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"Eine Freiwilligenarmee ist nicht notwendigerweise viel billiger"

Der Verteidigungsminister zu Guttenberg möchte die Bundeswehr reformieren. Hans-Georg Ehrhart vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, kritisiert in Bezug auf die Wehrpflicht: "Wir verharren noch immer bei der alten Debatte."

Hans-Georg-Ehrhart im Gespräch mit Gerd Breker | 24.08.2010
    Gerd Breker: Am Telefon sind wir nun verbunden mit Hans-Georg Ehrhart vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Guten Tag, Herr Ehrhart.

    Hans-Georg Ehrhart: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Die allgemeine Wehrpflicht, Herr Ehrhart, ist ja nicht ohne Grund eingeführt worden. Man wollte einen Querschnitt der Bevölkerung, man wollte den Staatsbürger in Uniform. Ist das eigentlich gelungen? Entsprach das jemals der Wirklichkeit?

    Ehrhart: Man wollte den Staatsbürger in Uniform, man wollte die gesellschaftliche Einbindung der neuen Armee. Aber der eigentliche Grund für die Einführung der Wehrpflicht war ein ganz anderer. Der eigentliche Grund war die Verpflichtung gegenüber dem Bündnis, 500.000 Mann aufzustellen, und das ging eben nur über die Wehrpflicht.

    Breker: Und da das jetzt nicht mehr nötig ist, kann man sie auch abschaffen?

    Ehrhart: Im Prinzip ja.

    Breker: Hat sich denn die Wehrpflicht eigentlich bewährt in der Rückschau?

    Ehrhart: Natürlich! Sie hat sich bewährt. Unter den damaligen politischen Rahmenbedingungen war es nicht nur die einzige Möglichkeit, es war auch die vernünftigste Möglichkeit. Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts haben sich die Rahmenbedingungen fundamental geändert und auch die Anforderungen an eine Bundeswehr. Und von daher gesehen ist die Debatte, die wir jetzt führen, dringend notwendig. Sie ist ja vor zehn Jahren schon mal andiskutiert worden mit dem Endergebnis eines Weizsäcker-Berichtes, der aber nicht ganz umgesetzt worden ist. Und wir müssen jetzt heute da weitermachen, wo wir vor zehn Jahren aufgehört haben.

    Breker: Kann man denn, Herr Ehrhart, tatsächlich die Wehrpflicht aussetzen und dann jederzeit, wenn die Bedrohungslage sich ändert, wieder einführen?

    Ehrhart: Man kann sie aussetzen und man kann sie wieder einführen. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Die meisten unserer Bündnispartner machen das bereits, praktizieren die Aussetzung der Wehrpflicht. Von daher gesehen sehe ich gar kein Hindernis, dass das nicht auch in Deutschland gemacht werden könnte.

    Breker: Wenn man eine Berufsarmee aufstellen wollte, welche Gruppen der Bevölkerung werden dann eigentlich von dieser Berufsarmee angezogen? Haben wir dann noch den Querschnitt?

    Ehrhart: Ich denke, in der Diskussion ist eher eine Freiwilligenarmee, denn eine Berufsarmee. Und ob diese Freiwilligenarmee dann auch den Querschnitt der Bevölkerung repräsentieren wird, das hängt ab von der jeweiligen, ich sage mal, sozio-ökonomischen Lage. Das war schon immer so. In schlechten Zeiten drang es junge Leute eher zur Bundeswehr als in ökonomisch guten Zeiten. Und das wird sich auch nicht ändern. Das ist eine Wellenbewegung, die geht auf und ab. Natürlich wird es künftig dann schwerer werden, Freiwillige zu werben, wenn die Bundeswehr ihre Attraktivität nicht verbessert. Das heißt, hier muss auch investiert werden.

    Breker: Investiert heißt, Geld muss ausgegeben werden?

    Ehrhart: Das ist richtig, denn eine Freiwilligenarmee ist nicht notwendigerweise viel billiger. Natürlich führt jetzt eine Reduzierung um ein Drittel, wenn es denn so weit kommen sollte, zu erheblichen Einsparungen. Das wird aber nicht reichen, um diese 8,4 Milliarden zu erreichen, die ja bis 2014 schon eingespart werden sollen.

    Breker: Zumal man ja auch überlegt, die Bundeswehr für mehr Auslandseinsätze einzusetzen. Sprich: Auch das wird teuer werden.

    Ehrhart: Ja, natürlich. Aber wenn man das politisch vorgibt, dann muss man auch die entsprechenden Strukturen schaffen. Denn mit einer Armee, die wir jetzt haben, mit 250.000, wovon noch nicht mal fünf Prozent einsatzfähig sind für einen Auslandseinsatz, da muss ja was nicht stimmen strukturell. Von daher gesehen ist der Gedanke gut und richtig zu sagen, was können wir ändern, wie muss diese Armee grundsätzlich restrukturiert werden. Die Debatte darf aber nicht dabei stehen bleiben zu sagen, machen wir eine Wehrpflicht oder eine Freiwilligenarmee, sondern sie muss darüber hinausgehen.

    Breker: Nur diese Überlegung, Wehrpflicht oder nicht Wehrpflicht, da tut sich ja die größte Regierungspartei, die Union, besonders schwer, weil sie sagt, das ist ein Stück Identität der Union, die Wehrpflicht. Kann man sagen, man lässt die Wehrpflicht sozusagen im Gesetz stehen, aber man wendet sie nicht an? Ist dieses Aussetzen eine Dauerlösung?

    Ehrhart: Das hängt letztlich davon ab, zu welchem Gesamtergebnis man kommt. Wir in der Forschung denken ja viel weiter und sagen. Warum denkt man nicht mehr über Milizsysteme nach, denn eine moderne Armee von 160.-, 170.000 Mann, die insbesondere für Auslandseinsätze zur Verfügung stehen soll, braucht ja jede Menge ziviler funktionaler Spezialisten. Das heißt, man muss überlegen: Wie kann man mit dem Reservistensystem arbeiten, wie kann man funktionale Spezialisten aus der Privatwirtschaft, Logistiker und so weiter, dafür engagieren, dass sie zeitweise für die Bundeswehr tätig werden können. Es muss also im Grunde genommen neu gedacht werden, neu angesetzt werden. So weit sind wir noch lange nicht. Wir verharren noch immer bei der alten Debatte, Wehrpflicht ja oder nein und ist das gut für die Demokratie ja oder nein. Unsere Partnerländer zeigen seit vielen Jahren, dass eine Demokratie nicht dadurch geschädigt wird, dass die Wehrpflicht ausgesetzt oder abgeschafft wird.

    Breker: Allerdings ist es sicherlich so, Herr Ehrhart, wenn die eigenen Söhne und Töchter in der Bundeswehr tätig sind, dass es eine andere Verankerung in der Bevölkerung gibt im Bewusstsein der Bevölkerung zur Bundeswehr, als wenn es eben halt nur die Freiwilligen sind.

    Ehrhart: Das ist in der Tat so und das mag man zwar bedauerlich finden, aber so sind die Realitäten. Und es hat ja keinen Zweck, alten Zeiten nachzusinnen, sondern wir müssen sehen, wie wir das Problem lösen. Und das Problem ist, dass die Bundeswehr heute im Vergleich zu den einsetzbaren Soldaten aufgebläht ist und die Strukturen radikal verändert werden müssten.

    Breker: Alles in allem: Der Friedensforscher und Sicherheitspolitiker Hans-Georg Ehrhart unterstützt den Bundesverteidigungsminister in seinen Bemühungen zu der Reform, jetzt und auch in der Form der Reform?

    Ehrhart: Das kann man sagen. Man muss wie gesagt, wie mehrfach schon gesagt, weitergehen, über ein Milizsystem nachdenken. Natürlich gibt es dort eine Reihe von Baustellen. Aber man kann nur hoffen, dass der Verteidigungsminister sich insofern durchsetzt, dass er einen Prozess anschiebt, der dann weitergehen muss.

    Breker: Und der bedeutet, dass der Bundeshaushalt nicht unbedingt Einsparungen auf Seiten der Bundeswehr vornimmt?

    Ehrhart: Es wird ein Punkt kommen, wo man zumindest das Ziel festlegen muss, den Level zu halten und nicht weiter sozusagen absinken zu lassen. Das wird auch eine politische Herausforderung sein, das durchzusetzen.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das Hans-Georg Ehrhart vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Herr Ehrhart, danke für diese Erläuterungen.

    Ehrhart: Gerne!