann kommen eben die ganzen Beziehungsgeflechte.

    Burgwinkel: Nun könnte es ja auch sein, dass dem Widmungsempfänger das eher unangenehm ist, wenn ich zum Beispiel an Professor Häberle, den betreuenden Doktorvater unseres ehemaligen Verteidigungsministers denke.

    Hoeren: Ja, ich hab ja auch noch festgestellt, dass im 17., 18. Jahrhundert es sogar eine Art Widmungsunsitte gab, da hat man Leuten gedankt, die wirklich nicht dankbar waren dafür, um sich so abzusichern. Ich widme diese Arbeit meinem Fürsten, Gott und dem Papst, damit man abgesichert war. Und so ähnlich muss sich wahrscheinlich auch der Herr Häberle gefühlt haben, wenn er die Widmung seines Ex-Doktoranden sich ansieht.

    Burgwinkel: Kann man sich dagegen wehren als Bewidmeter?

    Hoeren: Also ich sage meinen Doktoranden, ihr werdet erwürgt oder erdrosselt, ihr habt die Auswahl, wenn ihr mit Danksagungen kommt.

    Burgwinkel: Also wäre doch im Grunde genommen jetzt dringend mal eine Dissertation fällig zum Thema, oder was meinen Sie?

    Hoeren: Es gibt ja diese wunderbare Arbeit von Genette, der hat mal das rausgefunden, dass es Paratexte gibt und das Paratexte benannt und hat sich sehr intensiv mit diesen Fragen beschäftigt. Aber in der Tat, für den deutschen Sprachraum fehlt noch mal eine Arbeit über Widmungen in Doktorarbeiten.

    Burgwinkel: Sie sagten gerade Paratexte, da gehören ja auch so, sagen wir mal Klappentexte dazu oder das, was man Blurbs nennt im Amerikanischen - ich kenne da keinen deutschen Ausdruck für -, das würde dann auch so eine Art Paratext sein, oder?

    Hoeren: Ganz genau. Die gleiche Funktion wie diese wunderbaren Scheinrezensionen, die hinten zum Teil abgedruckt werden bei Romanen, haben eben diese Widmungen, die dazu dienen, sich auch gegen Kritik zu immunisieren und darauf hinzuweisen, mit welchen tollen Hechten man zusammen so eine Doktorarbeit unter Umständen konzipiert hat.

    Burgwinkel: Aber letztlich Konsequenzen für die Beurteilung der Doktorarbeit wird es nicht haben? Hofft man.

    Hoeren: Das hofft man auf jeden Fall, man hofft eben nur auf so ein bisschen Wohlwollen, da man sieht sozusagen als Leser, wie tolle Beziehungen jemand aufgebaut, gepflegt hat sozusagen während der Doktorarbeit und natürlich auch, welche Gönner und Widmer sozusagen dahinterstecken.

    Burgwinkel: Danke für das Gespräch!

    Hoeren: Gerne!

    Burgwinkel: Professor Thomas Hoeren über Widmungen in Doktorarbeiten.