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Eine "Krise der nuklearen Nichtverbreitungspolitik"

Nach Ansicht von Oliver Thränert muss die internationale Staatengemeinschaft die Entwicklung von Nuklearwaffen im Iran verhindern. Sollte das nicht gelingen, so der Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, wäre die Nichtverbreitungspolitik von Atomwaffen auf breiter Front gescheitert. Dann gebe es wahrscheinlich bald 20 oder mehr Kernwaffenmächte mit den daraus folgenden politischen Instabilitäten, sagte Thränert.

Moderation: Michael Köhler |
    Köhler: Wer es nur für verbales Muskelspiel hält, was der iranische Präsident Ahmadinedschad an antisemitischen Äußerungen einerseits und an Drohungen andererseits loslässt, könnte sich täuschen, dass so etwas auch einen Flächenbrand erzeugen könnte. Die Verteuerung des Ölpreises ist ja noch vergleichsweise harmlos mit der Vorstellung verglichen, Irans Führung verfüge über Atomwaffen. Steht uns eine Neuauflage des Kalten Krieges ins Haus? Ist Jacques Chiracs Drohung, seinerseits Atomwaffen gegen Terroristen einzusetzen, angemessen? Und was bedeutet das für die Weiterverbreitung von Atomwaffen und den bisherigen Kurs, diese zu begrenzen? Darüber möchte ich nun mit Dr. Oliver Thränert, sicherheitspolitischer Experte in der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik, sprechen. Anlass für uns ist die erste Sitzungsperiode der Genfer Abrüstungskonferenz, die morgen beginnt. Was erleben wir im Moment da? Die Rückkehr zur Abschreckungsdoktrin?

    Thränert: Also, was die Abrüstungskonferenz selber anbelangt, so handelt es sich ja hier um eine Konferenz von mittlerweile 60 Staaten, die eigentlich unter anderem die Aufgabe hat, über nukleare Abrüstung zu sprechen, aber seit Jahren brachliegt, weil man sich nicht auf eine gemeinsame Tagesordnung einigen kann. Man kann also sagen, dass das Thema nukleare Abrüstung, das uns ja durch den Kalten Krieg begleitet hat, im Moment nicht behandelt wird. Die Russen, die Amerikaner haben einen gemeinsamen Vertrag ausgehandelt, der aber nur die gegenseitigen strategischen, einsatzfähigen Kernwaffen beschränkt. Alle anderen Atommächte, wie zum Beispiel Frankreich, Großbritannien, Indien, Pakistan, Israel und so weiter nehmen an gar keinen Abrüstungs- und Rüstungskontrollverhandlungen teil, die ihre Kernwaffen betreffen.

    Köhler: Sie fangen also schon gleich mit einer massiven Kritik an. Das heißt, diese Konferenz ist überhaupt nicht zeitgemäß? Oder anders gefragt: Was wären denn dann die geeigneten Mittel für eine internationale Nichtverbreitungspolitik?

    Thränert: Ja was die internationale Nichtverbreitung anbelangt, so haben wir ja den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag – der aber nicht Gegenstand der Gespräche in Genf bei der Abrüstungskonferenz ist. Hier hatten wir eine Überprüfungskonferenz im vergangenen Jahr im Mai. Diese Überprüfungskonferenzen finden alle fünf Jahre statt. Gegenstand dieses Vertrages ist, dass 188 Staaten sich hier dran beteiligen, 183 Staaten haben auf Kernwaffen verzichtet – darunter zum Beispiel auch Iran – und fünf Staaten, nämlich Russland, die USA, Frankreich, Großbritannien und China, haben aber eigentlich gesagt, dass sie im guten Glauben um die Abrüstung sich bemühen wollen. Dieser Vertrag ist im Moment in einer tiefen Krise. Die Nichtkernwaffenstaaten sind nicht bereit, weitere, tiefer gehende Überprüfungsmechanismen hinsichtlich ihres Verzichts auf Kernwaffen zu akzeptieren.

    Köhler: Überprüfungsmechanismen heißt Kontrollgremien rein zu lassen ins Land?

    Thränert: Inspektoren, ja. Es geht da um den Zugang von Inspektoren. Es gibt ein so genanntes Zusatzprotokoll zu den Sicherungsabkommen der Internationalen Atomenergie-Behörde. Dieses Zusatzprotokoll enthält umfassendere Meldepflichten und auch verbesserte Zugangsmöglichkeiten. Dem verweigern sich viele Nichtkernwaffenstaaten, weil sie sagen: Erst mal wollen wir sehen, dass die Kernwaffenstaaten weiter abrüsten.

    Köhler: Kann die Genfer Konferenz mit ihren 66 Mitgliedsstaaten auf eine internationale Eindämmung dann überhaupt noch hinwirken? Oder lacht sich beispielsweise Nordkorea darüber kaputt, was am Genfer See beschlossen wird?

    Thränert: Wie gesagt, die Genfer Konferenz wird sowieso keine Beschlüsse fassen, weil man sich eben nicht auf eine Tagesordnung einigen kann. Hier geht es in Genf um solche Themen auch wie Weltraumwaffen – da möchte China zu einer Begrenzung kommen; die Amerikaner lehnen dieses Thema allerdings ab, weil sie sich alle Möglichkeiten zu einer Raketenabwehr offen halten wollen. Und andererseits wollen die Amerikaner eben über bestimmte Dinge auch nicht sprechen. Insofern spielt wahrscheinlich für Nordkorea, aber auch für Iran, die Genfer Abrüstungskonferenz keine bedeutsame Rolle.

    Köhler: Lassen Sie uns zu den konkreten Ereignissen noch mal nachdenken. Also, was ich eingangs fragte mit der Rückkehr zur Abschreckungsdoktrin. Es heißt, dass Frankreichs Präsident Chirac eine Flexibilisierung dessen anstrebt, was früher "massive Vergeltung" hieß. Ist das nicht eine kleine Abschreckung?

    Thränert: Ja, Frankreich hatte traditionell während des Kalten Krieges eben die Strategie der massiven Abschreckung. Das heißt, man hatte nur die Möglichkeit, diese Kernwaffen entweder einzusetzen und damit massiven Schaden anzurichten oder eben darauf zu verzichten. Das war eine so genannte "weapon of last resort", also eine Waffe, die man nur im alleräußersten Augenblick einzusetzen gedachte. Frankreich ist aber jetzt nach Ende des Kalten Krieges schon seit Jahren dabei, seine Atomstrategie zu flexibilisieren. Das heißt, die Möglichkeit begrenzter Atomschläge zu haben in bestimmten Konflikten, wie zum Beispiel mit so genannten Schurkenstaaten. Insofern war diese Rede von Herrn Chirac eigentlich nicht so sonderlich überraschend. Der hat nicht sehr viel Neues gesagt über das, was Frankreich mit seiner Atomstrategie anstrebt.

    Köhler: Aber wie wirkt das? Kommentatoren haben das einerseits als Klartext begrüßt, sich nicht in die Enge jagen zu lassen, sich nicht verschrecken zu lassen von iranischen Drohungen; andererseits könnte man das auch als Öl ins Feuer werten.

    Thränert: Ich sehe zwar auch einen Zusammenhang zum Beispiel mit dem Streit um das iranische Atomprogramm. Andererseits war aber wohl der Auftritt von Chirac schon von langer Hand geplant, dort an einem solchen Stationierungsort von U-Booten. Und von daher ist, glaube ich, die Signalwirkung etwas begrenzt. Auf der anderen Seite muss man sagen: Das ist nun durch die internationale Presse gegangen und für diejenigen Staaten, die auf Kernwaffen verzichtet haben nach dem Nichtverbreitungsvertrag ist es natürlich wieder ein Signal, dass einige Staaten wie eben Frankreich sagen: Kernwaffen gehören für uns notwendig zum nationalen Interesse, zur nationalen Verteidigung, ...

    Köhler: Sie sind ein Teil von Sicherheitspolitik?

    Thränert:... richtig: Darauf können wir als Kernwaffenmächte nicht verzichten. Und dann fragen sich natürlich andere: Warum sollen wir denn dann darauf verzichten, wenn es für Sicherheit so wichtig ist?

    Köhler: Ich würde gerne noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, den man vielleicht im weitesten Sinne kulturell nennen kann: Kann man dem Iran eigentlich einen Ausweg eröffnen, sie – sage ich mal – kulturell aufwerten oder politisch ködern? Man hat ja auch geschafft, also Libyen ist zum Beispiel ja auch, von den Nuklearwaffen hat es abgelassen 2003 um den Preis der Rückkehr in die internationale Gemeinschaft.

    Thränert: Ja, das ist richtig. Aber die Politik Irans erscheint mir in einem gänzlich anderen Licht. Die Europäer, die Briten, Franzosen und die Deutschen, die so genannten EU-3, haben sich ja über zwei Jahre lang bemüht, hier mit Iran zu einer Lösung zu kommen, haben auch ein breit aufgefächertes Angebot unterbreitet im August letzten Jahres. Da ging es zum Beispiel auch um den sicheren Zugang von Iran zu Brennelementen zum Betrieb von Kernkraftwerken. Iran hat aber diesen Vorschlag schon am nächsten Tag als Beleidigung der iranischen Nation zurückgewiesen - also einen diplomatischen Umgang, den wir noch nicht mal im Kalten Krieg mit den Sowjets gewöhnt waren. Also das heißt, das ist eine sehr schwierige Situation mit Iran. Es ist nicht so, dass die Europäer sich nicht bemüht hätten, Iran eine Lösung anzubieten. Nun ist die Situation die, dass man um eine Befassung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen wohl nicht mehr umhinkommt. Und da wird man zwar nicht im ersten Schritt, aber dann doch im weiteren Verlauf irgendwann auch über Sanktionen sprechen müssen.

    Köhler: Weil die sich um die Atomagentur einen feuchten Kehricht scheren?

    Thränert: Ja, weil die Inspektoren der Atomenergie-Behörde nach vielen Inspektionen und über viele Jahre nun immer noch kein umfassendes Bild des iranischen Atomprogramms zeichnen können. Und selbst Friedensnobelpreisträger ElBaradei, der Generaldirektor dieser Organisation, verliert ja nun langsam mit Iran die Geduld.

    Köhler: Vielleicht abschließend: Man kann ja noch so viele – ich sage mal – Beethoven-Streichquartette nach Pjöngjang schicken oder Teheran – wenn die überhaupt rein dürften – als Goodwill oder Sympathiewerbung. Am Ende zählt der Verteidigungshaushalt und die Politik. Sehen wir jetzt, wie ein Kalter Krieg in kleiner Auflage wieder zurückkommt, weil es keinen anderen Ausweg gibt? Also, was wir eingangs sagten, die kleine Abschreckungsdoktrin neu aufgelegt wird?

    Thränert: Wir sehen auf jeden Fall eine Krise der nuklearen Nichtverbreitungspolitik – das sehen wir allerdings schon seit vielen Jahren. Der Fall Nordkorea hat ja schon praktisch in den 90er Jahren gezeigt, dass hier ein Land sich nicht um die Nichtverbreitung kümmert, sondern sich Kernwaffen verschafft. Wenn Iran sich jetzt tatsächlich durchsetzen sollte und sich eine Atomwaffenoption gegen den Willen der internationalen Staatengemeinschaft erarbeitet, ...

    Köhler:... dann wäre das gescheitert, die Nichtverbreitungspolitik?

    Thränert: Dann wäre diese Nichtverbreitungspolitik auf breiter Front gescheitert und dann steuern wir wahrscheinlich auf eine Welt zu, in der es bald 20, vielleicht 25 Kernwaffenmächte gibt – mit den entsprechenden politischen Instabilitäten, die damit verknüpft sind.

    Köhler: Und die Rolle, sagen wir mal, Chinas und Russlands wird im Zuge dessen auch bedeutsamer?

    Thränert: Ja. China und Russland werden sich jetzt im Streit um das iranische Atomprogramm überlegen müssen, ob sie an der Seite des Westens zum Beispiel an Sanktionen gegen den Iran sich beteiligen oder aber, ob sie in Kauf nehmen, sich in diesen Fragen der nuklearen Nichtverbreitungspolitik eben von den westlichen Mächten wie Amerika und Europa eher distanzieren.