Montag, 13. Mai 2024

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Eine neue Regie-Hoffnung?

Das Programm zur Berliner Schnitzler-Inszenierung besteht aus Postkarten: auf der Vorderseite Rosen, auf der Rückseite Stück-Zitate. Zitate zur Liebe und zum Leben, die so melancholisch wie nüchtern, so zart wie hart klingen. Schnitzlers Erstling "Liebelei" ist ein historisches Zeitbild, dessen Figuren heute so fremd wie komisch wirken, aber unter deren alten psychologischen Mustern durchaus heutige Ängste und Sehnsüchte aufscheinen. Wer dieses Stück inszeniert, muss die historische Spanne und Spannung bedenken. Die junge Regisseurin Tina Lanik, die mit wenigen Inszenierungen von einer aufgeregten Presse zum großen Talent ausgerufen wurde, versucht durchaus, die Zeitspanne zwischen 1894 und 2004 in ihrer Inszenierung zu reflektieren. Das gelingt ihr allerdings nur äußerlich, und auch das allenfalls ansatzweise.

Von Hartmut Krug | 20.12.2004
    Bühnenbildnerin Magdalena Gut hat den Zuschauerraum der Kammerspiele auf die Bühne verlängert. Vor die im Stil des 19. Jahrhunderts gehaltenen Wände sind Stahlkonstruktionen gestellt, und der historisierende Hintergrund verschwindet im Spielverlauf immer mehr. Irgendwie soll dieses unschöne Bild erzählen, dass sich Ort und Zeit auflösen. Wobei die Entscheidung, im völlig leeren Salon zu spielen, dazu führt, dass die Figuren oft steif herumstehen oder nebeneinander ins Publikum reden. Klar, wir verstehen das durchaus auch als konzeptionelles Mittel, um Einsamkeit und Isoliertheit in der Zweisamkeit zu zeigen, doch es wirkt leider nur aufdringlich gewollt. Zudem entsteht manch unfreiwillige Komik, indem unentwegt auf Dinge in Wort und Tat Bezug genommen wird, die auf dieser leer geräumten Bühne gar nicht vorhanden sind.

    Es ist nicht das einzige Mal, dass sich in Tina Laniks Inszenierung Konzeptionelles vor Theatralisches drängt. Diese Aufführung klaubt alle möglichen modernen Darstellungskonzepte zusammen, ohne auch nur einem einzigen theatrales Leben oder innere Wahrhaftigkeit einhauchen zu können. Weil der Regisseur Michael Thalheimer in seiner zu Theatertreffen-Ehren gelangten Hamburger "Liebelei"-Inszenierung jede Atmosphäre vermieden und das Stück spielerisch formal auf seine Beziehungkonflikte skelettiert hat, versucht Tina Lanik dies offensichtlich auch, leider ohne Erfolg.

    Zu Beginn steht Christine in moderner Hose wie ein cooles Mädchen von heute an einer Säule vor dem Vorhang, ein Klavierkonzert schwillt an, und sie scheint sicher bei sich. Dann beginnt Schnitzlers Geschichte von zwei jungen Herren der besseren Wiener Gesellschaft, die eine Beziehung zu zwei Damen aus der Vorstadt unterhalten, wie ein Rückblick auf eine, ja, auf welche Zeit eigentlich? Keine Zeit wird deutlich, keine Zeiten werden durchspielt. Und die heute parfümiert kitschig wirkende Haltung der beiden Herren, Frauen müssten zu ihrer Erholung dasein, wird mal weggesprochen, mal überdeutlich ausgestellt.

    So drückt sich Tina Lanik davor, sich mit der Wirkung von Schnitzlers Stück in unserer modernen Singlegesellschaft auseinander zu setzen. Ihre Inszenierung hangelt sich von einem Einfall zur nächsten konzeptionellen Idee. Und immer wieder verstummen und erstarren die Figuren mit leerem Blick. Wer will, kann darin eine in die Ferne schweifende Sehnsucht erkennen. Aber dieses wie zahlreiche andere konzeptionelle Darstellungsmittel von Tina Lanik fügt sich in keinem Moment in ein organisches, selbstverständliches Spiel.

    Jeder Darsteller spielt sich hier seine Rolle auf seine Weise zurecht. Und Aylin Esener, meist eine Christine mit beseligtem Dauerlächeln, darf zum tragischen Schluss auch mal in die Kiste der Exaltation greifen.

    Robert Gallinowski gibt den Fritz, der die große Liebe seiner Christine nicht erkennt und im Duell wegen einer verheirateten Frau fällt, als Grübler und psychologisches Sensibelchen, während Timo Dierkes den Freund Theodor als kräftige Unterhaltungsnummer anlegt. Isabel Schosnig spielt Theodors Freundin Mizi als auch mit Fritz aggressiv flirtende, ausgebuffte Frau von heute, die sich beim Bruderschaftskuß mit diesem gleich auf dem Boden wälzt, während Christian Grashof Christines Vater wirkungssicher bis an die Karikatur heranspielt. So wird diese Inszenierung zum traurigen Exempel dafür, was passiert, wenn man sich nur an alle möglichen aktuellen Theatermoden anhängt.