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Ein Vorbild für China?

Demokratie in Taiwan, da denkt man vielleicht zunächst an prügelnde Abgeordnete im Parlament. Doch das chaotische Bild trügt. Taiwans Demokratie ist gefestigt und bei den Menschen unumstritten. Wenn es ein Land gibt, dessen Entwicklung als Vorbild für China dienen könnte, dann ist es Taiwan.

Von Klaus Bardenhagen | 20.11.2010
    Einer der wenigen Orte auf der Welt, wo man Chinesisch spricht und demokratische Wahlen abhält. Nächsten Samstag stehen wichtige Wahlen an, die als richtungweisend gelten auch für die künftige Politik gegenüber China. Der Wahlkampf hält das Land schon seit Wochen in Atem. Wie sehr die Demokratie in Taiwan verwurzelt ist, hat Klaus Bardenhagen in der Hauptstadt Taipeh erkundet:

    Wer in den letzten Wochen in den Straßen von Taipeh unterwegs ist, dem kann nicht entgehen, dass gerade Wahlkampf herrscht. Ganze Fassaden sind von Wahlplakaten verhüllt. An Balkonen und Fußgängerbrücken flattern Fahnen in den Farben der verschiedenen Parteien. Auf fast jedem Stadtbus strahlen Kandidaten um die Wette. Und damit auch der letzte Wähler mitbekommt, wo er sein Kreuz machen soll, fahren Lautsprecherwagen durch die Straßen.

    Lautsprecherwagen:
    "Liebe Mitbürger, ich bin Hong Jian-yi, Kandidat Nummer sechs für den Stadtrat von Taipeh."

    Es sind Lieferwagen oder Kleinbusse, auf dem Dach zwei große Megafone, die von früh bis spät ihre Runden drehen. Und am Wochenende so manchen Wähler aus dem Schlaf reißen.

    Lautsprecherwagen:
    "Bitte wählen Sie Hong Jian-yi, Kandidat Nummer sechs. Dankeschön."

    In Taiwan finden kommenden Samstag Regionalwahlen statt. Landauf, landab werben fast 8000 Kandidaten und Kandidatinnen um Stimmen. Ob als Oberbürgermeister der Hauptstadt Taipeh oder als Gemeinderatsvertreter in kleinen Bergdörfern. Zeng Chuan-da ist einer von ihnen. Wenn er in seinem kleinen Laden in einem Randbezirk von Taipeh Farben und Pinsel verkauft, trägt er nun stets eine Weste im Rot-Blau seiner Partei. Der schmächtige 63-Jährige möchte offizieller Vertreter für die rund 4000 Anwohner seiner Nachbarschaft werden. Dafür muss er sich gegen zwei Mitbewerberinnen durchsetzen:

    "Ich will die Lebensqualität im Viertel verbessern, die Straßen und Kanäle reinigen lassen. Und der Berg hinter den Häusern hier muss befestigt werden, damit es keinen Erdrutsch gibt."

    Um ganz kleine Themen geht es bei den Wahlen, aber auch um die große Politik. In den fünf wichtigsten Regionen Taiwans wählen die Bürger eine neue Regierung. Ungefähr so also, als gäbe es in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen gleichzeitig Landtagswahlen. Für Taiwans Regierungspartei, die Kuomintang, gelten die Wahlen als wichtiger Stimmungstest, ähnlich wie die Midterm-Election in den USA.

    Die oppositionelle Demokratische Fortschrittspartei DPP wittert ihre Chance. In den wichtigsten Bezirken gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen. In Neu Taipeh (Xinbei), der bevölkerungsreichsten Region Taiwans rund um die Hauptstadt, will die Partei-Vorsitzende selbst Bürgermeisterin werden. Gelingt ihr dort der Machtwechsel, hätte sie 2012 vielleicht sogar Chancen, Taiwans erste Präsidentin zu werden.

    Eine ihrer engsten Mitarbeiterinnen ist Hsiao Bi-khim. Die drahtige 39-jährige, Tochter eines Taiwaners und einer Amerikanerin, wird schon als mögliche Außenministerin gehandelt. Demokratie sei aus Taiwan nicht mehr wegzudenken, sagt sie im Wahlkampf-Hauptquartier, direkt gegenüber vom 20-stöckigen Rathaus von Neu-Taipeh. Obwohl das Land erst seit 1996 wirklich demokratisch regiert wird.

    Hsiao Bi-khim:
    "In unser Gesellschaft ist es völlig normal, dass der Präsident jeden Abend in Talkshows kritisiert wird. Die Menschen diskutieren gerne über Politik. Meinungsvielfalt bedeutet, dass die Wähler kritisch sind und Ansprüche an die Politiker stellen. Und so entsteht gesellschaftlicher Fortschritt."

    Taiwans Gesellschaft ist frei, aber politisch tief gespalten. 40 Jahre Kriegsrecht und Diktatur sind überwunden, doch nun gibt es zwei ungefähr gleich starke Lager mit ganz unterschiedlichen Ideologien - vor allem, was das Verhältnis zu China angeht.

    Die Regierungspartei Kuomintang hat ihre Wurzeln auf dem chinesischen Festland, nicht auf Taiwan. Die chinesischen Kommunisten waren mal ihre erklärten Feinde. Inzwischen aber bemüht die Regierungspartei sich um einen guten Draht nach Peking, vor allem im wirtschaftlichen Bereich.

    Der Oppositionspartei geht das zu weit. Sie ging aus Taiwans Demokratiebewegung hervor, die gegen das Einparteien-Regime der heutigen Regierungspartei auf die Straße gegangen war. Nun fürchtet sie Appeasement und einen schleichenden Ausverkauf von Taiwans mühsam errungener Demokratie an China.

    Und China stellt für Taiwan nach wie vor eine Bedrohung dar. Mehr als 1000 Raketen zielen auf die Insel. Die Volksrepublik betrachtet Taiwan als Teil ihres Staatsgebiets, auch wenn sie hier praktisch nichts zu melden hat.

    Trotz der politischen Spaltung ihres Landes wollen alle Menschen in Taiwan aber eines: Ihre Geschicke weiter selbst bestimmen und sich nicht von Peking regieren lassen, sagt Hsiao Bi-khim von der Opposition:

    "Politische Macht in diesem Land wird durch freie Wahlen legitimiert und nicht anders. Es gibt keinen Weg zurück zur Diktatur. Die Menschen dürfen Freiheit und Demokratie aber nicht als selbstverständlich ansehen. Vor nicht mal 30 Jahren war Taiwan noch unter Kriegsrecht, und der Kampf für die Demokratie hat viele Opfer gefordert."

    Dass Taiwans Demokratie gereift ist und Wurzeln geschlagen hat, werde auch in China wahrgenommen, sagt Su Zheng-ping, früher Chef von Taiwans größter Nachrichtenagentur. Chinas Medien zeichneten aber ein verzerrtes Bild, sagt Su, der mal in Deutschland studiert hat:

    "Inzwischen gibt es schon einige chinesische Medien in Taiwan, die hier stationiert sind, und die Journalisten können berichten, was sie hier sehen. Aber die wissen schon, was sie berichten können und was nicht."

    Einen besseren Eindruck bekommen chinesische Touristen, die seit zwei Jahren zahlreich nach Taiwan kommen, auf "Chinas Schatzinsel", wie sie es nennen. Das hat DPP-Politikerin Hsiao Bi-khim im Wahlkampf selbst erlebt. Obwohl Chinas Regierung ihre Partei als Separatisten-Organisation verteufelt und es in jeder Reisegruppe einen Aufpasser gibt, lassen sich einige Chinesen nicht abschrecken.

    Hsiao Bi-khim:
    "Sie haben sich angestellt, um uns die Hand zu schütteln, für Autogramme oder gemeinsame Fotos. Obwohl man ihnen eingeimpft hat, wir seien die Staatsfeinde, sind sie neugierig und wollen wissen, wofür wir stehen. Und wir können ihnen zeigen, wie lebendig unsere Demokratie ist."