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Eine erste Bilanz der Fußballweltmeisterschaft

Heinlein: Vier Spiele noch, dann ist diese Fußballweltmeisterschaft schon wieder zu Ende. Schon jetzt ein Turnier der sportlichen Sensationen und mit einer überraschend erfolgreichen deutschen Mannschaft. Dennoch: Für viele hierzulande ein echtes Ärgernis. Wer nicht bereit war, tief in die Tasche zu greifen, konnte nur einen Bruchteil aller Spiele auf dem Bildschirm verfolgen. Vor dem Halbfinale heute Mittag deshalb Zeit für eine erste Bilanz, und dazu begrüße ich jetzt am Telefon Josef Hackforth Er ist Leiter der Deutschen Sportjournalistenschule und Professor für Sport und Medien an der TU München. Herr Professor, wie hat denn Ihnen bisher diese Fußballweltmeisterschaft gefallen?

    Hackforth: Man muss sagen, sie kam sehr schwer in Gang. Es war dadurch, dass die TV-Rechte unterschiedlich vergeben waren, wir gewohnt waren, in den vergangenen Jahrzehnten dieses im gebührenpflichtigen Fernsehen, bei ARD und ZDF zu sehen, besonders in der Vorrunde keine WM-Stimmung zu vermelden. Das hat sich mittlerweile ein wenig geändert. Das ist verbunden mit dem Siegen und Weiterkommen der deutschen Nationalmannschaft. Die Quoten bei ARD und ZDF bei Übertragung der deutschen Spiele sind sehr gut. Darüber wird jetzt auch viel geredet. Allerdings, was eine Weltmeisterschaft ausmacht, das Ganze drum und dran, Land und Leute kennen lernen, sich dafür interessieren können, diese Stimmung habe ich nicht verzeichnen können.

    Heinlein: Wer nicht zahlen wollte - ich sagte es bereits -, musste eben beim Nachbarn schauen oder Radio hören. Wie hat denn das Bezahl-Fernsehen hier in Deutschland diese Fußballweltmeisterschaft verändert?

    Hackforth: Es hat sozusagen die Gemeinde der hochgradig Interessierten, die bereit waren, dafür sich einen Decoder zu leisten bzw. die den Gemeinschaftsempfang wieder erfunden haben und in Kneipen oder vor Großleinwänden zusammenzukommen, unterschieden von allen anderen Gruppen, die ein bisschen für Fußball interessiert sind oder ab und an sich Spiele der WM ansehen. Wir haben also einen kleinen, harten Kern von gut Informierten, von sehr Kompetenten, vornehmlich Männer mittleren Alters, als TV-Zuschauer für die WM, und ansonsten haben wir einen überwiegenden Teil von nur punktuell Informierten.

    Heinlein: Gute Quoten für ARD und ZDF bei dieser Fußballweltmeisterschaft. Dennoch gab es ja handfeste Kritik an den Leistungen unserer Live-Kommentatoren. Wie WM-tauglich waren denn aus Ihrer Sicht Fassbender & Co.?

    Hackforth: Nun, das ist ein Evergreen. Das wird als Frage nach allen großen Turnieren gestellt. Ich habe schon vor Jahren vorgeschlagen, die Kommentatoren zu bewerten nach ihrer Fachkompetenz, was die Taktik, die Technik, den Spielaufbau und andere Dinge anbetrifft, und die Vermittlungskompetenz: Was leisten sie für uns Zuschauer? Auch über das Stadion hinaus, welche Zusatzinformationen geben sie? Und da ist das Gefälle groß, und die Leistungen sind sehr unterschiedlich. Ich muss Ihnen sagen, dass nach wie vor, um etwas Positives herauszuheben, der nicht nur von mir, sondern auch von den Zuschauern geschätzte Marcel Reif, leider bei Premiere bei dieser Fußball-WM untergegangen ist. Seine Zusammenfassungen, seine Analysen, seine Kommentierung, denke ich, sind beispielhaft für die gesamte Gilde.

    Heinlein: Dennoch: Sind deutsche Sportjournalisten, wenn man sie jetzt im internationalen Vergleich nimmt, besonders lahm?

    Hackforth: Das ist sehr unterschiedlich. Also wir haben schon erlebt, dass Tore der deutschen Mannschaft enthusiastisch gefeiert werden, oder der Einzug ins Halbfinale plötzlich mit sich überschlagender Stimme vorgetragen wird. Natürlich ist das kein südländisches Temperament. Ich glaube, das würde auch zu uns Deutschen nicht richtig passen. Wir müssen einen Mix finden zwischen fundierter Information, und, wie ich immer sage, phantasievoller, kreativer Unterhaltung, über die wir auch schmunzeln können.

    Heinlein: Was erwarten die Zuschauer? Objektive Kommentare oder eben diesen Schuss Patriotismus, den wir aus Südamerika oder aus südeuropäischen Ländern kennen?

    Hackforth: Sie erwarten durchaus mittlerweile einen Schuss gesunden und ehrlichen Patriotismus. Sie erwarten weniger Nörgelei. Besonders unsere sogenannten TV-Experten auf allen Kanälen, ich glaube, das hat die meisten Zuschauer mittlerweile bis zur Weißglut genervt. Was dort an Häme, Zynismus und Spott ausgeteilt wurde, entsprach nicht mehr dem Gebot der Fairness, und es half auch der Mannschaft nicht mehr.

    Heinlein: Dennoch: Verglichen mit den Reaktionen in der Türkei oder Südkorea, fiel der Jubel in Deutschland über den erneuten Einzug ins Halbfinale relativ verhalten aus. Man ist unter den besten vier. Haben Sie eine Erklärung für diese moderate Freude?

    Hackforth: Zunächst einmal haben wir uns daran gewöhnt, dass die deutsche Fußballnationalmannschaft bei internationalen Wettbewerben relativ gut abschneidet, sogar dreimal Weltmeister geworden ist. Für Korea gilt das nicht. Da war die Vorrunde mit einem Sieg das Maß aller Dinge. Die Türkei hat noch nie an einer Fußballweltmeisterschaft teilgenommen und kommt dann ins Halbfinale. Das sind natürliche Premieren, die in diesen Ländern viel enthusiastischer gefeiert werden als sozusagen im relativ erfolgsverwöhnten Deutschland.

    Heinlein: Wird diese WM bei den Fans dauerhaft im Gedächtnis bleiben, auch wenn Deutschland am Ende den Titel nicht gewinnt?

    Hackforth: Es kommt sehr darauf an, wie die Partie heute ausgeht. Ich habe den Eindruck, wenn die deutsche Mannschaft mit Rudi Völler ins Finale kommt, wird auch diese WM, zwar nicht vorrangig, aber doch im Gedächtnis bleiben. Wenn die WM für die deutsche Mannschaft heute zu Ende sein sollte und mit dem Halbfinale sozusagen ein Ziel erreicht worden ist, dann wird es doch eine asiatische WM bleiben, die durch ungünstige Spielzeiten und Tageszeiten für uns nicht vorrangig im Gedächtnis bleiben wird.

    Heinlein: Und damit sind wir bei der finalen Frage unseres Gesprächs: Ihr Tipp für heute Mittag?

    Hackforth: Ich tippe auf ein 2:1 für Deutschland.

    Heinlein: Also hat Gary Lineker Recht: 22 Mann auf dem Platz und am Ende gewinnt Deutschland?

    Hackforth: Möglicherweise in dieser Frage: Ja.

    Heinlein: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio