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Eine hinreißende Geschichte

Der Film "Ziemlich beste Freunde" war ein Kinohit des letzten Jahres. Nun kommt er auf die Bühne - und zwar mit Macht. Sieben Theater kündigen das Stück über die Freundschaft zwischen dem querschnittsgelähmten Philippe und seinem Pfleger Driss in dieser Spielzeit an – im Theater am Kurfürstendamm in Berlin ist jetzt Premiere.

Von Oliver Kranz | 27.09.2013
    Luftaufnahmen eines Gebirges werden auf die noch nicht erleuchtete Bühne projiziert. Dazu Filmmusik. Durch die Kamerafahrt entsteht ein Gefühl, als würden wir uns in die Geschichte hineinzoomen. Philippe, der beim Paragliding abgestürzt ist, sitzt vom Hals abwärts gelähmt in einem Rollstuhl. Er ist reich und kann sich Personal leisten. Gerade als er einen neuen Pfleger sucht, stürmt Driss ins Zimmer und hält ihm ein Formular hin.

    "Philippe: Erklären Sie uns Ihr Papier etwas genauer
    Driss: Ich brauche eine Unterschrift, um nachzuweisen, dass ich auf Arbeitssuche war, aber trotz meiner herausragenden Qualitäten (lacht) usw. schreiben Sie einfach das übliche Geschwätz, was da immer steht, dass Sie keine Verwendung für mich haben. Ich brauche drei Absagen fürs Arbeitsamt.
    Philippe: Verstehe, sie brauchen das Geld. Haben Sie keine Ziele in ihrem Leben?
    Driss: Doch habe ich, eins gucke ich grade an."

    Driss schaut zu Magali hinüber, Philippes großer blonder Privatsekretärin. Um flotte Sprüche ist er nie verlegen. Er trägt Jeans und ein Kapuzenshirt und weiß, dass die anderen vor ihm Respekt haben – schon allein wegen seiner Statur. Seine Arme sind mit Muskeln bepackt, die Haare armeemäßig kurz geschnitten. Er stammt aus Algerien und hat wegen Raubes im Gefängnis gesessen. Doch das stört Philippe nicht im Geringsten. Er ist froh, dass ihm jemand ohne Mitleid gegenübertritt.

    "Philippe: Kommen Sie morgen früh wieder, um neun, dann haben Sie die Unterschrift. Ich kann Sie leider nicht hinausbegleiten.
    Driss: Schon gut. Stehen Sie nicht auf, bleiben Sie sitzen. (Publikum lacht)"

    "Da gibt es nicht so viel Reflektion, wenn der redet. Da ist sehr viel Herz involviert. Das finde ich halt gut."

    … sagt Mike Adler, der Driss spielt…



    "Der schießt direkt den Satz raus, ohne zu überlegen, wie sage ich das jetzt, ohne jemanden zu verletzen. Der sagt das einfach. Das ist nicht böse gemeint."

    Und genau das ist der Reiz der Geschichte. Driss tapst von einem Fettnäpfchen ins nächste, aber da er mit einem gigantischen Selbstbewusstsein ausgestattet ist, macht ihm das nichts aus. Und für Philippe ist er genau der Richtige. Der fast völlig gelähmte Mann bekommt wieder Lust zu leben, raucht Joints, verabredet sich mit einer Frau.

    Die Figur ist im Theater nicht leicht zu spielen. Da Philippe nur den Kopf bewegen kann, fallen viele Ausdrucksmöglichkeiten weg. Doch Erdal Yildiz, der die Rolle in Berlin spielt, scheint innerlich zu leuchten…

    "Am Anfang dachte ich, wie schafft man das? Ich bin ein sehr körperlicher Mensch. Aber genau das ist der Punkt. Man braucht eine Körperlichkeit, um nicht körperlich zu sein. Alles läuft im Kopf."

    Und in Erdal Yildiz' Gesicht kann man die Wandlung der Figur mitverfolgen. Ihm gelingen unterstützt durch Lichtregie und das Spiel der anderen Momente, wo man sich nur auf ihn konzentriert – Szenen, die wie die Großaufnahmen von Philippes Gesicht im Film wirken.

    Das Stück bleibt auch insgesamt dicht am Film. Textautor Gunnar Dreßler hat die Dialoge fast unverändert übernommen und lässt das wenige, was er gestrichen hat, in indirekter Rede erzählen. Driss telefoniert zum Beispiel mit seiner Familie, statt sie zu besuchen. Und so gelingt etwas, was leicht fehlschlagen könnte: Die Theateradaption eines bekannten Films. Regisseur Martin Woellfer, der auch Direktor der Komödie am Kurfürstendamm ist, sieht sogar einen neuen Trend.

    "Bis vor Kurzem waren Theaterstücke oft Grundlage für Filme, weil die Autoren mehr fürs Theater geschrieben haben. Inzwischen ist es so, dass scheinbar die intelligenten Köpfe mehr für den Film oder für das Fernsehen arbeiten und dementsprechend muss das Theater vom Film abgucken."

    Ob man diese Beobachtung derart verallgemeinern kann, sei dahin gestellt. Aber in diesem konkreten Fall stimmt es: "Ziemlich beste Freunde" ist eine hinreißende Geschichte – im Film und jetzt auch im Theater.