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"Ein Verbot der NPD ist dringend notwendig"

"Die NPD richtet sich direkt gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung", sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD im Bundestag, Thomas Oppermann. Aufgrund ausreichender Beweise dafür sei ein erneutes Verbotsverfahren durchaus nicht zum Scheitern verurteilt.

Thomas Oppermann im Gespräch mit Christoph Heinemann | 01.02.2013
    Christoph Heinemann: Thema NPD-Verbot. Die SPD will heute im Deutschen Bundestag beantragen, dass der Bundestags-Innenausschuss sich mit der Sache beschäftigt – genauer, dass er das von den Verfassungsschutzbehörden gesammelte Material unter die Lupe nimmt und dann eine Empfehlung für einen Antrag auf Verbot der rechtsextremen Partei abgibt. Zum Hintergrund: Der Bundesrat, also die Vertretung der Länder, hatte im vergangenen Jahr beschlossen, beim Bundesverfassungsgericht einen neuen Verbotsantrag zu stellen. Ob Bundestag und Bundesregierung mitmachen, steht aber nicht fest, und das hat nichts mit Sympathie für die NPD zu tun. Die Sorge ist groß, dass es wieder schief gehen könnte wie 2003. An dieses Scheitern zu SPD- und Grünen-Regierungszeiten erinnert sich - hoffentlich gut - Thomas Oppermann, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen.

    Thomas Oppermann: Guten Morgen!

    Heinemann: Sie erinnern sich?

    Oppermann: Ich erinnere mich gut. Das war damals ein schockierendes Erlebnis. Aber ich glaube, wir sind heute besser vorbereitet. Ein Jahr lang haben die Innenminister von Bund und Ländern die Beweise gesammelt, gesichtet, bewertet. Sie haben die Verbindungen mit V-Leuten in den Führungsgremien der NPD abgebrochen und damit ein entscheidendes Verfahrenshindernis beseitigt. Das Ergebnis der Untersuchung ist klar: Die NPD ist eine in Teilen gewaltbereite, eine antisemitische, antidemokratische, eine ausländerfeindliche Partei.

    Heinemann: Das nachzuweisen, sagen alle Juristen, ist verdammt schwer – nach wie vor.

    Oppermann: Nun liegen tausend Seiten Beweise vor aus Quellen, die verwertbar sind, und natürlich ist die NPD nicht eine sogenannte Umsturzpartei. Das war das Leitbild für Parteienverbote in den 50er-Jahren. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, mit der es Kriterien für Parteienverbote entwickelt hat, ist ja schon 60 Jahre alt. Ich bin ganz sicher, dass das Bundesverfassungsgericht auch neue Maßstäbe entwickeln wird für das, was in einer freiheitlichen Demokratie erlaubt ist. Es wird eine klare Abgrenzung geben zwischen freiheitlicher Demokratie auf der einen Seite und dem organisierten Rassismus der NPD auf der anderen Seite. Die NPD richtet sich direkt gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, weil sie die Geltung der Grundrechte für Einwanderer, für Flüchtlinge, für anders denkende direkt in Frage stellt.

    Heinemann: Herr Oppermann, Ihr Kollege Hans-Peter Uhl von der CSU (Innenpolitiker) hat jetzt in einem DAPD-Interview gesagt, es muss gar nicht mal zum Showdown kommen zwischen dem Bundesverfassungsgericht, das vielleicht sogar Ihrer Argumentation folgen könnte und ein Verbot ausspricht, und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der dieses Verbot mit hoher Wahrscheinlichkeit dann nicht mittragen würde. Denn – so argumentiert Herr Uhl – schon Karlsruhe könnte den Gedanken der europäischen Konvention zur Verhältnismäßigkeit eines Verbots zur Anwendung bringen. Das heißt also: Er rechnet damit, dass sogar schon in Karlsruhe eben unter Verweis auf diese nächsthöhere Instanz ein Nein formuliert werden könnte.

    Oppermann: Dazu muss ich aber das europäische Recht gar nicht bemühen. Schon nach unserem deutschen Verfassungsrecht muss ein Parteienverbot natürlich verhältnismäßig sein, es muss geeignet sein, die Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen, es muss notwendig sein. Das wird das Bundesverfassungsgericht selbstverständlich prüfen. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass von der europäischen Menschenrechtskonvention ausgerechnet eine Partei geschützt werden soll, die selber darauf ausgerichtet ist, Menschenrechtsverletzungen zu begehen, und da hat der Europäische Gerichtshof ja auch in verschiedenen Urteilen klar gemacht: niemand darf sich auf die Rechte der Konvention berufen, der beabsichtigt, die Demokratie zu zerstören. Das heißt sinngemäß oder vereinfacht gesagt: Keine Freiheit für die Feinde der Demokratie.

    Heinemann: Aber garantieren können Sie einen Erfolg nicht?

    Oppermann: Niemand kann hier etwas garantieren. Dies sind Gerichtsverfahren mit notwendigerweise offenem Ausgang. Aber noch nie waren die Chancen für ein NPD-Verbot so gut wie heute, und deshalb sind wir der Meinung, dass nicht nur der Bundesrat, sondern auch die Bundesregierung und der Bundestag einen Antrag in Karlsruhe stellen sollen.

    Heinemann: Warum die beiden auch? Reicht es nicht, wenn sich im Falle eines Scheiterns nur eine Institution, nämlich der Bundesrat, blamiert?

    Oppermann: Ich finde, man muss hier eine Haltung einnehmen. Man kann durchaus sich entscheiden gegen einen NPD-Verbotsantrag. Aber man kann nicht, wie es im Augenblick Frau Merkel und Herr Friedrich machen, sagen, ich möchte weder sagen, dass ich für einen Antrag bin, noch möchte ich sagen, dass ich gegen einen Antrag bin, ich möchte mich da raushalten. Das geht gar nicht, das ist keine Haltung. Wir können nicht von den Menschen Zivilcourage verlangen, wenn sie rassistische Äußerungen im öffentlichen Raum erleben, aber selber sich vor solchen Entscheidungen wegducken. Ich bin dafür, dass der Bundestag eine Haltung einnimmt, und wir werden sehen heute, welche Haltungen die einzelnen Fraktionen in dieser Frage haben.

    Heinemann: Gleiche Bedenken gibt es übrigens bei Teilen der Grünen. Volker Beck, der Innenpolitiker, hat noch vor Monatsfrist die Bedenken des Bundesinnenministers ausdrücklich als berechtigt bezeichnet.

    Oppermann: Nun, wenn wir nur noch Bedenken tragen, dann werden wir nicht zu einem NPD-Verbot kommen.

    Heinemann: Aber das Verfahren eignet sich doch nicht für Hasardeure. Noch mal die Frage: Kann man es sich denn überhaupt erlauben, unterhalb einer Erfolgsgarantie ein solches Verbot zu beantragen, mit Blick auf das, was Sie schon mal angerichtet haben?

    Oppermann: Herr Heinemann, da sind 16 Innenminister und der Bundesinnenminister, die ein Jahr lang gearbeitet haben, Beweise zusammengetragen haben. Diese Beweise haben ein eindeutiges Bild ergeben von der NPD. Das ist eine Partei, die Menschenrechte von Minderheiten in Deutschland aggressiv bekämpft, die mit gewalttätigen Neonazi-Kameradschaften zusammenarbeitet, die die Steuermittel benutzt der Landtagsfraktionen, aber auch bei der Wahlkampfkostenerstattung, um gewalttätige Aktionen in Deutschland zu unterstützen gegen Minderheiten. Die NPD ist der geistige Nährboden für diesen Nationalsozialistischen Untergrund, aus dem die Terrormörder hervorgegangen sind. Dagegen muss man etwas tun und ich sage Ihnen, die haben das mit Sinn und Verstand gemacht. Das sind keine Hasardeure, die Innenminister unserer Bundesländer.

    Heinemann: Wieso gibt es dann bei namhaften Juristen und bei Ihren juristischen Kollegen so viele Bedenken?

    Oppermann: Ich glaube, es gibt viele, die es nicht für richtig halten, sich mit diesem Instrument unserer wehrhaften Demokratie, dem Parteiverbot, überhaupt zu beschäftigen. Die wollen lieber die politische Auseinandersetzung mit der NPD. Dann sollen sie das bitte auch sagen, aber nicht so tun, als ob es unüberwindbare juristische Hürden gibt, die NPD zu verbieten. Ein Verbot der NPD ist dringend notwendig.

    Heinemann: Hans-Peter Uhl sagt, das Parteienverbotsverfahren ist ultima ratio in unserem demokratischen Rechtsstaat und deshalb für politische Signalsetzungen völlig ungeeignet. Hat er da Recht?

    Oppermann: Was heißt ultima ratio? Ich würde sagen, dass unsere Demokratie sicherlich stark genug ist, eine verfassungsfeindliche NPD auszuhalten. Aber die Menschen, die Opfer der Politik dieser Partei, die sind es nicht. Es ist die Aufgabe des demokratischen Staates, Menschen, die Opfer rassistischer Übergriffe werden, zu schützen, sich schützend vor sie zu stellen. Ich habe mich damals dafür geschämt, dass unser Staat nicht in der Lage war, die Opfer des nationalsozialistischen Hintergrundes vor den braunen Mördern zu schützen. Und die NPD hat für dieses ganze Klima eine Schlüsselrolle. Sie schafft den geistigen Nährboden dafür und deshalb meine ich, wir sollten jetzt zum Mittel des Parteienverbotes greifen und eine klare Abgrenzung in unserer Demokratie ziehen. Das ist statthaft. Was ist freiheitlicher Meinungskampf und was ist organisierter Rassismus? Da brauchen wir eine klare Abgrenzung.

    Heinemann: Wird das NPD-Verbot Wahlkampfthema?

    Oppermann: Das glaube ich nicht. Wir sollten uns einigen. Wir haben ja mit unserem Antrag heute eine Brücke gebaut für alle anderen Parteien. Wir wollen sie nicht vorführen, sondern wir wollen die Diskussion vorantreiben. Wir wollen eine Entscheidung über den Innenausschuss des Deutschen Bundestages und dann auch eine Antragstellung des ganzen Bundestages. Die Bundesregierung will erst im März entscheiden. Ich glaube, am Ende werden wir alle dabei sein.

    Heinemann: Thomas Oppermann, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Oppermann: Ich bedanke mich auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Programmtipp:
    Freitag, 01. Februar 2013
    09:00 bis ca. 13:00 Uhr
    Übertragung aus dem Deutschen Bundestag
    Tagesordnung:
    1. Gemeinnützigkeitsrecht
    (ca. 90 Minuten)
    2. Erkenntnisse über Verfassungswidrigkeit der NPD
    (ca. 90 Minuten)
    Moderation: Axel Barckhausen (rbb)
    Livestream Dokumente und Debatten