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"Eine Mehrwertsteuererhöhung bringt viel Geld"

Die CDU sieht in ihrem Wahlprogramm keine Erhöhungen der Mehrwert- oder Einkommenssteuer vor. Für sie ist sogar eine Steuersenkung denkbar. Finanzwissenschaftler Stefan Homburg betrachtet das kritisch. Er hält Steuererhöhungen angesichts der Wirtschaftskrise für unausweichlich.

Jochen Spengler im Gespräch mit Stefan Homburg |
    Jochen Spengler: Minus sechs Prozent Wachstum in diesem Jahr, bis zu fünf Millionen Arbeitslose im kommenden Jahr und fast 90 Milliarden Euro neue Schulden. Wie unausweichlich sind da Steuererhöhungen beziehungsweise wie unrealistisch sind da Steuersenkungen, die die Unionsparteien für die kommende Legislaturperiode versprechen? Vor einer knappen Stunde hatten wir hier Peter Ramsauer, den Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Bundestag, im Interview. Er bekräftigte:

    Peter Ramsauer: Spielraum für solche Steuersenkungen ist vorhanden. Die beiden Parteivorstände von CSU und CDU haben dieses Programm einstimmig beschlossen und dieses Programm lehnt Mehrwertsteuererhöhungen ab.

    Spengler: Und nicht nur Mehrwertsteuererhöhungen, auch keine höhere Einkommenssteuer, keine höhere Mineralölsteuer, keine höhere Tabak- oder Alkoholsteuer. Am Telefon begrüße ich nun Professor Stefan Homburg, Finanzwissenschaftler an der Universität Hannover und lange Jahre auch CDU-Berater. Herr Homburg, was halten Sie von dem Zitat, das wir gerade von Peter Ramsauer gehört haben?

    Stefan Homburg: Ich glaube, dass das, was die Union jetzt verspricht, einfach unrealistisch ist. Wir haben gerade von der Bundesregierung einen Finanzplan bis 2013 bekommen und dort schätzt sie, dass in den Jahren bis 2013 die Ausgaben wesentlich höher sein werden als letztes Jahr (konjunkturbedingt) und dass die Einnahmen bis dahin nicht steigen werden. Daraus ergeben sich riesige Defizite und gegen diese Defizite wird man etwas tun müssen.

    Spengler: Nun argumentiert ja die Union, 15 Milliarden Euro kosten unsere Steuersenkungen, das ist nur ein Drittel der für 2013 geschätzten Steuermehreinnahmen. Also haben wir doch das Geld?

    Homburg: Nein, das kann ich überhaupt nicht sehen. Bis 2013 werden in der Finanzplanung der Bundesregierung wohl gemerkt, nicht meiner Finanzplanung, keine Mehreinnahmen geschätzt, sondern die Bundesregierung geht selber davon aus, dass in den nächsten Jahren die Einnahmen konjunkturbedingt zunächst etwas sinken werden und dann im Grunde auf das Niveau von 2008 wieder steigen werden.

    Spengler: Und Steuersenkungen auf Pump, sind die mit der Verfassung vereinbar?

    Homburg: Nicht nur mit der Verfassung nicht, sondern es gibt jetzt verschiedene Punkte zu beachten. Erstens hat der Bundestag und der Bundesrat erst vor kurzem eine sogenannte Schuldenbremse beschlossen. Diese Schuldenbremse tritt zwar erst später voll in Kraft, aber schon ab dem Jahr 2011 muss der Bund seine Defizite zurückführen. Zweitens hat der Bundesfinanzminister Steinbrück letzte Woche selbst gesagt, dass er mit einem Defizitverfahren der Europäischen Union rechnet, denn Deutschland verletzt ab diesem Jahr auch wieder den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. All diese Sachzwänge wird man nicht einfach ignorieren können nach der Wahl, sondern man muss darauf eingehen und das bedeutet: entweder werden Abgaben erhöht, oder Ausgaben gesenkt, oder es wird eine Kombination von beidem beschlossen.

    Spengler: Wenn Sie, der Finanzwissenschaftler Professor Stefan Homburg, nun Bundesfinanzminister wären, was würden Sie denn tun?

    Homburg: Diese Frage ist deshalb schwer zu beantworten, weil die hohe Verschuldung darauf beruht, dass man jetzt diese Konjunkturprogramme beschlossen hat, die ja zum Teil nicht nur der Konjunktur dienen, sondern alle möglichen Probleme verdecken, zum Beispiel die Probleme der Finanzierung des Gesundheitsfonds. Ich habe mich immer dagegen ausgesprochen, dass man Abwrackprämie, Unternehmen-, Bankensubvention und Zahlungen an Gesundheitsfonds und Bundesagentur für Arbeit finanziert. Jetzt hat man es aber gemacht und damit besteht die Notwendigkeit, Steuern zu erhöhen, und egal wer ab Oktober Finanzminister ist, er wird Steuern und Abgaben erhöhen müssen.

    Spengler: Aber es heißt doch, dass Steuererhöhungen in der jetzigen Phase in dieser Krise Gift sind für die Konjunktur?

    Homburg: Nun, man wird Steuererhöhungen rein technisch nicht für das Jahr 2009 beschließen können; man wird sie vielleicht für das Jahr 2010 beschließen. Dort besteht bei der Verschuldung aber noch großer Spielraum. Auf jeden Fall werden die Steuererhöhungen aber ab dem Jahr 2011 kommen.

    Spengler: Welche Steuererhöhungen kommen? Mehrwertsteuer?

    Homburg: Die Bundeskanzlerin hat sich jetzt bei der Mehrwertsteuer so klar festgelegt, dass man eher damit rechnen muss, dass andere Steuern erhöht werden, zum Beispiel Einkommenssteuer, oder dass eben Sozialabgaben erhöht werden. Im Moment ist es ja so, dass die Sozialabgaben künstlich niedrig gehalten werden, durch steuerfinanzierte Zuschüsse an den Gesundheitsfonds und an die Bundesagentur für Arbeit in zweistelliger Milliardenhöhe. Man kann natürlich auf Steuererhöhungen verzichten, wenn man dafür die Sozialabgaben erhöht, oder man könnte eine Autobahnmaut für Pkw einführen, das ist dann formal eine Gebühr und nicht eine Steuer. Aber ich denke, das sind Wortspielereien. Sagen wir also allgemein: der Bund muss seine Einnahmen – welche Einnahmen das sind ist egal – wesentlich erhöhen.

    Spengler: Welche Einnahmenerhöhungen wären denn sinnvoll? Hätte sich die Kanzlerin jetzt nicht so eindeutig auf Mehrwertsteuererhöhungen nicht festgelegt, wäre eine Mehrwertsteuererhöhung möglicherweise die sinnvollste Maßnahme?

    Homburg: Eine Mehrwertsteuererhöhung bringt viel Geld. Pro Punkt sind das ungefähr 8,5 Milliarden Euro. Zum Beispiel ein Wegfall des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes würde natürlich nicht nur Geld bringen, sondern würde die Mehrwertsteuer auch wesentlich einfacher und systematischer machen, denn jeder kennt ja diese Probleme mit der Abgrenzung von ermäßigt und voll besteuerten Gütern. Die würden dann wegfallen.

    Spengler: Aber wenn es auf Lebensmittel beispielsweise eben nicht mehr sieben Prozent, sondern dann 19 Prozent Mehrwertsteuer gäbe, das würde doch wirklich die kleinen Leute treffen.

    Homburg: Das sehe ich nicht. Hummer und Schrimps unterliegen auch dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Allgemein kann man die Mehrwertsteuer nicht zielgerecht als Instrument der Umverteilung sehen. Es gibt viele lebensnotwendige Güter wie zum Beispiel Mineralwasser, die dem vollen Umsatzsteuersatz unterliegen, so wie es auch Luxusgüter gibt, die ermäßigt besteuert werden, ohne jede Systematik.

    Spengler: Herr Professor Homburg, könnten Steuervereinfachungen in dieser Phase etwas erreichen?

    Homburg: Steuervereinfachungen sind stets eine gute Idee, aber ich glaube nicht, dass die Große Koalition dies angehen wird. Sie hätte in den letzten vier Jahren hervorragend Möglichkeiten gehabt, die Steuern zu vereinfachen, aber nichts ist geschehen. Steuervereinfachungen würden auch das Problem, das wir haben, das Hauptproblem, nämlich dass die Ausgaben des Staates wesentlich über den Einnahmen liegen, im nächsten Jahr ungefähr 86 Milliarden höher sein werden, nicht lösen. Steuervereinfachungen, wenn ich das noch ergänzen darf, sind erfahrungsgemäß dann möglich, wenn man sie mit Steuerentlastungen verbinden kann, aber nicht, wenn man sie mit Steuererhöhungen kombiniert.

    Spengler: Erklären Sie mir noch mal, damit ich es richtig verstehe: Was ist so falsch an der Reihenfolge, die nun vor allen Dingen auch die Union will, die auch die FDP will, jetzt erst einmal gut aus der Wirtschaftskrise herauskommen (das macht man eher mit Steuersenkungen statt mit Steuererhöhungen) und dann, wenn die Wirtschaft wieder wächst, gibt es mehr Steuereinnahmen und dann können wir an die Staatsverschuldung heran?

    Homburg: Das ist so eine keynsianische Vorstellung, die wissenschaftlich überhaupt keine Begründung hat, und ich würde sagen, das ist auch einfach Träumerei. Wir haben den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaket, den kann man ja für falsch halten, aber er ist beschlossen worden. Wir haben im Grundgesetz eine Schuldenbremse, die ist auch beschlossen worden. Alle diese rechtlichen Rahmenbedingungen müssen beachtet werden und sie erzwingen, dass bereits ab dem übernächsten Jahr spätestens die Ausgaben wesentlich gekürzt werden, oder die Staatseinnahmen wesentlich erhöht werden. Mit wesentlich meine ich in einem Umfang, wie wir das bisher noch nicht kannten und wie sich die meisten Mitbürger das auch noch überhaupt nicht vorstellen können.

    Spengler: Ein letztes Wort zur Wirtschaftskrise. Wo stehen wir da? Haben wir das schlimmste noch vor uns, oder haben wir die Talsohle bereits erreicht?

    Homburg: Nach allen Zahlen, die wir haben, ist bezüglich der realwirtschaftlichen Krise das schlimmste überstanden, aber man muss bedenken: der Arbeitsmarkt ist immer ein sogenannter nachlaufender Indikator. Das heißt, die Arbeitslosigkeit wird noch etwas steigen. Im Moment ist die Arbeitslosigkeit natürlich mit 3,6 Millionen auch noch sehr gering und es ist nicht wahrscheinlich, dass sie über die 5,2 Millionen hinaus steigt, die wir schon mal hatten. Insofern sehe ich diese Lage eher optimistisch.

    Spengler: Professor Stefan Homburg, Finanzwissenschaftler an der Universität Hannover. Danke für das Gespräch.

    Homburg: Bitte sehr.