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"Eine Menge ist schon getan und mehr steht vor der Tür"

Großbritannien will nicht verhindern, dass Europa stärker zusammenwächst, sagt Sir Michael Arthur. Im Finanzsektor, der politischen Agenda und der Integrationspolitik sieht der scheidende Botschafter viele Parallelen zwischen seinem Heimatland und Deutschland.

Sir Michael Arthur im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Eine entschlossene Antwort und umfangreiche neue Regeln, das haben Verantwortliche in Deutschland, das haben Verantwortliche in Europa und weltweit versprochen, als die internationale Finanz- und Bankenkrise über uns hereinbrach. Gut drei Jahre sind seitdem vergangen, doch die versprochenen strengeren Regeln für die Finanzmärkte, sie gleichen einer unübersichtlichen Baustelle. Vieles wurde erörtert, erwogen und vorgeschlagen, doch wenig wurde bisher tatsächlich beschlossen, zumal in Europa.
    Dafür wird auch und gerade immer wieder Großbritannien immer wieder verantwortlich gemacht. Jüngster Beleg aus Sicht der Kritiker: die Absage Londons an eine allgemeine Steuer für Finanztransaktionen. Da ist es wieder, das Bild von den Europaskeptikern in Downing Street Nr. 10, wenn es um mehr Zusammenarbeit geht.
    Gilt das auch für den neuen, für den konservativen Premier David Cameron? – Über diese und über andere Fragen möchte ich in den nächsten Minuten mit Sir Michael Arthur sprechen, dem britischen Botschafter in Deutschland. Einen schönen guten Morgen.

    Sir Michael Arthur: Einen schönen guten Morgen Ihnen auch.

    Barenberg: Herr Botschafter, wenn es darum geht, die Bankenwelt stärker an die Kandare zu nehmen, sehen viele die britische Regierung auf der Bremse stehen. Ist das ein völliges Zerrbild?

    Arthur: Innerhalb der letzten zwei Jahre haben wir schon viel gemacht in Großbritannien wie auch insgesamt in Europa, um die Regulierungen von Banken zu verstärken. Aber ich glaube, es ist falsch zu denken, dass nichts hat sich geändert. Ganz im Gegenteil! Zum Beispiel haben wir jetzt bessere Kontrolle unter unserer Bank of England, unserer Zentralbank, die das alles jetzt überwacht in London. Da haben wir eine sehr gute Koordination zwischen unseren Behörden und den deutschen, französischen und anderen. Da haben wir in dieser Woche schon ein dreieckiges Überwachungssystem, Regulierungssystem innerhalb Europas vereinbart, in Brüssel vereinbart mit dem Europäischen Parlament. Also eine Menge ist schon getan und mehr steht vor der Tür.

    Barenberg: Das heißt, mehr Transparenz, mehr Kontrolle, mehr Regulierung, das ist auch ganz im Sinne der britischen Regierung?

    Arthur: Genau. Mehr Transparenz ist sehr, sehr wichtig und dass die Verantwortlichkeit für alle Produkte bei den Banken dasteht. Aber was wir vermeiden wollen und was wir alle in Europa vermeiden müssen ist, dass wir so streng regulieren in Europa, dass alle diese Finanzsektoren offshore gehen. Wir Europäer haben ein Interesse, dass wir einen richtigen lebendigen Finanzsektor erhalten, aber gut reguliert, damit er das Vertrauen der Welt weiter behält.

    Barenberg: Erweitern wir den Blick ein wenig auf die Europapolitik insgesamt. Der neue Premierminister, David Cameron, er galt als hartgesottener Euroskeptiker im Vorfeld und er hat bei seinem Besuch in Brüssel auch zahlreiche rote Linien gezogen. Warum will Großbritannien verhindern, dass Europa noch stärker zusammenwächst?

    Arthur: Das wollen wir überhaupt nicht tun! Wenn Sie unseren Koalitionsvertrag oder –Vereinbarung durchlesen, dann werden Sie sehen, dass das in vielen Bereichen eine sehr europäische ist, und wir haben es mit einer sehr aktiven Agenda von neuen Sachen zu tun. Eine Liberalisierung der Binnenmärkte steht zum Beispiel als ein gutes Beispiel dafür. Energieliberalisierung – warum haben wir das noch nicht in Europa geschafft? Das brauchen wir alle!

    Barenberg: Der Deutschlandfunk, die "Informationen am Morgen" im Gespräch mit dem britischen Botschafter in Deutschland, mit Sir Michael Arthur. – Herr Botschafter, Koalitionsregierungen, sie haben Seltenheitswert in Großbritannien. Seit den Unterhauswahlen vom Mai allerdings müssen sich die konservativen Tories und die Liberaldemokraten zusammenraufen. Ein Spagat, viel Skepsis am Anfang und jetzt doch die Überraschung, dass sie in den Umfragen gut dastehen, dass die Regierung den Eindruck macht, sie sei nicht schwach, sondern sie sei im Gegenteil stark und stabil. In Deutschland ist das ganz anders seit der Wahl der schwarz-gelben Regierung. Wie erklären Sie sich den Unterschied?

    Arthur: Deutschland kann ich natürlich nicht beurteilen, aber bei uns ist das ein Novum. Wir haben seit fast einem Jahrhundert keine Koalition gehabt und wir waren ehrlich gesagt alle, ich glaube auch die Spitzenpolitiker, erstaunt, wie schnell und wie leicht das war, im Mai diesen Koalitionsvertrag und –Vereinbarung zusammenzusetzen. In fast jedem Ministerium haben wir gleichzeitig einen Konservativen und einen Liberalen als Minister. Die arbeiten sehr eng zusammen in der Substanz von der jeweiligen Politik. Und wie gesagt, es läuft gut!

    Barenberg: Steht die eigentliche Bewährungsprobe für diese Koalition, auch für den harten Sparkurs denn eigentlich jetzt erst bevor, wo ab Herbst, wo im nächsten Frühjahr die zum Teil ja sehr harten Sparmaßnahmen auch im Sozialbereich, auch im Gesundheitsbereich greifen werden?

    Arthur: Ja. Ich glaube schon, das ist genau der Punkt. Wir haben vor, noch radikalere Haushaltskürzungen zu machen als das, was sie hier in Deutschland machen, fast doppelt so stark, und das wird sehr schwer sein. Alle Ministerien müssen im Durchschnitt 25 Prozent über vier Jahre sparen. Und wie Sie richtig sagen, wird es im nächsten Jahr ganz schwer für jeden Politiker, für jeden Abgeordneten, wenn in seinem Wahlkreis ein Krankenhaus geschlossen wird. Dann ist das nicht leicht!

    Barenberg: Ende September, Herr Botschafter, wird Ihre Zeit in Berlin enden, werden Sie zurückkehren nach Großbritannien. Sie waren drei Jahre in Deutschland. Was hat sich verändert in Ihrem Deutschland-Bild, das Sie mit nach Hause nehmen?

    Arthur: Ich gehe sehr traurig von Deutschland weg, weil ich liebe Deutschland. Ich bin schon drei Jahre als Botschafter, aber während der Bonner Zeit war ich vier Jahre lang in Bonn und ich war auch Austauschschüler in Oberbayern vor 40 Jahren. Also ich liebe Deutschland sehr gut. Aber ich werde meine Verbindung zu Deutschland aufrecht erhalten.
    Wenn ich diese letzten drei Jahre mit der früheren Bonner Zeit vergleiche, dann sehe ich eine radikale Änderung in dem Platz Deutschlands in der Welt zum Beispiel, dieses selbstbewusste, internationale Deutschland nach der Wiedervereinigung. Ich bewundere auch ihre starke Wirtschaftsstärke, besonders der Mittelstand hier in Deutschland ist für mich ein großer Erfolg. Diese Familienunternehmer, die man überall im Land sieht, die global exportieren und wirklich an der Spitze von ihren Produkten sind, sind sehr innovatorisch, das bewundere ich. Das hätten wir auch gerne mehr bei uns in England.
    Unsere Zusammenarbeit im Wirtschaftsbereich ist aber auch sehr stark. Sie sind für uns der zweitwichtigste Exportmarkt nach den Amerikanern. Sie sind der zweitgrößte Investorenmarkt nach den Amerikanern. Umgekehrt sind wir der drittgrößte Investor hier in Deutschland.

    Barenberg: Sie werden es sicherlich mitbekommen haben: In Deutschland diskutieren wir dieser Tage und seit einiger Zeit nun schon über die Thesen von Thilo Sarrazin, dem früheren SPD-Finanzsenator von Berlin, zum Thema Immigration, zum Thema Einwanderung, sehr umstrittene Thesen, die Thilo Sarrazin aufgestellt hat. Wie wird das eigentlich in Großbritannien wahrgenommen? Das ist ein großes Thema natürlich auch in Großbritannien, wo viele verschiedene Völker zusammenleben.

    Arthur: Ja. Wir haben genau die Herausforderungen, die vor Ihnen in Deutschland stehen. Es sind genau dieselben bei uns, natürlich mit anderen Minderheiten, die von anderswo in der Welt zu uns gekommen sind. Und wir sehen ganz klar, dass Immigration ein ganz positiver Aspekt unserer Gesellschaft und Wirtschaft gewesen ist und in der Zukunft auch sein wird. Aber dafür muss man das unter Kontrolle bringen, damit wir Briten wissen, wie gut wir die integrieren können. Man kann nicht Vergleiche zwischen Ländern machen, weil jedes Land hat eigene Traditionen. Wir können voneinander lernen, aber wie gesagt, jedes Land ist anders und muss seinen eigenen Weg finden.

    Barenberg: Dem etwas harten Kurs, den Herr Buschkowsky in Berlin verfolgt, würden Sie jetzt nicht ohne Einschränkungen zustimmen?

    Arthur: Wir glauben alle, dass Bildung ein wichtiger Weg für die Integration ist, dass die Sprachkompetenz ein wichtiger Weg der Integration ist. Wir versuchen, die Gesamtzahl von Migranten zu reduzieren und spezifischer zu machen, damit wir die bekommen, die wirklich für unsere Wirtschaft notwendig und gut sind.

    Barenberg: Zum Schluss, Herr Botschafter, bei der WM hat England eine bittere Niederlage mit 1:4 gegen Deutschland einstecken müssen. Es gab ein Tor in der 38. Minute, glaube ich, von Frank Lampard, das nicht gegeben wurde. Ist das die Quittung für das legendäre Wembley-Tor, über das wir viele Jahre diskutiert haben?

    Arthur: Ja, aber 4:1 war ein tolles Ergebnis für sie und sie haben ehrlich gesagt besser gespielt als wir und sie haben gut gewonnen. Wir waren froh, dass sie noch weitergekommen sind in der WM.

    Barenberg: Sir Michael Arthur, britischer Botschafter in Deutschland, in wenigen Wochen wird er aus dem Amt scheiden. Wir wünschen Ihnen alles Gute. Danke für das Gespräch.

    Arthur: Vielen Dank.