Archiv


Eine Einigung beim Bündnis für Arbeit ist aus der Sicht der Gewerkschaften möglich

    Remme: Heute ist der 22. Januar. Heute in acht Monaten, am 22. September, wird gewählt, und dann wird sich zeigen, ob Gerhard Schröder die Quittung bekommt für voreilige Versprechungen im letzten Wahlkampf. Inzwischen ist wohl klar, dass es nicht mehr gelingen wird, die Zahl der Arbeitslosen deutlich zu senken - egal, ob die Kanzlerhand zuckt oder ob sie ruht. Edmund Stoiber sieht seine Chancen deshalb vor allem auf den Feldern der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Gerhard Schröder braucht gute Nachrichten von dieser Front, deshalb hat er zu einer weiteren Runde im Bündnis für Arbeit geladen; am Freitagabend will man sich zusammensetzen. Doch vor allem in der Tarifpolitik klafft zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern zur Zeit ein tiefer Graben. Am Telefon ist nun Klaus Zwickel, Vorsitzender der IG Metall. Guten Morgen Herr Zwickel.

    Zwickel: Guten Morgen Herr Remme.

    Remme: Herr Zwickel, Sie selbst, aber auch der IG BCE-Vorsitzende Schmoldt werfen den Arbeitgebern vor, das Bündnis platzen lassen zu wollen. Welche Anhaltspunkte gibt es dafür?

    Zwickel: Ja nun, wir haben spätestens seit gestern eine Bestätigung dieser Annahme, denn seit gestern gibt es ein Arbeitgeberpapier, was dreister und unverschämter nicht mehr sein könnte, nämlich dort sind Forderungen gestellt mit Blick auf das Bündnis für Arbeit, die immer an andere gerichtet sind ? an die Bundesregierung, an die Gewerkschaften ?, und keine einzige Forderung, nicht ein einziger Hinweis darauf, was die Arbeitgeber nun endlich selbst tun wollen, um Bündnisverabredungen aus der Vergangenheit nun umzusetzen. Und insoweit ist die Annahme wohl nicht aus der Luft gegriffen, nämlich dass die Arbeitgeber es wohl darauf anlegen, möglicherweise unter Alltagsbedingungen das Bündnis 'an die Wand fahren zu wollen'. Das wollen wir ? das sage ich ausdrücklich ? das wollen wir als Gewerkschaft nicht, das will wohl auch die Bundesregierung nicht, aber so, wie die Dinge aussehen, ist die Chance, einen Konsens zu erreichen, nicht sehr groß.

    Remme: Die Arbeitgeber bedauern, dass Sie, Herr Zwickel, aus diesem Papier zitiert haben, das ? so die Arbeitgeber ? nicht zur Veröffentlichung bestimmt war. Was sagen Sie dazu?

    Zwickel: Nun, das ist das übliche Spiel, das getrieben wird. Dieses Papier wird zunächst einmal breit gestreut in viele Redaktionen, um dann anschließend andere dafür verantwortlich zu machen. Fakt ist, dass aus den Vorgesprächen, was die Bündnisrunde betrifft, verabredet war, dass eben, weil die Schwierigkeiten groß sind, für diese Bündnisrunde kein vorbereitendes Kommuniqué gemacht wird, sondern dass sich aus der Diskussion der Partner heraus dann eben auch deutlich wird, wo es keine Übereinstimmung gibt. Und genau diese Absprache haben ganz offensichtlich die Arbeitgeber jetzt gebrochen, indem sie dann ein solches Papier in die Welt gebracht haben.

    Remme: Der Forderungskatalog, so sagen Sie, ist dreist und unverschämt. Aber ist es denn nicht normal, dass man im Vorfeld einer solchen Runde seine eigene Sichtweise, seine Maximalposition zu Papier bringt?

    Zwickel: Nun, genau das ist nicht das übliche Verfahren ? zumindest bislang nicht ? gewesen mit Blick auf das Bündnis für Arbeit. Bislang war es so, dass es natürlich unterschiedliche Auffassungen gibt - wie könnte das anders sein -, dass man auch über diese unterschiedlichen Auffassungen durchaus geredet hat, dass man sie publiziert hat. Aber alle Beteiligten waren in der Vergangenheit zumindest darauf bedacht, keine Maximalpositionen zu vertreten, weil ? ich sage mal ? so etwas wie ein Grundkonsens, zumindestens bis im März vergangenen Jahres, bestanden hat, nämlich Gemeinsamkeiten im Bündnis zu erarbeiten. Und das ist nicht möglich, wenn man sozusagen am Beginn Maximalpositionen vertritt, und genau das ist jetzt eingetreten. Ich denke, es ist nicht übertrieben zu sagen, es ist eine Serie unfairer Methoden, wie die Arbeitgeber mit dem Bündnis für Arbeit umgehen. Ich darf daran erinnern, dass im Ergebnis der letzen Bündnisrunde im März des vergangenen Jahres Herr Hundt den Ausspruch getan hat: 'Diese Runde ging 1 : 0 an die Arbeitgeber'. Damit war zum ersten Mal ein deutlicher Bruch des Bündnisses sozusagen angezeigt. Im Bündnis kann es keine Gewinner und keine Verlierer geben, das war das Grundverständnis bis zum letzten März. Und jetzt scheint diese Serie sozusagen dadurch fortgesetzt zu werden, indem man jetzt Maximalpositionen seitens der Arbeitgeber ? immer an andere und keineswegs an sich selbst ? stellt.

    Remme: Herr Zwickel, Sie wollen in dieser Gesprächsrunde nicht über Tarifpolitik reden . . .

    Zwickel: . . . nein . . .

    Remme: . . . andere Gewerkschafter, zum Beispiel Herr Schmoldt, der hält es für falsch, Themen auszuklammern, die zweifellos wichtig für den Arbeitsmarkt sind. Warum diese rigorose Haltung?

    Zwickel: Nun, schauen Sie: Die Arbeitgeber haben immer den Versuch unternommen, das Bündnis für Arbeit sozusagen ausschließlich zu einer Art tarifpolitischen Diskussionsrunde zu missbrauchen. Und mit diesem Konflikt leben wir im Grunde genommen im Bündnis für Arbeit von der ersten Stunde an. Wir haben auch im Bündnis alle möglichen Formulierungen in der Vergangenheit zum Thema Tarifpolitik gefunden, wir haben von bechäftigungsorientierter Tarifpolitik geredet und viele andere Formulierungen. Ergebnis ist, dass bei solchen Formulierungen in der Vergangenheit immer unterstellt war ? zumindestens auch in der Öffentlichkeit kommentiert wurde ?, dass dies die Folge hätte, wenn die Gewerkschaften und die Arbeitgeber Lohnzurückhaltung üben ? moderate Lohnabschlüsse gemacht werden ?dann werden die Voraussetzungen geschaffen werden ? so nach der klassischen Lehre ?, dass die Gewinne steigen, und dann werden in Investitionen zunehmen, und dann werden in der Folge auch die Arbeitsplätze zunehmen. Fakt ist, dass es in den zurückliegenden Jahren in der Tat ? Bündnis hin, Bündnis her ? moderate Lohnabschlüsse aus vielerlei Gründen gegeben hat, Fakt ist aber auch, dass genau die damit unterstellte Annahme und die von den Arbeitgebern stets propagierte Aussage, dass mit einer solchen moderaten Tarifpolitik die Arbeitslosigkeit reduziert würde und Arbeitsplätze entstehen würden, dass dies nicht eingetreten ist. Mit anderen Worten: Die Gewerkschaften haben überhaupt keine Veranlassung, in irgendeiner Form sich auch in dieser neuen Runde sozusagen zu ähnlichen Formulierungen bewegen zu lassen. Das ist einfach durch die Fakten widerlegt, und deshalb werden die Gewerkschaften dazu keine Aussagen machen.

    Remme: Ist denn nicht dennoch eine Art Gespräch dann ? wenn es so ist ? im virtuellen Raum, wenn die 6,5 Prozent, die die Metaller fordern, doch in jedermanns Hinterkopf sind?

    Zwickel: Diese 6,5 Prozent, die wird die IG Metall, möglicherweise auch andere, fordern. Und dann werden wir Tarifverhandlungen führen und dann zu einem Abschluss kommen. Dazu brauchen wir kein Bündnis.

    Remme: Herr Zwickel, vor diesem Hintergrund: Was kann am Freitag erreicht werden?

    Zwickel: Nun, ich denke, es gibt eine Reihe von Punkten, wo es durchaus Chancen gibt, dass auch weiterhin Übereinstimmungsmöglichkeiten erreichbar sind. Wie gesagt, ich glaube nicht, dass das Bündnis für Arbeit scheitert, zumindestens nicht aus Sicht der Gewerkschaften, und ich denke auch nicht aus Sicht der Bundesregierung. An ein paar Punkten werden mit Sicherheit die unterschiedlichen Auffassungen deutlicher werden als in der Vergangenheit, aber andererseits glaube ich ? ich will mal zwei oder drei Stichworte nennen ?, dass es notwendig ist, zum Beispiel bei dem ganzen Thema 'Job-aktiv' endlich vom Reden zum Handeln zu kommen, da können alle drei eine ganze Menge bewegen, nämlich dass endlich von diesem Jammertal ? wir hätten nicht genügend qualifizierte Arbeitskräfte ? dass da endlich konkret gehandelt wird, nämlich durch Gewerkschaften, durch Betriebsräte zusammen mit den Arbeitgebern ? da kann das Bündnis sozusagen die Initiativen weiterentwickeln. Ich denke, wir werden weiter diskutieren und auch Ansatzpunkte suchen müssen, inwieweit dass das Thema Teilzeitarbeit sozusagen noch weiter attraktiv gemacht werden kann. Das ganze Stichwort 'Qualifizierung' ? hier denke ich, gibt es große Übereinstimmung zwischen den Beteiligten. Das sind aus meiner Sicht zumindestens drei Bereiche, wo man Fortschritte und Gemeinsamkeiten feststellen kann. In anderen Bereichen wird es mit Sicherheit schwierig, aber dann wird man eben unterschiedliche Positionen haben, und es verbietet sich ja auch nicht, dass über diese unterschiedlichen Positionen sozusagen dann weiter diskutiert wird und gegebenenfalls die eine oder andere Frage konkret in einer der bestehenden vorbereitenden Arbeitsgruppen weiter behandelt wird. Mein Ziel wäre zumindestens, durchaus in den nächsten sechs Monaten dann ein weiteres Bündnistreffen zu machen. Denn eines darf nicht passieren - zumindestens nicht aus unserer Sicht, aus meiner Sicht darf nicht passieren -, dass das Bündnis sozusagen jetzt zum Wahlkampfthema gemacht wird.

    Remme: In sechs Monaten ? im Sommer ? , da sind wir in der Hochphase des Wahlkampfs. Ist das realistisch?

    Zwickel: Ja, im Mai ? Juni kann man das durchaus noch tun.

    Remme: Vor der letzten Bundestagswahl haben die Gewerkschaften mindestens acht Millionen Mark ausgegeben für eine Werbekampagne, die gemeinhin als Schützenhilfe für die SPD verstanden wurde. War das ? angesichts dieser Arbeitslosenzahl ? eine Fehlinvestition, Herr Zwickel?

    Zwickel: Das war keine Fehlinvestition. Die Gewerkschaften haben deutlich gesagt, wir brauchen eine andere Politik, wir brauchen eine Politik, die für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr soziale Gerechtigkeit bringt. Und ich denke, das, was diese Bundesregierung in der zurückliegenden Zeit gemacht hat, das ist insgesamt für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer positiv gelaufen. Da gibt es eine Reihe von Entscheidungen, die nur mit dieser Bundesregierung möglich gewesen sind. Das schließt nicht aus ? und das ist auch bekannt ?, dass die Gewerkschaften, insbesondere auch die IG Metall, an der einen oder anderen politischen Entscheidung durchaus Kritik und teilweise auch heftige Kritik geübt hat. Aber das gehört nun mal zur politischen Auseinandersetzung in einer Demokratie. Gewerkschaften gehören auch nicht zu denen, die erwarten können, dass ? egal, welche Bundesregierung wir haben ? die Bundesregierung nur ihren Wunschkatalog erfüllt. Aber es sind eine ganze Reihe von Punkten erreicht, die eben nur mit dieser Bundesregierung möglich gewesen sind. Und deswegen denke ich, werden auch die nächsten Monate ? Wahlkampfmonate ? hochinteressant werden ? was die einen versprechen und möglicherweise dann, wenn sie dann gewählt sind, dann genau das Gegenteil tun. Da haben wir ja nun 16 Jahre vor dieser Bundesregierung mit konservativer Politik genügend Erfahrung gemacht.

    Remme: Klaus Zwickel war das, der Vorsitzende der IG Metall. Herr Zwickel, vielen Dank für das Gespräch.

    Zwickel: Bitteschön.

    Link: Interview als RealAudio