Sonntag, 28. April 2024

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Ein und derselbe George Grosz

In der der Grosz-Ausstellung der Akademie der Künste verwischen die Unterschiede zwischen Früh- und Spätwerk. Selbst stärkere Brüche in seinem Leben zeigen eigentlich doch immer nur denselben Grosz.

Carsten Probst im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 23.01.2010
    Burkhard Müller-Ullrich: Die Akademie der Künste in Berlin wird von einem Grafiker und Karikaturisten geleitet, der Kunst und politische Propaganda zu verbinden weiß. Das hat Klaus Staeck mit George Grosz gemeinsam, dem jetzt in dem Haus am Pariser Platz eine große Ausstellung gewidmet ist. Carsten Probst, Sie sind da gerade durchgegangen. Die Akademie der Künste besitzt ja eine Menge aus dem Nachlass von George Grosz, das heißt, da lässt sich ein ganzes Leben nachzeichnen, ein Leben, das erst mal von den Dadaisten geprägt ist, Grosz wurde sogar zum Propagandada ernannt, dann kam die Politisierung, Grosz trat der KPD bei, blieb dort aber nur ganz kurz – eine einzige Reise in die Sowjetunion hatte ihn eines Besseren belehrt –, dann der Kampf gegen die Nazis, die Emigration in die USA und schließlich, 1959, Rückkehr nach Deutschland, wo er aber kurz darauf gestorben ist an einem Unfall. Ist die Ausstellung auch so biografisch orientiert?

    Carsten Probst: Also die Ausstellung verfolgt natürlich diesen Zeitstrahl irgendwie auch, aber sie versucht sozusagen Begleitthemen deutlicher zu machen. Die Kuratorin Birgit Möckel, die lange über Grosz geforscht hat, bemüht sich, konstante Themen in seinem Werk immer wieder durchscheinen zu lassen und zu zeigen, dass selbst stärkere Brüche in seinem Leben eigentlich doch immer nur denselben Grosz zeigen. Man sieht auch in den frühen Zeichnungen – das finde ich auch sehr interessant – bereits seine große Begabung, selbst in den Jugendzeichnungen, die hier ausgestellt sind, eine große Begabung für das Wahrnehmen der menschlichen Umgebung, dann einen Stilwechsel um die 16, 17, 18 Jahre herum, als er so etwa 18 ist, wo er anfängt, eigentlich viel kindlicher zu zeichnen als als Jugendlicher, nämlich so eine typische, für Grosz dann typische Krakeltechnik anzuwenden, die die Physiognomien und gesellschaftliche Hierarchien und Szenerien entlarven soll durch diese Kürzelschrift. Das ist also sehr schön nachzuvollziehen. Und gleichzeitig wird gezeigt, dass Grosz eine Montagetechnik verwendet – er verwendet Materialien aus den Medien, aus den Zeitungen, aus Fotografien, aber auch von kleinen Notaten, die er selber auf der Straße gemacht hat, um sie immer wieder in neue Zusammenhänge hineinzumontieren und damit sozusagen auch etwas vorwegzunehmen, was er später als Dadaist immer wieder und immer weiter getrieben hat und auch nach seiner dadaistischen Zeit immer weiter fortgesetzt hat bis ins Alter. Also es wird quasi ein Grosz gezeigt, der verschiedenste Elemente in sich vereint und verschiedenste Temperamente – von melancholisch bis agitatorisch, von sarkastisch bis träumerisch – immer wieder durchspielt, nur dass eben unser heutiges Bild von Grosz eigentlich von seiner Zeit in den 20er-Jahren geprägt ist.

    Müller-Ullrich: Es gibt dann auch noch ein Spätwerk – in den USA hat er nie wirklich Fuß fassen können, aber das Werk, das dort entstanden ist, wird von vielen Leuten hierzulande eher verworfen.

    Probst: Grosz war eigentlich ein Amerika-begeisterter Mensch, der auch sehr euphorisch 1932 in die USA gefahren ist, um auch dort zu bleiben. Die Desillusionierung hat sich dann erst mit der Zeit ergeben, auch unter dem Eindruck der Entwicklung in Deutschland, und dass es politisch wirklich so desaströs wird und auch unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges, da bricht dann bei Grosz quasi die pure Verzweiflung in den USA aus. Sie haben dann erwähnt, das Spätwerk wird immer von der Forschung ein bisschen bespöttelt als so romantische Klimmzüge eines Isolierten. Das liegt auch in der Tat nahe, weil man ab und zu so Szenen sieht – nackte Mädchen am Strand, so leichte Männerfantasien und dergleichen mehr. Birgit Möckel versucht auch hier gegenzusteuern und zu zeigen, dass auch solche Träumereien auch schon in früheren Zeiten bei Grosz angelegt waren, dass er aber eigentlich in diesem Spätwerk vor allem seine eigene desaströse Situation versucht immer wieder deutlich zu machen. Und das sieht man auch gerade an den Notaten und an den Postkartenwerken, die aus diesem Archiv kommen, und ihn erfüllt eine große Skepsis über alle Nachkriegskunst, über alle Kunst in den USA beispielsweise, die man dieser Nachkriegsmoderne mit der New York School und dergleichen, Jackson Pollock zurechnet, das empfindet er nicht mehr als wirkliche Kunst. Er wendet sich ab, er fragt sich, was ist aus unserer Welt geworden. Im Grunde genommen nimmt er seine eigene Kunst wie eine Prophezeiung wahr, die Kunst der 20er-Jahre, wie eine Prophezeiung wahr, wie die Moderne und die Kriege sich auf das Menschenbild ausgewirkt haben, und ist darüber zutiefst unglücklich, dass es genauso gekommen ist, wie er selbst es prophezeit hat, und wendet sich im Grunde genommen von der Zeit, die von diesen Kriegen geprägt ist, innerlich ab, findet eine künstlerische Heimat dort nicht mehr. Und diese Ausgangssituation scheint mir typisch zu sein für die Generation von George Grosz und nötigt uns auch, glaube ich, dazu, unser Bild von konservativ und progressiv, diese Etiketten, die man diesen Künstlern eigentlich immer so anklebt, mal zu revidieren.

    Müller-Ullrich: Carsten Probst über eine George-Grosz-Ausstellung in Berlin in der Akademie der Künste.