Sanders: Unstrittig, Herr Stoiber, ist ja, dass etwas getan werden muss, dass es eine Reform der Renten geben muss. Ist es denn der Sache dienlich, vorab schon Bedingungen zu stellen? Kann man das nicht im Gespräch erarbeiten?
Stoiber: Das macht natürlich dann Sinn, wenn die Bundesregierung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen die Menschen im Grunde genommen getäuscht hat und das Vertrauen missbraucht. Sie ist ja im wesentlichen auch gewählt worden, weil sie den Menschen versprochen hat, sie würde die angeblich unsoziale Rentenreform von Kohl und Blüm zurücknehmen. Was sie jetzt macht ist im Grunde genommen wesentlich gravierender. Das sind wesentlich gravierendere Einschnitte in die Rentensystematik. Sie müssen sich einmal vorstellen, dass im Grunde genommen in den Jahren 2000 und 2001 etwa alleine an der Rentenkasse 17 Milliarden D-Mark gespart wird. Wenn man das noch mal weiter hochrechnet bis ins Jahr 2030, dann sind das etwa dreistellige Milliardenzahlen, die den Rentnerinnen und Rentnern durch diesen willkürlichen Eingriff entzogen werden. Das muss man den Menschen sagen, denn das ist Demokratie. Hier müssen wir über die unterschiedlichen Positionen reden. Wenn das die Bundesregierung aplaniert, dann sind wir bereit, miteinander zu reden, denn wir wissen auch, wir haben im Jahre 2035 nach den Berechnungen etwa doppelt so viele Rentnerinnen und Rentner auf die Arbeitnehmer gerechnet nach dem heutigen Maßstab. Das heißt, dann kämen wir, wenn wir nichts tun, zu einem Beitragssatz von 40 Prozent oder noch mehr, und das kann ja wohl nicht der Sinn der Politik sein. Deswegen müssen wir etwas tun, aber nicht unter den Voraussetzungen, wie die Bundesregierung hier eingestiegen ist.
Sanders: Nun argumentiert die Regierung damit, dass sie sagen, nach dem alten blümschen Modell wäre das Renten-Niveau langfristig auf 64 Prozent gesunken. Nach dem jetzigen Regierungsmodell würde dies nur bei 67 Prozent liegen.
Stoiber: Das ist erstens nicht richtig, denn das Modell von Herrn Riester geht ja praktisch innerhalb kürzester Zeit auf 67 Prozent, während das Modell von Herrn Blüm etwa im Jahre 2020, 2025 bei einem Renten-Niveau dann von 64 Prozent gelandet wäre.
Sanders: Herr Stoiber, wäre das nicht ehrlicher den Rentnern gegenüber zu sagen, ihr müsst damit rechnen, es geht so nicht weiter, und richtet euch schnell darauf ein, dass ihr auch eine Eigenvorsorge mit anbringt?
Stoiber: Ja, das haben wir doch getan! Das haben wir doch getan vor der Bundestagswahl. Wir haben doch die Rentenreform angepackt und haben gesagt, wir müssen das Problem, dass wir mehr ältere Menschen haben wegen der besseren Gesundheitsvorsorge- und das ist ja erfreulich-, dass wir wenige Kinder haben, gemeinsam jetzt lösen. Deswegen haben wir ja diese Rentenreform mit dem demographischen Faktor gemacht. Wir sind ja dann angegriffen worden wegen des Mutes, hier das Thema anzusprechen. Die SPD hat gesagt, wir würden Kahlschlag machen; sie würden das sofort wieder revidieren; das sei alles nicht notwendig. Mit dieser Verängstigung der Menschen und der Diffamierung unserer Reform haben sie unter anderem die Wahl gewonnen. Man kann doch in einer repräsentativen Demokratie, wo so viel auf Vertrauen aufgebaut ist, nicht so Politik machen. Man muss doch auch Verständnis haben, dass wir nicht bereit sind, unter diesen Bedingungen mit der Regierung über die Reform der Rentensystematik zu sprechen. Das muss, glaube ich, jedem eigentlich einleuchten, für den politische Kultur noch ein Faktum ist. Deswegen bleibt es bei dieser Position.
Sanders: Herr Stoiber, macht sich die CDU/CSU damit nicht zum Reformverweigerer, sprich: macht genau das, was Sie während Ihrer Regierungszeit der damaligen Opposition vorgeworfen haben?
Stoiber: Wir haben doch Reformen eingeleitet. Wir haben den Kündigungsschutz im Krankheitsfall reduziert, weil wir wettbewerbsfähiger gegenüber England und Frankreich werden wollten. Wir haben eine Steuerreform vorgelegt mit 30 Milliarden D-Mark Entlastung, und die ist von der Mehrheit der SPD im Bundesrat an die Wand gefahren worden. Wir haben bei der Rentenreform keine Willkür praktiziert, sondern wir haben vor der Wahl gesagt, wir machen einen demographischen Faktor und deswegen wird der Anstieg der Rente in den nächsten 25 Jahren sanft gemindert werden zugunsten der jungen Leute. Was hier jetzt gemacht wird ist im Prinzip eine Vollbremsung, reine Willkür. Da stellt sich der Arbeitsminister, die Bundesregierung hin und sagt, weil wir jetzt eine schwierige Kassenlage haben, reduzieren wir den Rentenanstieg alleine auf die Inflationsrate. Das hat es noch niemals in der 40jährigen Geschichte, seit wir die nettolohnbezogene Rente seit 1957, gegeben. Jetzt kommt die Regierung zu Positionen, die sie noch vor einem Jahr, vor zwei Jahren bekämpft hat. Jetzt kommt Herr Struck dazu und sagt, es wäre sinnvoll, den Spitzensteuersatz auf 35 Prozent zurückzudrängen. Vor einem Jahr noch hat er diese Vorstellungen, die Vorstellungen von Herrn Weigel, den Spitzensteuersatz von 39 Prozent einzuführen, also die Petersberger Beschlüsse, mit Gift und Galle bespuckt und er hat der Union vorgeworfen, sie würden die kleinen im Prinzip immer mehr belasten und das sei völlig unmöglich und das hätte eine soziale Schieflage.
Sanders: Herr Stoiber, würden Sie denn jetzt den Vorschlag von Herrn Struck mittragen, eine radikale Einkommenssteuerreform mit drei Stufen?
Stoiber: Das ist sicherlich ein Vorschlag, über den man reden kann, aber wir wollen im Prinzip beim linear-progressiven Tarif bleiben. Wir haben ja auch vorgeschlagen von 15 Prozent bis 39 Prozent. Man braucht ja nur noch einmal das, was 1996/97 entwickelt worden ist, die Petersberger Beschlüsse, herausziehen.
Sanders: Herr Stoiber, das sind ja eigentlich urliberale Ideen: drei verschiedene Einkommenssteuerstufen, einfaches System. Warum ist das nicht schon in der letzten Legislaturperiode umgesetzt worden, wenn Sie jetzt auch Sympathien dafür entwickeln können?
Stoiber: Sie brauchen doch Mehrheiten dazu. Wie wollen Sie denn etwas umsetzen, wenn sie einen Parteivorsitzenden Lafontaine haben, der den Bundesrat zu einer reinen Blockade macht und im Prinzip jegliche Gespräche verweigert hat. Wir kamen ja nicht einmal in den Vermittlungsausschuss.
Sanders: Und jetzt verweigern Sie die Gespräche?
Stoiber: Nein, das ist nicht richtig! Wir verweigern doch nicht die Gespräche. Die Leute sollen ein Konzept vorlegen. Wir sind jeder Zeit bereit, im Bundestag und im Bundesrat, notfalls auch im Vermittlungsausschuss ein Konzept zu entwickeln. Ich lasse mich hier jetzt nicht in einen Topf werfen mit Herrn Lafontaine und Herrn Schröder - die waren ja alle dabei -, die im Grunde genommen damals jedes Gespräch verweigert haben mit dem Hintergedanken, lassen wir den Kohl mit seiner Rentenreform an die Wand fahren, dann haben wir im Grunde genommen bessere Wahlchancen, denn das wird man Herrn Kohl anlasten und nicht uns als Blockade vorwerfen. Damit hat man auch Erfolg gehabt. Man hat die Wahl letzten Endes damit gewonnen zu Lasten der Arbeitnehmer, denn wir haben 1999 keine Steuerreform, wir kriegen sie im Jahre 2000 nicht und wir kriegen sie wahrscheinlich im Jahre 2001 auch nicht. Dann muss ich dazu noch sagen: Das was jetzt von Herrn Eichel vorgelegt worden ist - ich glaube, das ist noch viel zu wenig bekannt -, bedeutet letzten Endes, dass der kleine Unternehmer, der beispielsweise 80 000 Mark Gewinn macht, nach den Vorstellungen von Herrn Eichel künftig 10 260 Mark mehr Steuern zahlt. Wenn er aber 500 000 Mark Gewinn macht, dann hat er eine Steuerentlastung gegenüber dem heutigen Zustand von 35 042 Mark. Ich halte das geradezu für aberwitzig, dass eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung eine Unternehmenssteuerreform vorlegt, wo der, der mehr verdient, weniger Steuern zahlt und der, der wenig verdient, mehr Steuern zahlt. Also das ist schon eine Veränderung, eine Mutierung der SPD zu einer Art Neo-FDP, die für mich atemberaubend ist. Entweder wissen sie nicht was sie tun, rechnen die Dinge nicht nach, denn hier heißt es letzten Endes, der kleine soll mehr zahlen und der große soll weniger zahlen. Das ist nicht unsere Politik!
Sanders: Das war Edmund Stoiber, CSU-Vorsitzender und bayerischer Ministerpräsident. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.