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Eindringliches Werk eines Wunderkinds

Sie ist die große unbekannte Bekannte der amerikanischen Literatur, verschüttet unter ihrem Ruhm, unter den Legenden, die sie selber schuf, an denen andere, Verleger, Agenten, ihre guten Freunde weiterwirkten: Carson McCullers, das Wunderkind, das, gerade 23, mit seinem Debütroman zum Star avancierte.

Von Annette Meyhöfer | 11.03.2012
    Die Bohémienne, die sich mit den enfants terribles ihrer Zeit herumtrieb. Die vereinsamte, schwer kranke Frau, viel zu jung verstorben. Auch wer nie eine Zeile von ihr gelesen hat, vermag doch den Titel ihres berühmtesten Werks zu zitieren, jene kluge Findung eines Lektors, der Strophe eines amerikanischen Gedichts nachempfunden und inzwischen fast ein geflügeltes Wort: "Das Herz ist ein einsamer Jäger".

    Dazu kamen die Filme, und fast alle ihrer Bücher wurden verfilmt. Kein geringerer als John Huston nahm sich ihres vielleicht schwierigsten Romans "Spiegelbild im goldenen Auge" an, und Marlon Brando spielte darin die Hauptrolle. Unter all dem Ruhm bleibt für immer ihr Bild, das Bild des jungen, leicht androgynen Mädchens mit den großen Augen unter dem Kurzhaarhelm. Eine "Mischung aus Raffinement und Wildheit, morbidezza und Naivität", wie Klaus Mann sie beschrieb. Und es bleibt ein Werk, das es endlich zu entdecken, wiederzuentdecken gilt, ihr leises, stilles Werk, so eindringlich, so bered.

    "Mein Leben war, dem Himmel sei Dank, fast vollständig ausgefüllt mit Arbeit und Liebe. Die Arbeit war nicht immer einfach, die Liebe auch nicht, wie ich hinzufügen möchte. Als ich siebzehn war, wurde mein Arbeitsleben mehrere Jahre lang durch einen Roman, den ich einfach nicht verstehen konnte, fast zunichte gemacht."

    So bescheiden, fast banal beginnt ihre Autobiografie "Illumination and Night Glare", Erleuchtung und dunkle Nacht. Einem Interviewer gegenüber wurde sie deutlicher:

    "Ich denke, dass es für künftige Generationen von Studenten wichtig ist zu wissen, wieso ich manche Dinge tat, aber es ist auch für mich selbst wichtig. Ich wurde über Nacht zu einer etablierten literarischen Persönlichkeit und ich war viel zu jung, um zu verstehen, was da mit mir geschah oder welche Verantwortung damit verbunden war. Ich muss unerträglich gewesen sein. Das, im Zusammenspiel mit all meinen Krankheiten, hätte mich fast zugrunde gerichtet."
    Aber gerade diese unvollendete, jetzt wieder neu aufgelegte Autobiografie, die sie 1967 nur mehr diktieren konnte, ist voll der Verklärungen, oft allzu vorsichtig, oft zu euphemistisch. Und auch die Kriegsbriefe, die sie zwischen 1944 und 1944 mit ihrem ehemaligen Mann Reeves McCullers schrieb, den sie bald zum zweiten Mal heiraten würde, scheinen mehr aus Wünschen geboren.

    Allein die ausführliche Chronologie und das ebenfalls wieder abgedruckte Exposé zu "Das Herz ist ein einsamer Jäger", damals "Der Stumme" betitelt, machen das Buch zu einer schönen, nicht zu missenden Begleitlektüre zu der wunderbaren Kassette, die der Diogenes Verlag herausgebracht hat. Sie enthält die vier Romane, neben dem Erstling, "Spiegelbild im goldnen Auge", "Frankie" und "Uhr ohne Zeiger", in einer revidierten Übersetzung, doch in der Aufmachung von damals: Die Umschläge der altertümlichen Rose sind eine Faksimile der Diogenes-Erstausgabe aus den 60er-Jahren.

    Diese Bände ihres Verlegers, Daniel Keel, seien ihre schönsten, hatte Carson McCullers einmal gesagt. Schon diese Ausstattung ist daher eine Verführung, sie endlich wieder zu lesen, die Dichterin der Einsamkeit und Isolation, der Grausamkeit und des Hasses und der Sehnsucht nach Liebe. Immer wieder kehrt sie dabei in die Welt ihrer Kindheit und Jugend zurück, in die Südstaaten. In Columbus, Georgia, ist sie 1917 geboren, die Tochter eines Juweliers und Uhrmachers und einer ehrgeizigen Mutter, die das musikalisch begabte Kind zum Genie erklärte.

    "Wunderkind" heißt denn auch ihre erste, 1936 in einer angesehen literarischen Zeitschrift veröffentlichte Erzählung. Aber das Wunderkind war vor allem eine strenge, eine harte Arbeiterin, die mit 17 nach New York ging, um, nachdem sie den Plan einer musikalischen Karriere aufgegeben hatte, Universitätskurse in kreativem Schreiben zu belegen. Selbst ihre schwere Erkrankung, vermutlich ein rheumatisches Fieber, hinderte sie nicht, die fast vierjährige Arbeit an "Der Stumme" zu beginnen; nicht einmal die Ehe mit Reeves McCullers, diesem Mann, der für sie wie ein Schock von Schönheit war, hielt sie davon ab.

    Angeblich hatten sie und der ehemalige Soldat und Bankangestellte bei ihrer Verheiratung 1937 einen Pakt geschlossen, wonach sie ein Jahr schreiben sollte, im nächsten Jahr er. Allein sie löste ihren Part ein, und 1940 erschien ihr großer Roman über die Kleinstadtwelt des Südens mit ihren Armenvierteln und 24-Stunden-Kneipen, ihrem Rassismus und ihrer Gewalt. In dieser Welt wird der Taubstumme John Singer, welch Paradox, zum wichtigsten Ansprechpartner für vier Menschen, für den trunksüchtigen Anarchisten Jake Blount mit seinen vagen kommunistischen Ideen und seinem Hang zur Gewalt, für den farbigen Arzt Dr. Copeland, diesen strengen Idealisten, der von der Befreiung der Schwarzen träumt, und für den verwitweten Cafébesitzer Biff. Vor allem aber sucht die junge Mick Kelly die Nähe des Taubstummen, deren Kopf erfüllt ist von Musik, so dass sie nachts durch die Stadt schleicht, um im Radio von Fremden eine Beethoven-Sinfonie zu hören.

    "Es war ganz unwichtig, wie Singer früher gewesen war. Wichtig war, dass Blount und Mick ihn zu einer Art Hausgott gemacht hatten. In ihm, dem Taubstummen, konnten sie alles sehen, was sie sich wünschten. Ja, so war das. Aber wie kam so etwas Merkwürdiges zustande? Und warum?"

    Schon bald ranken sich immer mehr Mythen um den würdevollen, leise lächelnden Mann. Ein Jude war er, nein, ein Türke, reich war er, nein, die Armen hielten ihn für einen ihresgleichen. Eine rätselhafte, fast symbolische Figur ist er, Projektionsfläche für die aus der Not geborenen Illusionen und Erlösungsfantasien, denen niemals Taten folgen würden.

    "Anfangs hatte er seine vier Besucher nicht verstanden. Sie redeten und redeten - von Monat zu Monat redeten sie mehr. Und er gewöhnte sich so an ihre Lippenbewegungen, dass er bald jedes ihrer Worte verstand. Und nach einiger Zeit wusste er schon vorher, was sie sagen würden, denn der Sinn war immer derselbe."

    Dabei ist er selbst ein Einsamer, sein körperliches Gebrechen auch ein Symbol für die seelische Gebrechlichkeit. Ganz erfüllt ist er von seiner geheimen, seltsamen Liebe zu dem ebenfalls taubstummen, dem verrückten Griechen Antonapoulos, mit dem er einst zusammenlebte, der nun in einer psychiatrischen Klinik dahinvegetiert.

    Als er stirbt, erschießt sich Singer. Und für all diejenigen, die ihn einst erehrten, zerbrechen ihre Träume. Dr. Copeland, zu Tode krank, wird auf die Farm seiner Verwandten verschickt. Blount muss nach einer Schlägerei die Stadt verlassen. Und Micks innere Welt, ihre Welt der Musik, ist untergegangen unter dem ewigen Ruf ihrer Familie nach Geld, Geld, Geld. Sie wird Verkäuferin in einem Warenhaus.

    "Sie fühlte sich so, als wäre sie immer wütend... Nur dass es eigentlich nichts gab, worüber man wütend sein konnte. Höchstens das Geschäft. Aber es hatte sie ja dort keiner darum gebeten, die Stelle anzunehmen. Also gab es wirklich nichts, worüber man wütend sein konnte. Ihr war, als hätte man sie betrogen. Nur dass sie niemand betrogen hatte. Also konnte man auch seine Wut an niemandem auslassen. Und dennoch - trotz allem hatte sie dieses Gefühl: betrogen."

    Aber das sind sie alle, betrogene Selbstbetrüger, das ist die leise Ironie dieses Romans, in dem die Liebe, einzige Rettung aus der seelischen Isolierung, zur Legende wird. Niemals konnte sich die Sehnsucht nach einem anderen, nach einer Gemeinschaft, einem Ideal erfüllen.

    Was nutzt dem halbwahnsinnigen Jake Blount, dass er ein Wissender ist, wissend um Ausbeutung und Not, wenn er damit doch nur ein "Fremdling im fremden Land" bleibt. So hat der traurige Realist Biff das letzte Wort: Man musste die Zerrissenheit zwischen einer verklärten Vergangenheit und einer finsteren Zukunft, zwischen Glauben und Bitterkeit einfach abschütteln, um gelassen, unsentimental dem nächsten Tag entgegenzusehen.

    Als dieser ungewöhnliche Sensationserfolg erschien, hatte Carson McCullers ihren zweiten Roman "Spiegelbild im goldnen Auge" bereits fertig. Es ist ihre produktivste Zeit, auch ihre berühmte Erzählung "Die Ballade vom traurigen Café" entsteht, dazu kommen feuilletonistische Arbeiten.

    Doch 1941 erleidet sie ihren ersten Schlaganfall, nur langsam erholt kehrt ihr Sehvermögen zurück. Im selben Jahr wird auch die Ehe von Reeves geschieden, der, eifersüchtig auf ihren Ruhm, zum Trunk neigend, sie zuletzt sogar um Geld betrog. Vielleicht lag es auch an ihrer sexuellen Ambivalenz. Ihre Wohngemeinschaft in Brooklyn mit dem englischen Dichter W. H. Auden ist von Gerüchten umwittert, hier verkehrten, hier lebten zeitweise auch Christopher Isherwood und Paul Bowles und die Mann-Geschwister, Erika und Klaus, mit ihrer Schweizer Freundin, der reichen Erbin Annemarie Schwarzenbach.

    Ihr, der lesbischen Journalistin und Schriftstellerin, widmete Carson McCullers ihren Roman um Begierden und unterdrückte Homosexualität, um Betrug und Hörigkeit. Die Kritik begegnete "Spiegelbild im goldnen Auge" wenig enthusiastisch, zu Unrecht, zeigte sie doch gerade ihre ganze Kunst der Verdichtung. Sie verzichtet auf die gelegentlichen Lyrismen des Erstling um eines fast rauen Kammerspiels niemals, niemals ohne ihre Dezenz aufzugeben, doch in einer so exakten, strengen Sprache.

    Mit der Zwangsläufigkeit einer griechischen Tragödie, freilich ohne deren Pathos, inszeniert sie die Geschichte um den Hauptmann Penderton in einer kleinen Südstaatengarnison, verheiratet mit einer Frau, die das Glück der Dummheit genießt, darum bei allen beliebt, in viele verliebt ist. Aber nicht unter Eifersucht leidet der Hauptmann, sondern unter seinen eigenen Neigungen.

    "Seine Persönlichkeit war in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Zu den drei Fundamenten des Daseins, Leben, Liebe, Tod, stand er in einem etwas sonderbaren Verhältnis. Was die Liebe betraf, so vermochte der Hauptmann, das männliche wie das weibliche Element in sich in einem, wenn auch heiklen Gewicht zu halten. Er vereinigte die Empfindlichkeit beider Geschlechter in sich, ohne jedoch ihre Stärken zu besitzen... Am Ende hätte er jenen Grundmangel, beziehungsweise jenes Zuviel gar nicht empfunden, wäre nicht seine Frau gewesen. Sie war der Anlass seiner Leiden. Denn er hatte die unglückliche Neigung, sich in ihre Liebhaber zu verlieben. Sein Verhältnis zu den beiden anderen Fundamenten des Daseins war wesentlich einfacher. Zwischen den beiden großen Instinkten, dem Lebenswillen und der Todesfurcht, neigte seine innere Waagschale entscheiden nach der zweiten Seite. Und deshalb war der Hauptmann ein Feigling."

    So ringen in ihm Leidenschaft und Haß, Bitten und Beschimpfungen, als er dem einfachen Soldaten Williams begegnet, der sich nachts heimlich ins Schlafzimmer seiner Frau schleicht, um sie, die er einmal nackt gesehen hat, still zu beobachten. In einer Schlüsselszene reitet Penderton ihr Pferd zu schanden, getrieben von seiner inneren Qual. Und an einem Baum lehnt dabei völlig entblößt der junge Soldat mit seinem so ebenmäßigen Körper. Am Ende wird er den Rivalen, den er liebt, erschießen, ein Zufall, eine Verwechslung und doch eine fast zwangsläufige Tat. Es ist ein Roman der Spiegelungen, der heimlichen Blicke, und so erklärt sich auch sein Titel. Einmal heißt es darin:

    "Ich sehe einen giftig grünen Pfau, mit nur einem einzigen riesigen goldenen Auge. Und darin spiegelt sich etwas ganz winziges..."

    Etwas Groteskes, ergänzt eine der Figuren. Grotesk wie die Liebe, die ewig unerfüllte Liebe, das Begehren, das sich mit dem Schauen begnügen muss. Es sei nicht schwer zu lieben, hat Carson McCullers einmal geschrieben, schwer aber geliebt zu werden, da der Geliebte durch die Liebe des anderen gezwungen werde, sich zu entblößen, und das mache ihn einsam.

    Nach dem Krieg heiratete sie Reeves McCullers erneut, und wieder begann der Kreislauf aus Trunkenheit und Wünschen und Selbstbezichtigungen. Sie reisten durch Europa, später mieteten sie sich sogar ein Gut in Frankreich. 1947 aber wurden sie gemeinsam mit einem Flugzeug nach Amerika zurückbefördert, beide auf einer Trage, sie nach ihrem zweiten oder dritten Schlaganfall, er im delirium tremens.

    Danach war sie linksseitig gelähmt, das Sehvermögen ihres rechten Auges zerstört. Als Autorin feiert sie mit weiterhin Triumphe, sogar am Broadway, mit der Dramatisierung ihres Roman "Frankie", die sie auf Drängen ihres engen Freundes Tennessee Williams selbst verfasst hatte.

    Dabei war dies stille innere Drama einer Pubertierenden, eines jener früh gereiften, jungenhaften Mädchens, in denen man so oft die Autorin wiedererkennen wollte. Die zwölfjährige, mutterlos aufgewachsene Frankie Addams, so hoch aufgeschossen, viel zu groß für ihr Alter, wild und anarchistisch, ist eine Herumtreiberin und manchmal sogar eine kleine Diebin. Ausgerechnet diese Frankie, die niemandem angehören wollte, keinem Klub oder sonst was auf der Welt, hat es eines Tages satt, Frankie zu sein. Das einsame, im Herzen so ängstliche Mädchen, eigentlich von aller Welt verlassen und getrennt, hat es satt, nur ein Ich zu sein, und sehnt sich nach einem Wir. Und dies Wir sollten ihr der Bruder und seine Braut bedeuten, mit denen sie nach ihrer Hochzeit in die Welt hinausginge, mit denen sie für immer zusammenbliebe.

    Die neue, die angstfreie Frankie nennt sich nun F. Janice, und bei der Hochzeit wird sie alles richten, endlich ein Teil der Welt sein, die ihr nun nicht mehr fremd, sondern mit allem, was darin geschah, auf eine verzauberte Weise natürlich vorkam. Von einer solchen Welt träumt auch die farbige Bedienstete Berenice mit ihrem, welch ein Symbol, seltsamen blauen Glasauge. "Rund, vernünftig, gerecht" sollte diese Welt sein, in der es keine Rassentrennung mehr gab, nur eine einzige große liebende Familie.

    Aber Berenice' gesundes Auge ist braun und traurig. Und so müssen sie sich selber genügen, sitzen den ganzen Sommer um den Küchentisch und spielen Bridge zu dritt, Frankie, Berenice und der sechsjährige altkluge John Henry, spielen ein Spiel, in dem ein paar Karten fehlen. Oder sie reden einfach nur, das ganze Buch ist eine Diskussion über das Glück und über die Vergeblichkeit.

    "Wir sitzen alle irgendwie in der Falle. Wir werden so oder so geboren und wissen nicht, warum. Und damit sind wir in der Falle... Aber vielleicht möchten wir alle raus aus unsrer Haut; aber da ist nichts zu machen: Wir sind nun mal in ihr drin und können nicht raus."

    Die Sexualität ist keine Lösung, das hatte schon die junge Mick Kelly erfahren müssen, das machten die Figuren aus "Spiegelbild im goldnen Auge" vor, das hat Berenice in ihren gescheiterten Ehen erlebt. Frankie wird den Soldaten, der sich ihr nähert, ganz einfach niederschlagen. Ebenso zwangsläufig scheitert Ihre symbolische Hochzeit, das Brautpaar reist ohne sie ab, lange hallt ihr flehentliches "Nehmt mich mit, nehmt mich mit" nach.

    Die Autorin aber sollte man nicht mit den seelisch Vereinsamten verwechseln, über die sie so sachlich, so kühl und doch nie ohne Einfühlsamkeit schrieb. Sie liebte, trotz ihrer Krankheit und ihren Behinderungen, nicht die einsamen Cafés, sondern die Geselligkeit, befreundet sich mit der Exzentrikerin Edith Sitwell, gab für die verehrte Tania Blixen ein Essen, nur Austern und Champagner, mit Marilyn Monroe und Arthur Miller.

    Ihre Ehe mit Reeves aber konnte sie nicht retten. Er schlägt ihr gemeinsamen Selbstmord vor, sie weigert sich. 1953 bringt sich Reeves McCullers, vielleicht im Delirium, in einem Pariser Hotel um, in jenem Jahr, als Fred Zinnemann "Frankie" verfilmt, als das erste Kapitel ihres Romans "Uhr ohne Zeiger" in einem Vorabdruck erscheint.

    "Der Tod bleibt sich immer gleich, doch jeder Mensch stirbt seinen eigenen Tod. Für J.T. Malone begann es so einfach und alltäglich, dass er eine Zeit lang das Ende seines Lebens für den Beginn einer neuen Jahreszeit hielt."

    Beinahe lapidar ist dieser Anfang, das Grauen und das Banale, das Ungeheuerliche und das Banale sind darin ganz selbstverständlich zusammengeführt, wie in diesem ganzen, schließlich erst 1961 erschienenen Roman, in dem so viel gestorben wird und der Tod doch immer wieder verdrängt wird. Das war ihre Kunst, Tragisches und Komisches nebeneinander zu stellen.

    Zeitweise erscheint der an Leukämie sterbende Apotheker Malone, der Mann, der eine Uhr ohne Zeiger beobachten muss, darin fast zur Nebenfigur degradiert, zur Seite gedrängt von der allmächtigen Gestalt des senilen fresssüchtigen Richters Fox Clane, der von seiner Unsterblichkeit überzeugt ist, dieses verbissenen Südstaatlers, der von Reparationen fantasiert und dem Wiederaufstieg seiner Provinz, dumm und grausam zugleich. Niemals würde er die Rassentrennung in Frage stellen und engagiert doch als Krankenpfleger und Sekretär einen jungen Schwarzen, Sherman mit den eisblauen Augen im dunklen Gesicht, den sein Enkel Jester heimlich begehrt.

    Dahinter verbirgt sich, fast wie in einem Kriminalroman, ein altes Geheimnis, ein anderes Drama auf Leben und Tod. Und am Ende steht fast zwangsläufig ein Lynchmord. Allein der sterbende Malone verweigert die Beteiligung daran. In der Klinik hatte er Kierkegaards "Die Krankheit zum Tode" gelesen, die Zeilen über den Verlust des Ichs, der sich so still vollzog, als wäre er nichts, weit weniger schlimmer als der Verlust eines Arms oder Beins, einer Ehefrau oder eines Fünf-Dollar-Scheins.

    "Als Malone vom Krankenhaus wieder nach Hause kam und jeden Nachmittag frei hatte, vertrödelte er seine Zeit. Er dachte an die Berge, den Norden, den Schnee, das Meer...dachte an das Leben, das er nicht gelebt hatte. Und er fragte sich, wie er sterben könne, da er ja noch nicht gelebt habe."

    Für Malone aber kehrt im Sterben das Leben zurück, nicht länger verwechselt er den Tod mit dem Beginn einer neuen Jahreszeit, sondern wird empfänglich für alles, was ihn umgibt, auch für die Liebe seiner Frau.

    "Er empfand nicht länger einen Widerwillen gegen die Natur, gegen die Dinge. Eine merkwürdige Leichtigkeit erfüllte seine Seele und erhob ihn über sich selbst.... Er war nicht länger der Mann, der auf eine Uhr ohne Zeiger blickte. Er war nicht allein, er wehrte sich nicht, er litt nicht. Nicht einmal an den Tod dachte er in diesen Tagen. Ein Sterbender war er nicht ...keiner starb, jeder starb."

    Carson McCullers starb am 29. September 1967. Noch kurz vor ihrem Tod hatte sie, auf Rollstuhl und Bahre angewiesen, John Huston in Irland besucht. Und bis zuletzt, bis sie ins Koma fiel, hatte sie auf eine Beinamputation gehofft, die ihr Erleichterung bringen sollte, der Termin stand schon fest. Hinter ihrer Ballade von Einsamkeit verbarg sich, und das ist kein Paradox, eine unermüdliche Hofferin.

    Carson McCullers: "Die Romane"
    Kassette mit vier Romanen: "Das Herz ist ein einsamer Jäger", "Spiegelbild im goldnen Auge", "Frankie", "Uhr ohne Zeiger".
    Diogenes Verlag, 1488 Seiten, 69 Euro.

    Carson McCuller: "Autobiographie. Illumination and Night Glare".
    Diogenes Verlag, 384 Seiten, 11,90 Euro.