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Eine Frage der Verfassung
Österreichs Umgang mit den Ultrarechten

In Österreich koaliert die konservative ÖVP schon zum zweiten Mal mit der rechtspopulistischen FPÖ. In Deutschland herrscht dafür wenig Verständnis: Wie kann man mit einer Partei, die nach rechtsaußen vernetzt ist, solchen Umgang pflegen? Die Gründe liegen im anderen Verfassungsverständnis des Nachbarlandes.

Von Norbert Mappes-Niediek | 14.04.2018
    Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ), die führenden Köpfe von Österreichs neuer Regierung.
    Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ), die führenden Köpfe von Österreichs neuer Regierung (imago / Eibner Europa)
    Wien ist nicht weit weg. Man versteht die Sprache, die dort gesprochen wird. Keine zwei Länder in der Europäischen Union gleichen einander in so vielen sozialen, politischen und kulturellen Aspekten wie Deutschland und Österreich. Und doch blicken Deutsche immer wieder verständnislos auf das Nachbarland. Schon zum zweiten Mal im neuen Jahrtausend hat im vergangenen Dezember hier eine Koalition unter Beteiligung der FPÖ das Ruder übernommen - mit einer rechtspopulistischen Partei also, die auch vielfältige Beziehungen zum Rechtsextremismus unterhält.
    In Deutschland weckt der Aufstieg der AfD in die Parlamente historische Erinnerungen. Hier, so eine weit verbreitete Auffassung, bahnen sich gesellschaftliche Kräfte ihren Weg, die schon die Weimarer Republik zerstört und am Ende die Katastrophe des 20. Jahrhunderts herbeigeführt haben. Die Haltung trägt dazu bei, dass es in der CDU kaum jemanden gibt, der Koalitionen mit der AfD fordert oder in Aussicht stellt.
    Tiefenstruktur des österreichischen politischen Denkens
    Historische Assoziationen kommen auch den Österreichern. Hier ist die Ablehnung gegen ultrarechts vielleicht weniger stark, wird aber immerhin doch von der Mehrheit geteilt. Doch kollidiert diese Ablehnung hier mit einem anderen wichtigen Prinzip: Für die meisten, die in Österreich aufgewachsen sind, gehören alle großen Parteien ihrem Stimmenanteil entsprechend nicht bloß ins Parlament, sondern auch in die Regierung. Dahinter steht ein anderes, eben ein österreichisches Verständnis von Fairness und Repräsentation. Der Verfassungsrechtler Joseph Marko erklärt:
    "Das ist sozusagen hier quasi die Tiefenstruktur des österreichischen politischen Denkens, wenn man so will, dass das bis in die Regierungsstrukturen hineingeht und auch in den Hinterköpfen für Koalitionsbildungen nach wie vor eine entscheidende Rolle spielt."
    Bleibt eine große Partei außen vor, so gilt das im österreichischen Sprachgebrauch als "Ausgrenzung" – und es ist umso fragwürdiger, wenn eine Partei aus inhaltlichen, aus politischen Gründen keine Ministerposten bekommt.
    Der Normalfall des Regierens ist in Wien die große Koalition, und entsprechend haben sich hier in nicht weniger als 46 von 73 Nachkriegsjahren die sozialdemokratische SPÖ und die christlich-konservative ÖVP die Regierungsämter geteilt. Auf der Ebene der Bundesländer waren große Koalitionen bis vor wenigen Jahren sogar in der Verfassung festgeschrieben: Alle großen Parteien kamen hier automatisch in die Regierung. Nicht ob zwei Parteien einander politisch nahe stehen, soll nach einer verbreiteten Auffassung darüber entscheiden, ob sie gemeinsam regieren. Sondern allein ihre Stärke. Der Grazer Staatsrechtler Marko:
    "Dieses Verständnis, dass also alle wichtigen politischen Kräfte auch in der politischen Repräsentation in Parlamenten und Regierungen wiedergespiegelt werden müssen, dass es also nicht um einen Wettbewerb zwischen Parteien, Mehrheit und Minderheit, Regierung und Opposition geht, sondern dass es darum geht, alle politischen Kräfte abzubilden – das hat natürlich auch seine historische Wurzel bis hinein in die Monarchie und dann nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges."
    Im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn konkurrierten vor allem Volksgruppen miteinander, die dann auch alle mitregieren sollten. Wer aus dieser Tradition kommt, erwartet auch längst nicht so sehr, dass Regierungsparteien in wichtigen Fragen an einem Strang ziehen, oder dass ein gemeinsames Projekt sie verbindet.
    FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache inszeniert sich beim Wahlkampfbeginn in Tirol.
    FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache inszeniert sich beim Wahlkampfbeginn in Tirol (imago / Zeitungsfoto.at)
    Und so ist der Rechtfertigungsdruck, der auf einer Regierung lastet, auch geringer als etwa in Deutschland – was die zuweilen irritierende Toleranz gegenüber Extremismus wenigstens zum Teil erklärt. Der neue Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache etwa verkehrte in seiner Jugend im Neonazi-Milieu. Wann aber und aufgrund welcher Erfahrungen er sich aus dieser Szene abgesetzt hat – das hat die Öffentlichkeit nie erfahren. Auch in seinem zweiten Leben als FPÖ-Politiker klang Strache lange Zeit kaum weniger radikal, wenn er vor vibrierenden Sälen härtere Abschiebungen von Asylbewerbern forderte:
    "Für was haben wir militärische Transportflugzeuge, wie die Herkules? Ich sage: Die Herkules umrüsten zu einer Abflugmaschine. Da können sie dann schreien und sich anurinieren. Da stört’s ja niemanden. Da werden sie abgeschoben!"
    Ursprung in den studentischen Burschenschaften
    Etliche Parlamentarier seiner Partei und viele, die jetzt in hohe Beamtenpositionen kommen, entstammen den studentischen Burschenschaften, die in Österreich allesamt sehr politisch und besonders radikal sind. Sie pflegen – als eine Art Geheimbund - den Glauben an die eine, große, auch Österreich umfassende deutsche Nation und sogar das Andenken an verstorbene Bundesbrüder, die zu NS-Verbrechern wurden. Und manche Parole, die heute Gemeingut der extremen Rechten in Europa ist, hat seit den 1980-er Jahren der legendäre FPÖ-Vorsitzende Jörg Haider vorgeprägt. Darunter die Vorstellung, dass sich die liberalen Eliten mittels Zuwanderung eine willfährige neue Mehrheit ins Land holen wollten:
    "Und weil man Angst hat, seine Mehrheiten von Wien bis Vorarlberg zu verlieren, beginnt man, ein neues Volk aufzubauen. Und ich sage euch: bevor man das Volk auswechselt, sollten wir beginnen, die Politiker in diesem Lande auszuwechseln!"
    Wie kann eine konservativ-christliche Partei wie die ÖVP mit solchen Leuten koalieren? Das wollte eine Journalistin des ZDF vom neuen Bundeskanzler Sebastian Kurz wissen. Kurz hatte eine für deutsche Zuschauer verblüffende Antwort:
    "Eine Grenze für jeden, für mich, für Sie, aber auch für jeden anderen Politiker oder Journalisten, ist das Strafrecht, sind gesetzliche Regelungen, und darüber hinaus gibt es schon noch so etwas wie Meinungsfreiheit, und das ist gut so."
    Gälte diese sehr weite Grenze, die Österreichs Kanzler für sich zieht, auch in Berlin, dann hätte die Regierungsbildung nicht so lange dauern müssen. Die Union, die SPD, selbst die Grünen hätten mit der AfD koalieren können. Die Partei ist schließlich nicht verboten.
    Zwar haben ÖVP und FPÖ, die jetzt in Wien gemeinsam regieren, durchaus auch ein gemeinsames Projekt – nämlich, wie Kurz in seiner Regierungserklärung deutlich machte:
    "Unser Weg wird auch nicht beendet sein, bevor es nicht wieder mehr Ordnung und Sicherheit in unserem Land gibt. Unser klares Ziel ist hier der ordentliche Schutz der Außengrenzen auf europäischer Ebene und der Kampf gegen die illegale Migration."
    Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) bei einer Pressekonferenz in Wien
    Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) (imago / Eibner Europa)
    Aber über die Frage, ob eine Koalition unter Einschluss der Rechtspopulisten überhaupt legitim ist, entscheiden nicht allein politische Sympathien. Es herrscht vielmehr ein besonderes Verfassungsverständnis. Die Philosophin Herlinde Pauer-Studer hat über nationalsozialistische Rechtswissenschaftler und Juristen geforscht und ist jedweder Sympathie für die extremen Rechten unverdächtig. Aber über die Zulässigkeit von Koalitionen mit ultrarechten Parteien denkt sie anders, als man es in Deutschland tun würde:
    "Ja, wenn eine Partei im demokratischen Spektrum zugelassen ist und sie nicht verboten ist, dann ist sie ein möglicher Koalitionspartner. So funktioniert Demokratie."
    Mögliche Koalitionspartner
    Ein möglicher Partner – aber nur unter einer wichtigen Voraussetzung, die zwar nicht für die ganze Partei gilt, wohl aber für die Mandatsträger, die sie stellt:
    "Jede Partei und jeder Bundeskanzler oder jeder Gewinner von Wahlen, der sich seine Koalitionspartner aussucht, muss natürlich sehr stark darauf bestehen, dass hier demokratische Verfassungsgrundsätze eingehalten werden, und dass alle Politikerinnen und Politiker, mit denen er dann die Koalition offiziell abschließt, hier sich zu den demokratischen Verfassungsgrundsätzen bekennen."
    Tun sie das nicht, stellen sie etwa aus lauter Abneigung gegen den Islam die Religionsfreiheit in Frage, dann disqualifizieren sie sich.
    Dass erst das Strafrecht die rote Linie für die Koalitionsfähigkeit von Parteien sein soll, wie Kanzler Sebastian Kurz es ausdrückt, ist allerdings auch in Österreich nicht ganz und gar selbstverständlich – nicht mehr jedenfalls.
    "Es gibt sehr wohl in Österreich – de facto und heftig diskutiert - eine viel komplexere rote Linie als nur das Strafgesetz", sagt der Wiener Politikwissenschaftler Anton Pelinka.
    "Die Sebastian-Kurz-Position ist erklärbar aus seinem strategischen Interesse, mit dem Koalitionspartner gut zu Rande zu kommen."
    Nicht alle denken so wie der Kanzler, der gegen ultrarechts eine so ganz und gar formale Position einnimmt - selbst in seinem eigenen Lager nicht.
    "Sie ist ja gleich kurz danach aufgebrochen, als im Land Niederösterreich, immerhin dem größten Land der Republik, ein freiheitlicher Spitzenkandidat nicht gegen das Strafrecht verstoßen hat, aber in seiner schlagenden Studentenverbindung ein offen antisemitisches, den Holocaust quasi verherrlichendes Liederbuch aufgetaucht ist, und die Landeshauptfrau von Niederösterreich - aus derselben Partei wie Sebastian Kurz – sofort gesagt hat: Mit diesem Herrn werde ich nie zusammenarbeiten!"
    Rund 1000 Mitglieder von studentischen Verbindungen aus Deutschland und Österreich haben sich im Innenhof der Wartburg in Eisenach zum Deutschen Burschentag versammelt.
    Studentische Burschenschafter aus Deutschland und Österreich (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    Dennoch bleibt im Umgang mit Extremismus zwischen beiden Ländern ein erheblicher Unterschied bestehen. In Deutschland definiert das Grundgesetz eine Kernsubstanz der Verfassungsordnung, nämlich Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die mit keiner noch so großen Mehrheit abgeschafft werden können. In Österreich nicht.
    "In Österreich ist auch die Demokratie mittels Volksabstimmung abschaffbar", erläutert der Verfassungsrechtler Joseph Marko.
    "Die Verfassung ist ein Regelsystem für das Funktionieren der staatlichen Organe, aber soll und darf den staatlichen Organen keine politischen Vorgaben machen. Das ist dieses positivistische Grundverständnis, das vor allem bei den gelernten Juristen, die ja lange Zeit ein sehr starkes Monopol auch im staatlichen Beamtenapparat ausgeübt haben, bis heute nachwirkt."
    Folgen für den Umgang mit Parteien
    Eine Art Satzung, ein Set von Spielregeln: Wenn sie wollen, können die Spieler mit Zweidrittelmehrheit auch ganz andere Regeln beschließen.
    "Im Unterschied zur Bundesrepublik Deutschland kennen wir nicht diese Ewigkeitsklausel, die im Bonner Grundgesetz vorhanden ist, dass Demokratie und Rechtsstaat und auch die Grundrechte verfassungsrechtlich so stark geschützt sind, dass nicht einmal das Parlament sie beseitigen könnte."
    Das grundsätzlich andere Verfassungsverständnis hat seine Folgen für den Umgang mit Parteien.
    "Es gibt in Österreich keine rechtliche Möglichkeit, Parteien zu verbieten", sagt Joseph Marko. Nach dem österreichischen Verständnis gibt es keine Vorgaben für das, was die Parteien an Inhalten in das politische Spiel einbringen. Das gilt und galt durchaus auch für Kommunisten. Nur eine Ausnahme gibt es.
    "Das einzige, das verfassungsfeindlich ist und eben darum auch verboten und durch das Verbotsgesetz vom demokratisch noch Zulässigen abgetrennt ist, ist der Neonazismus", erklärt Andreas Peham, Rechtsextremismus-Experte beim Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands. Der Neonazismus ist ausdrücklich verboten. Niemand verlangt in Österreich ein Bekenntnis zu demokratischen und liberalen Werten. Verboten aber ist die "Betätigung im nationalsozialistischen Sinne", wie es im so genannten Verbotsgesetz heißt.
    "Es ist, ich würde sagen, das rigideste Gesetz dieser Art in Europa."
    Verboten ist mit dem Gesetz nicht nur die Tätigkeit und die Neugründung nationalsozialistischer Organisationen, sondern, wie es im Text heißt, auch die "Leugnung, Verharmlosung, Gutheißung und Rechtfertigung des nationalsozialistischen Völkermordes oder anderer nationalsozialistischer Verbrechen gegen die Menschlichkeit".
    Demonstration der Identitären in Wien
    Demonstration der Identitären in Wien (imago / Chromorange)
    Strafbar ist aber nur der ausdrückliche Bezug auf den Nationalsozialismus, nicht die Propaganda für sonstiges totalitäres Denken und Handeln. Andreas Peham:
    "Und nur die dümmsten Neonazis machen noch diesen offenen Bezug auf den Nationalsozialismus. Die intelligenteren wissen genau, wie das Verbotsgesetz beschaffen ist und wie sie formulieren können, um nicht strafbar zu sein."
    Das formale Verständnis, wie es dem Strafrecht zugrunde liegt, bleibt in der politischen Sphäre nicht ohne inhaltliche Folgen – etwa da, wo es darum geht, wie Parteien sich organisieren dürfen. In Deutschland schreibt ein Gesetz ihnen eine demokratische Satzung vor. In Österreich nicht. Wenn sie wollte, könnte eine Partei zum Beispiel das Führerprinzip einführen, oder den sogenannten "demokratischen Zentralismus", wie es seit Lenin die kommunistischen Parteien getan haben, oder für den Vorsitz die erbliche Nachfolge im männlichen Stamm beschließen. Kein Gesetz würde sie hindern.
    Erfolgreiche Rechtspartei oder militanter Neonazismus
    Der Politologe Anton Pelinka sieht in dem österreichischen Weg, die Gefahr des Nationalsozialismus zu bannen, auch ein Problem.
    "In einer stabilen Demokratie sollte es ein solches Gesetz nicht brauchen, aber sicherlich braucht es eine wehrhafte Demokratie. Und dass alles am Begriff Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei hängt, ist natürlich eine Verkürzung des ganzen Problems. Denn da gibt es eben Strategien von Organisationen, die alles Mögliche sagen, aber immer genau an der Kante gehen, dass sie sagen können: Wir haben doch nicht gegen das Verbotsgesetz verstoßen!"
    So geben die Experten in Österreich gern zu, dass beide Verständnisse von Verfassung beim Umgang mit dem Rechtsextremismus ihre Vor- und Nachteile haben – das wertorientierte in Deutschland ebenso wie das neutrale in Österreich.
    Tatsächlich könne man in vielen Ländern beobachten, sagt Andreas Peham, dass es dort nur entweder eine große und erfolgreiche Rechtspartei oder aber einen militanten Neonazismus gebe – und nur in wenigen Ländern, etwa in Griechenland, beides. Das Argument wird besonders oft von der FPÖ vorgebracht und lautet dann sinngemäß: Seht her, ihr Deutschen! Wenn ihr die Rechtsextremen ausgrenzt, wie ihr es tut, dann werden sie militant! In Österreich, zitiert Andreas Peham das Argument eines FPÖ-Politikers, werden:
    "keine Asylantenheime abgefackelt und keine – sagt er, also wörtliches Zitat – 'Neger' geklatscht, weil sich die FPÖ des Ausländerproblems sozusagen politisch angenommen hat."
    Was allerdings stillschweigend voraussetzt, dass das gemeinsame ausländerfeindliche Ziel schon in Ordnung wäre, bloß eben die Methoden nicht. Tatsächlich jedoch ist die militante rechte Szene in Österreich kleiner und weniger dominant als etwa im Osten Deutschlands, und immerhin hat rechte Gewalt in den letzten zehn Jahren kein Todesopfer mehr gefordert.
    Kritik am österreichischen Weg übt Peham aber in einem anderen Punkt: Niemand, kein Verein, keine Partei, keine Organisation ist gezwungen, sich selbst mit nationalsozialistischem Gedankengut auseinanderzusetzen. Dafür gibt es ja die Gerichte.
    "Dieses Delegieren an eine übergeordnete Instanz, in dem Fall die Auseinandersetzung mit der Ideologie, mit den Inhalten, mit der Geschichte. Das entscheidet die Justiz, ob das zulässig ist oder nicht. Ich selbst als Teil der Zivilgesellschaft mache mir die Mühe nicht."
    Anton Pelinka kommt nach alledem zu einer klaren Schlussfolgerung
    "Grundsätzlich halte ich den deutschen Weg für den besseren. Der österreichische Weg ist historisch verständlich und wohl nur durch eine allmähliche Bewusstseinsänderung zu optimieren."
    Ein gemeinsames Verständnis von Normalität
    Ob die allmähliche Bewusstseinsänderung dann aber zu etwas ähnlichem wie dem deutschen Grundgesetz führt, ist noch lange nicht gesagt. Ein gemeinsames Verständnis von Normalität, die Übereinstimmung darüber, was die eigene Nation ausmacht, die Debatten über eine verbindliche Leitkultur, wie sie in Deutschland geführt werden - das alles klingt in einer modernen Gesellschaft zunehmend antiquiert. Und so kehrt die Philosophin Herlinde Pauer-Studer wieder zu dem klassischen, formalen, rechtspositivistischen Denken des alten Vielvölkerstaats Österreich zurück:
    "Ich glaube, dass dieser Begriff der Nation für sich schon problematisch ist. Was wir haben in Europa, sind Verfassungsstaaten, demokratische, vor allem auch in Hinblick auf die Zugehörigkeit zur Europäischen Union."
    Das Volk, wie man es sich zur Entstehungszeit des Grundgesetzes noch vorstellte, die Nation, die sich gemeinsam der Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit stellen musste, gibt es nicht mehr:
    "Es ist ja kein Geheimnis, dass die europäischen Verfassungsstaaten in den letzten Jahren eine erhebliche Immigration gehabt haben und bewusst auch Bürgerinnen, Bürger integriert haben, die sich niemals mit dieser komischen deutsch-nationalen Identität deklarieren würden."
    Das letzte Wort in der Frage, welches System mehr Zukunft hat - das deutsche oder das österreichische - ist, wie es scheint, noch nicht gesprochen.