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Ein utopisches Dokument seiner Zeit

Die politischen Leistungen Konrad Adenauers sind heute weitgehend anerkannt. Die Verdienste des ersten Kanzlers der Bundesrepublik um die deutsche Einheit blieben jedoch immer umstritten. Die Berliner Erklärung zur Wiedervereinigung, die heute vor 50 Jahren unterzeichnet wurde, sollte die Westintegrationspolitik legitimieren. Sie zeigte aber zugleich die Grenzen der Deutschland- und Ostpolitik Adenauers auf.

Von Bert-Oliver Manig |
    Am 29. Juli 1957 unterzeichneten die Botschafter Frankreichs, Großbritanniens und der USA sowie Bundesaußenminister Heinrich von Brentano im Schöneberger Rathaus in Berlin eine Erklärung, in der sich die vier Regierungen zum Ziel der Wiedervereinigung Deutschlands bekannten. Den Kern dieser Berliner Erklärung brachte der britische Botschafter, Sir Christopher Steel, auf den Punkt:

    "Wir bestehen weiter auf freien Wahlen in ganz Deutschland und auf der Freiheit einer gesamtdeutschen Regierung, über ihre eigene Politik selber zu entscheiden. Das verstehen wir unter Wiedervereinigung in Freiheit."

    Im Klartext hieß dies: Die Sowjetunion sollte nicht nur die DDR preisgeben, sondern sogar eine NATO-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands akzeptieren. Das war denkbar unwahrscheinlich. Von einem der drei beteiligten Botschafter wurde denn auch die Bemerkung kolportiert, die Berliner Erklärung sei "nicht gerade geeignet, die Welt zu verändern".

    Tatsächlich stand die deutsche Einheit seit dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik im Mai 1955 und der anschließenden Eingliederung der DDR in den Warschauer Pakt nicht mehr auf der Tagesordnung der internationalen Politik. Die Voraussage von Bundeskanzler Konrad Adenauer, nach der Westintegration der Bundesrepublik werde Moskau kompromissbereiter sein, hatte sich nicht erfüllt. Angesichts dieser Situation bestand der Zweck der Berliner Erklärung für Adenauer im laufenden Bundestagswahlkampf darin, deutschlandpolitische Aktivität und die Solidarität der westlichen Verbündeten nachzuweisen. Reinhold Maier, der Vorsitzende der oppositionellen FDP, kritisierte:

    "Die Bundesregierung hat das heiligste Anliegen unserer Nation - die Wiedervereinigung - zum Gegenstand einer misslungenen Wahlvorstellung und Propagandaschau gemacht."

    Für Konrad Adenauer hatte die Berliner Erklärung aber durchaus auch ihren außenpolitischen Wert. Den Bundeskanzler beunruhigten Vorschläge für eine Abrüstung in Mitteleuropa, wie sie seit März 1957 auf der Londoner Abrüstungskonferenz diskutiert wurden. Darin witterte er die Gefahr, dass die Sicherheit der Bundesrepublik geopfert und die DDR auf kaltem Wege auch im Westen anerkannt werden könnte. Um dies zu verhindern, hatte er in der Berliner Erklärung die Klausel durchgesetzt:
    "Alle Abrüstungsmaßnahmen, die auf Europa angewandt werden, müssen die Zustimmung der betroffenen europäischen Nationen erhalten und die Verknüpfung der europäischen Sicherheit mit der deutschen Wiedervereinigung berücksichtigen."

    Im wachsenden Unabhängigkeits- und Entspannungsbedürfnis in Osteuropa, insbesondere im reformkommunistischen Polen, sah Adenauer in erster Linie ein Zeichen sowjetischer Schwäche, das ihn in seiner kompromisslosen Haltung bestärkte. Eine Entspannung des Verhältnisses zu Polen hielt er außenpolitisch für nebensächlich, mit Rücksicht auf die Vertriebenverbände innenpolitisch sogar für schädlich:

    "Die Deutschland-Politik der polnischen Regierung ist in erster Linie durch die stets wiederholte Erklärung gekennzeichnet, dass jede Änderung der so genannten Friedensgrenze an der Oder-Neiße-Linie unmöglich sei. Eine völlige Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen ist unter diesen Umständen zurzeit schwer vorstellbar."

    Konrad Adenauer wusste, dass über die deutsche Einheit letztlich in Moskau entschieden wurde. Seine Bewunderer machen heute geltend, dass seine Wiedervereinigungsstrategie, die langfristig im Grunde auf eine Kapitulation der UdSSR vor der NATO setzte, 1989 schließlich zum Erfolg geführt habe.

    Doch schon Zeitgenossen Adenauers erkannten, dass eine aktive Entspannungspolitik gegenüber den Staaten Osteuropas die Voraussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands war, weil nur so die zuvor notwendigen Reformprozesse im Ostblock ermöglicht wurden. So urteilte Reinhold Maier nach der Unterzeichnung der Berliner Erklärung:

    "Die Bonner Politik ist rückständig, weil sie an den Ereignissen in Osteuropa vorbei sieht und es unterlässt, die Lösung der deutschen Frage in das Verlangen der europäischen Völker nach Freiheit und Sicherheit einzubetten. Es geht nicht darum, den Russen ein europäisches Sicherheitssystem als Kompensation für die NATO-Mitgliedschaft Deutschlands anzubieten. Es geht vielmehr darum, den europäischen Völkern in West und Ost Sicherheit vor Angriff und Einmischung zu geben und ihnen die Furcht vor einem geeinten Deutschland zu nehmen."