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Einblicke in ein weibliches Mysterium

Sie ist ein Instrument der Selbsterfindung und der Selbstinszenierung, meint zumindest der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann. Für sein Buch "Privatsache Handtasche" hat er mit 75 Frauen gesprochen und war erstaunt, was sie alles mit sich herumtragen.

Von Veronika Bock | 04.10.2012
    "Im Supermarkt und eine Frau packt auf einmal ihre Handtasche aus und ich sag: Moment, beim einpacken, Sie haben ja vergessen ihr Gebiss einzupacken, da sagt sie das ist das Gebiss meines Mannes. Wissen Sie, ich muss das immer mitnehmen, wenn ich einkaufe, sonst isst er mir den ganzen Kühlschrank leer."

    Die Handtasche einer Frau. Meist ist sie:

    "Megaschwer und vollgestopft, da sind tausend Fächer drinne.

    Ich nenn es immer die never ending Tasche."

    Eine Tasche, in die alles hineingeht, was die Frau so zum Überleben braucht.

    "Da ist drin, was jeder so hat: Portemonnaie, Terminkalender und, Kugelschreiber, Handy."

    Nichts ungewöhnliches, nichts, was man nicht kennt.

    "Aber es ist trotzdem ein sehr, sehr intimer Bereich des Menschen","

    sagt Jasmin Heil, Taschenkennerin.

    ""Zum Beispiel gibt es ganz vorsichtige die immer Heftpflaster dabei haben. Man kann einfach sehr viel aus dem Menschen ablesen, wenn man seine Tasche betrachtet."

    "So dann hab ich ein kleines Döschen mit Lakritze, falls man mal was zum Naschen braucht."

    Nagelfeile, Kopfschmerztablette, Kassenbon. "Schwarze Löcher" nennen Frauen ihre Handtaschen, die für Männer anscheinend eine Art Mysterium sind. Jean Claude Kaufmann war überrascht, dass Frauen vor ihm ihre Handtaschen leerten und gerne über den Inhalt sprachen. Hat der Mann denn kein Internet? Dort packen Dutzende von Frauen freiwillig ihre Taschen aus, da gibt es keine Geheimniskrämereien, keine Scheu und auch keine Peinlichkeiten. Fast keine:

    "Dann so ein äh, ein kleines Täschchen mit na, was ist da wohl drinne, wie nenn ich's jetzt, mit Frauenstöpseln. Ihr könnt euch ja vorstellen."

    Schon immer, schreibt Jean-Claude Kaufmann, gab es Taschen. Das stimmt, aber was er verschweigt, nicht für Frauen und ihren persönlichen Bedarf. Den hatten sie nämlich noch gar nicht zu haben. Gewand-Taschen oder Seidenbeutel trugen sie. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts, mit der beginnenden Emanzipation, bekam auch die Frau eine echte Handtasche.

    Jasmin Heil: "Die Frau, die jetzt auch selbst ständig war, lange außer Haus war, brauchte ne stabilere Tasche. Also diese Beutel, diese Seidenbeutel, die schön verziert waren, wenn man da irgendwo hängen blieb, waren die kaputt, deshalb kam man nun drauf Ledertaschen zu produzieren."

    Die Handtasche ein Emanzipationssymbol - damals und heute taschengewordenes Zeichen für die Mehrfachbelastung der Frau.

    "Und hier außen, so ist das als Mami, hab ich einen Schnuller in meiner Handtasche."

    Die Last der täglichen Pflichten sammelt sich in den tiefen Schichten der Taschen und gerne deponiert auch der Mann noch etwas hinein: Autoschlüssel, Brieftasche, Handy, und Tempotücher hat er eh nie dabei.

    "So was haben wir denn noch alles hier drin? Hier eins, zwei, hab ich noch irgendwo ein, ja drei Packungen Tempotaschentücher."

    Zettel, Erinnerungsstücke, Talismane. Das hineintun, aus- und umräumen. Die Größe der Tasche, die Liebe zur Tasche. Viele Taschen oder eine Tasche, darüber sinniert der Soziologe Kaufmann. Er deckt auf, dass die Taschengröße je nach Lebensalter und Lebenslast variiert. Auch erkennt er, dass es einen Unterschied macht, ob man die Tasche in der Hand oder über der Schulter trägt. Tief wühlt er in Ordnung und Chaos und in der Taschenseele der Frau. Er kann sich nur lösen, weil sein Buch noch Handtaschenformat haben soll. Eines muss man ihm allerdings zu Gute halten: Nach und während der bisweilen langatmigen Lektüre, schaut man gerne auf die Taschen, die so durch die Welt getragen werden und fragt sich: was ist da wohl drin?

    ""Ja das war's.
    Ja das ist alles in meiner Handtasche, in dem kleinen Ding."

    Jean-Claude Kaufmann: Privatsache Handtasche.
    UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2012. 198 Seiten, 19,99 Euro