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"Eine historische Gelegenheit für die Linke"

André Brie, Europaabgeordneter der PDS, sieht die vorgezogenen Neuwahlen zum Bundestag als Chance für die Linke. Wenn PDS, WASG und Oskar Lafontaine zusammen arbeiteten, könnten bundesweit deutlich mehr als fünf Prozent der Wähler erreicht werden. PDS-Chef Bisky forderte Brie auf, initiativ zu werden.

Moderation: Gerd Breker |
    Gerd Breker: Am Telefon begrüße ich nun den Europaabgeordneten der PDS André Brie, der Vordenker seiner Partei ist. Herr Brie, die PDS hat es in den neuen Ländern immer schwer gehabt, aber im Osten ist sie fest etabliert. Tut sich nun eine historische Gelegenheit auf, sozusagen die PDS gen Westen zu erweitern?

    André Brie: Ich denke, dass sich vor allen Dingen eine historische Gelegenheit für die Linke auftut. Es geht um viel mehr als ein Erfolg für die PDS. Es geht auch um mehr jetzt als 5 Prozent. Es gibt zum ersten Mal die Möglichkeit, dass eine deutlich erneuerte, eine offene deutsche Linke, die PDS umfasst, die WASG umfasst, die Oskar Lafontaine umfasst, die andere kritische Geister ansprechen sollte, bundesweit deutlich mehr als 5 Prozent bekommt, vor allen Dingen aber eine Partei, eine Kraft ist, die für einen politischen Richtungswechsel eintreten könnte.

    Breker: Eine Chance, die man unbedingt nutzen sollte, denn das Gespann Gysi-Lafontaine ist in dieser Mediendemokratie, in der wir ja leben, eine Zugnummer.

    Brie: Ja, das sehe ich auch so. Also das ist ein Glücksfall, allerdings oft nicht ausreichend. Es geht um eine klare inhaltliche und strategische Orientierung für ein solches Bündnis, und es geht darum, es wesentlich breiter zu machen als nur diese beiden Personen oder auch PDS und WASG bedeuten würde. Meiner Meinung nach ist viel mehr intellektuelles und soziales Potenzial in dieser Gesellschaft da.

    Breker: Und deswegen muss diese historische Chance genutzt werden?

    Brie: Aus meiner Sicht, ja. Ich würde es unverantwortlich finden, wenn man in der PDS, in der WASG, bei Oskar Lafontaine oder auch bei Gregor Gysi diese Chance nicht nutzen würde. Wir haben alle Meinungen, Urteile, auch Vorurteile übereinander. Wir haben in den letzten Jahren nie die Fähigkeit besessen, miteinander zu arbeiten, obwohl wir alle das Gleiche sagen, obwohl wir alle sagen, dass es eine riesige Verantwortung für sozial Deklassierte, für Menschen, die sozial verunsichert sind, in Deutschland gibt. Obwohl wir alle sagen, dass Alternativen, und zwar moderne Alternativen realistisch sind, möglich sind, haben wir in der Realisierung dieser Verantwortung, glaube ich, versagt, und für mich gibt es nur einen Maßstab: Wenn Lafontaine, Gysi, WASG, PDS und andere es wirklich ernst meinen, was sie gesagt haben an Kritik über die jetzige Politik, wenn sie es ernst gemeint haben mit ihrem Eintreten für sozial Benachteiligte, für Arbeitslose, für eine andere Politik, dann gibt es nur einen Maßstab, nämlich endlich zusammenzugehen.

    Breker: Nun will Ihr Parteivorsitzender Lothar Bisky bis Ende der Woche erst mal prüfen lassen, wie man das denn technisch hinbekommt. Warum ist er so zögerlich? Denn wo ein Wille ist, da müsste doch auch der Weg zu finden sein.

    Brie: Na ja, das ist schon schwierig. Einfach jetzt etwas Neues zu gründen in der Kürze der Zeit, dürfte nicht nur organisatorisch, sondern auch rechtlich gegenüber dem Bundesverfassungsgericht ordnungsgemäß abgewickelt werden. Alle Fristen müssen eingehalten werden, einschließlich natürlich der Fristen aus dem Wahlgesetz. Das dürfte sehr schwierig sein. Die beiden anderen Alternativen, dass man auf der Grundlage entweder der BASG oder der PDS kandidiert, sind leichter zu realisieren, aber die bringen dann natürlich für jeweils andere auch Probleme mit sich. Ich halte nur die Kandidatur auf der Grundlage der PDS für wirklich aussichtsreich. Allerdings würde es für die PDS bedeuten, dass sie mit aller Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit und unumkehrbar ihren Partnerinnen und Partnern deutlich macht, das ist jetzt nur der erste Schritt, es geht um eine neue Linke in Deutschland, es geht um Gleichberechtigung miteinander, es geht um eine radikale Veränderung, von der die PDS auch erfasst sein wird.

    Breker: Und die Sie auch nötig hat, denn auch Sie haben immer wieder gesagt, dass die PDS als ostdeutsche Regionalpartei auf Dauer keine Existenzberechtigung haben wird, behalten kann. Also auch für die Partei in Ihrem eigenen Interesse von größter Bedeutung?

    Brie: Das sehe ich so. Ich kann mir immer vorstellen, dass man vielleicht um 5 Prozent kämpft, aber das ist keine Perspektive. Es gibt Erosion in der PDS. Die PDS ist strukturell nicht fähig, in Westdeutschland wirklich nennenswert aus der Isolierung rauszukommen. Vor allen Dingen ist die PDS alleine, so wie sie ist, nicht in der Lage, diese neuen Möglichkeiten dauerhaft zu erschließen.

    Breker: Und deswegen sollte der PDS-Vorsitzende jetzt initiativ werden, die Initiative ergreifen?

    Brie: Er muss einfach initiativ werden. Er muss es auch anderen ermöglichen, dass sie mit der PDS dieses Projekt anschieben können. Es wurde gestern oder vorgestern gesagt, die Türen der PDS seien offen, ich finde, zuwenig. Die PDS muss selbst aus der Tür herausgehen.

    Breker: Und dann gibt es auch eine reelle Chance?

    Brie: Das sehe ich auf jeden Fall. Lafontaine hat uns alle unter großen Druck gesetzt, und ich glaube, dass wir diese Verantwortung wahrzunehmen haben.

    Breker: Vielen Dank für das Gespräch.