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Ein wenig erschlossener Markt

Doris Simon 2004 ist für die deutsch-libyschen Beziehungen nach Jahren sehr gedämpfter Kontakte ein Jahr, in dem sich eine ganze Menge getan hat. Zum einen hat Libyen seine Altschulden in dreistelliger Millionenhöhe beglichen, zum anderen – und das war noch viel wichtiger – stimmte Libyen 18 Jahre nach dem Anschlag auf die Berliner Diskothek La Belle einer Entschädigung der Opfer zu. In der Folge beschloss die Bundesregierung Verträge deutscher Unternehmen mit Libyen durch staatliche Hermesbürgschaften abzusichern. Und gestern beschlossen die Außenminister der Europäischen Union nun auch die Aufhebung des Waffenembargos gegen Libyen. Am Telefon ist nun Jochen Clausnitzer, er ist beim DIHK zuständig für das Referat Nordafrika. Guten Morgen!

    Jochen Clausnitzer Guten Morgen Frau Simon.

    Simon Herr Clausnitzer, wie wichtig ist das Fallen dieses letzten Embargos gegen Libyen für die deutsche Industrie?

    Clausnitzer Das Fallen des letzten Embargos zeigt vor allem, wie stark Libyen jetzt wieder eingebunden wird in die internationale Staatengemeinschaft. Wichtiger als das Fallen des letzten Embargos war sicher das von Ihnen angesprochene Wiederaufnehmen der Handelsdeckungen am 12. August diesen Jahres. Das erleichtert deutschen Unternehmen die Absicherung ihrer Ausfuhren nach Libyen erheblich.

    Simon Herr Clausnitzer, ist Libyen ein Markt, auf den deutsche Unternehmen nur gewartet haben?

    Clausnitzer Libyen ist ein sehr kleiner Markt aber auch ein sehr wenig erschlossener Markt. Das heißt es lohnt sich schon, etwas genauer hinzugucken. Libyen ist zur Zeit aufgrund des hohen Ölpreises sehr liquide. Wir haben rund 20 Milliarden US Dollar Devisenreserven, die momentan auf die Umsetzung in Projekte warten und da gibt es durchaus einige deutsche Unternehmen, die Interesse haben.

    Simon Wie ist die Stellung der Deutschen in Libyen? Es hat ja seit vielen Jahren Kontakte gegeben, auch in der schwierigen Zeit. Aber traditionell sind doch in Libyen die Italiener stärker vertreten.

    Clausnitzer Das ist richtig. Deutschland ist aber nach Italien der zweitwichtigste Handelspartner. Rund zehn Prozent aller libyschen Importe stammen aus Deutschland, allerdings weit abgeschlagen von den Italienern, denn ein Viertel aller libyschen Importe stammt aus Italien.

    Simon Es wird Ihnen beim DIHK sicher weh tun, aber die meisten Deutschen verbinden bei Industrie Deutschland und Libyen immer noch das Wort ”Giftgasfabrik" damit, aber darüber hinaus: Was sind wirklich die Sparten, wo deutsche Unternehmen in Libyen Erfolge haben?

    Clausnitzer Wachstumssektor ist natürlich immer noch die Petrochemie, der ganze Öl- und Gasbereich. Dort werden einige Gasaufbereitungsanlagen – das hat jetzt nichts mit Giftgas zu tun, sondern einfach nur mit der Raffinerie von Gasprodukten, beziehungsweise von Ölprodukten – dort gibt es einige Ausschreibungen. Das gibt natürlich auch dem libyschen Staat wieder die Möglichkeit mehr Einkommen zu generieren und auch wieder neue Projekte umzusetzen. Ein anderes Projekt ist zum Beispiel die Erschließung der unterirdischen Seen in der Wüste. Da werden große Wasserkanäle an die libyschen Küstenstädte gebaut und so wird die libysche Bevölkerung noch besser mit Wasser versorgt. Ein weiteres Projekt ist unter anderem der Kraftwerksbau und der Telekommunikationsbereich.

    Simon Erdöl, Kraftwerke, Telekommunikation – sind das vor allem Aufträge für Großunternehmen in Deutschland?

    Clausnitzer Sicherlich sind es zunächst erst mal Aufträge für die Unternehmen, die in Libyen bereits präsent sind. Denn in Libyen zählt – wie wahrscheinlich in keinem anderen arabischen Staat - der persönliche Kontakt. Oft funktionieren die Telefonanlagen nach wie vor noch nicht, und in Libyen schaut man sehr genau darauf, wie das persönliche Verhältnis stimmt, wie die persönliche Chemie stimmt. Das heißt, wenn Sie in Libyen Geschäfte machen wollen, dann müssen sie vor Ort präsent sein und persönliche Kontakte aufbauen. Das gilt für kleine wie für große Unternehmen.

    Simon Herr Clausnitzer, in der Vergangenheit galt Libyen ja über sehr lange Jahre hinweg als Schurkenstaat. Deutsche Unternehmen, die Handel mit Libyen getrieben haben, haben darüber am liebsten nie gesprochen. Hat sich das verändert?

    Clausnitzer Im April 2004 haben die US-Amerikaner ihre Sanktionen gegen Libyen aufgehoben. Es war ja auch so, dass Investitionen im Ölbereich durchaus sanktioniert wurden durch die USA. Man hatte mit Nachteilen bei der Auftragsvergabe in den USA zu rechnen. Das ist seit April 2004 vorbei und insofern besteht kein Hindernis mehr für deutsche Unternehmen, in Libyen Geschäfte zu machen und sicherlich auch kein Bedarf mehr, darüber zu schweigen. Es ist an sich auch nicht darüber geschwiegen worden. Wenn deutsche Unternehmen vor Ort tätig waren, haben sie das in der Regel mit den USA abgestimmt und sich dadurch natürlich auch EOS-Geschäfte abgesichert.

    Simon Sie sagen, es gibt keine Hindernisse mehr für deutsche Unternehmen, Sie sprechen die USA an, die auch Carte Blanche gegeben haben wie die EU. Aber stört es Unternehmer nicht, dass in Libyen nach wie vor Demokratie und Menschenrechte nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen?

    Clausnitzer In der ganzen arabischen Welt sind demokratische Strukturen erst im Entstehen. Das ganze ist ein Prozess, der auch in Europa Jahrhunderte gedauert hat. In der arabischen Welt wird das sicher nicht von heute auf morgen gehen. Das zeigen sicherlich auch die Erfahrungen in machen Staaten, wo man versucht, es zu forcieren. Ich glaube, dass wirtschaftliche Kontakte durchaus auch geeignet sind, den Gesprächskanal offen zu halten. Und dadurch, dass deutsche Unternehmen vor Ort bestimmte Menschrechtsstandards, arbeitsrechtliche Standards, Sozialstandards vorgeben, dass dies auch Auswirkungen haben wird auf die libysche Geschäftskultur und damit vielleicht auch auf die libysche Politik.

    Simon Aber wenn Sie Menschrechtsstandards sagen, das muss man sich nicht so vorstellen, dass von Unternehmen wirklich Menschenrechtsstandards in der Politik gefordert werden.

    Clausnitzer Es gibt durchaus deutsche Unternehmen, die bei dem Global Compact mitmachen, das heißt, die dafür gerade stehen, dass, wenn sie im Ausland tätig sind, sie bestimmte soziale Standards und auch Menschenrechtsstandards garantieren. Ich denke, dass der Standard bei deutschen Unternehmen sehr viel höher ist als bei libyschen Unternehmen es derzeit der Fall ist. Insofern glaube ich schon, dass die deutsche Wirtschaft ihren Beitrag dazu leisten kann. Sicherlich darf man die Erwartungen nicht zu hoch setzen, aber ich denke schon, dass es einen Beitrag bietet.

    Simon Herzlichen Dank für das Gespräch. Das war Jochen Clausnitzer, beim DIHK zuständig für das Referat Nordafrika.