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Ein Wendepunkt für die amerikanische Politik

"Wir haben das Glück in Amerika eine Wahl zu haben im November", sagt Fred Kempe, Präsident des amerikanischen Atlantik-Rates. Dadurch habe man im Vergleich zu Europa einen gewissen Vorteil. Die "Doppelkrise des Westens" sei jedoch ein Problem für die gesamte Welt.

Fred Kempe im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: In den USA steht Thanksgiving vor der Tür, Feiertage, die in den Staaten etwa so wichtig sind wie bei uns Weihnachten. Mit dem berühmten Truthahnbraten auf dem Tisch nehmen auch die Politiker einige Tage Auszeit. Aber sie schenken den Amerikanern nicht die so herbeigesehnte Einigung im Kongress, wie die USA von ihrem Schuldenstand herunterkommen wollen. Demokraten und Republikaner liegen heftig über Kreuz. Ein gemeinsames Superkomitee ist völlig zerstritten und ergebnislos auseinandergegangen. Der frühere Präsidentschaftskandidat der Demokraten John Kerry wirft den Republikanern vor, unbedingt die Steuern für die reichsten Amerikaner kürzen zu wollen. Während John Kerry von den Demokraten den Republikanern vorwirft, den gesamten Deal als Geisel nehmen zu wollen, kontert Jeb Hensarling von den Republikanern, auch wenn er nicht zum Komitee gehört, die Demokraten hätten keinen einzigen konstruktiven Vorschlag vorgelegt, wie die Haushaltsprobleme gelöst werden können. – In New York ist Fred Kempe am Telefon, er ist Präsident des Atlantic Council of the United States, des amerikanischen Atlantik-Rates, und er hat lange für das Wall Street Journal auch aus Berlin und Brüssel berichtet. Guten Abend beziehungsweise guten Morgen, Herr Kempe.

    Fred Kempe: Guten Morgen und guten Abend.

    Meurer: Ja, genau. Ist die Schuldenkrise in den USA, Herr Kempe, mehr eine politische, oder eine ökonomische Krise?

    Kempe: Es ist mehr eine politische Krise, die zu einer ökonomischen Krise führt. Aber mit dem Scheitern des Komitees fällt nun die wohl letzte Hürde für einen verschärften Wahlkampf. Ich glaube, alles wird jetzt entschieden im nächsten November und nicht bei dem Superkomitee.

    Meurer: Wie kann sich denn diese politische Krise auswirken auf den Arbeitsmarkt, auf die Konjunktur in den USA?

    Kempe: Kurzfristig wahrscheinlich nicht. Jetzt drohen automatische Kürzungen nach der Rasenmähermethode, aber das kommt erst im Januar 2013. Man hat versucht, durch diese Deadline und durch dieses Superkomitee ein bisschen Druck von dem Präsidenten zu nehmen, dass er zurechtkommt mit dieser Schuldenkrise. Jetzt hat das Superkomitee versagt. Obama ist natürlich sauer, die Demokraten sind sauer, die Republikaner sind sauer, aber dieses politische Spiel wird sich fortsetzen bis zum Januar 2013 und die ersten wirtschaftlichen Auswirkungen werden dann kommen. Aber die Märkte werden natürlich schon reagieren, weil die sehen, dass die Politiker nicht bereit sind, Kompromisse einzugehen, um Lösungen zu finden.

    Meurer: Wenn es ein solches politisches Spiel, oder einen solchen Stillstand, sagen wir mal, in Griechenland oder in Italien gäbe, würden die Ratingagenturen vermutlich sofort reagieren. Jetzt haben sie es Anfang dieser Woche im Fall der USA nicht getan. Warum halten Moody's, Fitch und Standard & Poor's in diesem Fall still?

    Kempe: …, weil diese automatischen Kürzungen sowieso kommen, also irgendwas wird gemacht. Man hat auch einen gewissen Vorteil in Amerika im Vergleich zu Europa. Wir haben das Glück, in Amerika eine Wahl zu haben im November, wo wir zurecht kommen und wir eigentlich entscheiden können, sind die Wähler eigentlich für die Lösung von Obama-Seite, oder von der republikanischen Seite. In Europa hat man natürlich eine deutsche Wahl, aber hat man keine gesamte Europawahl wie in Amerika, und ich glaube, die Märkte haben mehr Zuversicht, dass Amerika besser zurecht kommt mit seiner Krise als Europa.

    Meurer: Aber werden die Präsidentschaftswahlen in einem Jahr tatsächlich den gordischen Knoten zerschlagen können, oder wird nicht dann immer noch die andere Seite, nehmen wir an, Obama würde gewinnen, im Kongress alles blockieren können?

    Kempe: Das ist natürlich immer möglich. Was schade ist bei einer Demokratie: Eine Demokratie kann nur Erfolg haben, wenn beide Seiten bereit sind, Kompromisse einzugehen. Und was sich wirklich geändert hat in Washington ist, dass die beiden Seiten das nicht schaffen. Aber wie immer in einem demokratischen System sind die Wähler im Endeffekt Schuld. Politiker, die bereit sind, Kompromisse einzugehen, um politische Lösungen zu finden, werden bestraft. Politiker, die polarisieren, werden gewählt und ermutigt. Meine Frage bei diesem Erntedankfest, bei diesem Thanksgiving, wenn die Politiker nach Hause gehen: Was werden die Wähler sagen? Werden die sagen, das freut uns nicht, sie müssen Kompromisse eingehen, oder werden die eher die Politiker unterstützen? Einerseits hat der Kongress nur neun Prozent Unterstützung. Das ist ein historischer Tiefpunkt. Andererseits unsere Medienpolitik und auch die Tatsache, dass die Grenzen der Wahlkreise geändert sind, um sicherere Wahlsitze zu schaffen, das unterstützt eher diese Polarisierung. So es ist wirklich ein Wendepunkt für amerikanische Politik.

    Meurer: Stimmt es nicht mehr, Herr Kempe, dass in den USA eigentlich breite Schichten und die Mehrheit eine gemäßigte Politik der Mitte haben möchten?

    Kempe: Ja, ich glaube, es gibt immer noch eine ganz große Mitte. 40 Prozent der Wähler kategorisieren sich als unabhängig. Diese 40 Prozent werden eine große Rolle spielen in der Wahl. Aber in der Primary-Wahl geht das weit links und weit rechts. Die Republikaner und die Demokraten bringen sehr oft Kandidaten vor, die eigentlich die große Mitte der Amerikaner nicht befriedigen. Es gibt immer noch eine Möglichkeit eines dritten Kandidaten, aber es ist sehr schwierig, das zu bringen. So glaube ich, es ist eine sehr labile Zeit der amerikanischen Politik. Ich habe nie in meinem Leben erlebt, dass die Wähler und die große amerikanische Mitte so wütend sind. Aber was für eine Auswirkung wird das haben auf die Politik? Das ist noch nicht sicher.

    Meurer: Wer schafft es eher, seine Krise zu lösen, Herr Kempe, die USA, oder Europa?

    Kempe: Ich glaube, es wird Europa ein bisschen schwieriger fallen. Bei Amerika haben wir eine Krise des Finanzsystems und politischen Systems. In Amerika versucht man, die Krise zu lösen in einer Situation, wo man ein politisches System, Finanzsystem noch nicht hat, und deswegen finde ich die Situation in Amerika viel weniger gefährlich. Aber das Problem für die Welt ist: wir haben eine Doppelkrise des Westens, zweimal eine Doppelkrise. Das bedeutet, Europakrise und Amerikakrise gleichzeitig in einer Zeit, wo sowieso der Einfluss von West nach Ost und Süden geht, und gleichzeitig in Amerika und Europa eine wirtschaftliche Krise und politische Krise gleichzeitig. Das ist politisch genauso gefährlich, vielleicht noch gefährlicher als wirtschaftlich.

    Meurer: Fred Kempe, der Präsident des amerikanischen Atlantik-Rates in New York, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Kempe, schönen Dank und guten Abend nach New York. Auf Wiederhören.

    Kempe: Danke schön.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.