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Eine Religion ringt mit der Moderne

Frauen als Imame, die das Freitagsgebet leiten, sind eine Seltenheit. Doch immer mehr islamische Feministinnen setzen sich für mehr Gleichberechtigung in ihrer Religion ein. Sie sagen: Der Koran ist nicht frauenfeindlich, er wird nur patriarchal ausgelegt.

Von Jan Kuhlmann | 18.07.2013
    Im Frühjahr 2005 ereignete sich in Manhattans Upper West Side ein Novum: Eine Frau hielt vor rund 100 gläubigen Musliminnen und Muslimen die Freitagspredigt und leitete das Gebet. Eine Imamin - das war ein Tabubruch. Seit den Anfängen des Islam sind es Männer, die diese Aufgabe übernehmen. Weil in New York keine Moschee ihre Räume für eine Vorbeterin öffnen wollte, wichen die Gläubigen in eine christliche Kirche aus. Die Imamin hieß Amina Wadud. Sie ist eine der wichtigsten muslimischen Vorkämpferinnen für Frauenrechte. Was trieb sie damals an, das Freitagsgebet zu leiten?

    Amina Wadud:

    "Dafür gibt es kaum Präzedenzfälle. Aber im Koran und auch in den Aussagen des Propheten sind keine Beschränkungen zu finden, die es Frauen untersagen. Der Koran legt auch nicht fest, dass es ein Mann machen muss. Als jedoch das islamische Recht 300 Jahre nach dem Tod des Propheten kodifiziert wurde, entschied die Mehrheit der Gelehrten, dass Frauen von dieser Aufgabe ausgeschlossen werden. Und diese Regel wird bis heute praktiziert."

    Die Afro-Amerikanerin Amina Wadud wuchs als Tochter eines methodistischen Pfarrers in einer christlichen Familie auf. Mit 20 konvertierte sie eher unreflektiert zum Islam. Erst danach fing sie an, sich mit ihrer neuen Religion intensiver zu beschäftigen. Sie studierte unter anderem an der Al-Azhar-Universität in Kairo und lehrte an einer Islamischen Universität in Malaysia. Dort engagierte sie sich beim Aufbau der Organisation Sisters In Islam, die für die Gleichberechtigung von Frauen eintritt. Amina Wadud wird oft als islamische Feministin bezeichnet - ein umstrittener Begriff, schließlich hat der moderne Feminismus seine Wurzeln in linken, anti-religiösen Bewegungen der westlichen Welt. Rabeya Müller vom Liberal-Islamischen Bund in Deutschland spricht trotzdem von islamischem Feminismus.

    "Ich glaube einfach, dass dieses sogenannte Label etwas ist, was Mann oder Frau sich in dem Fall auch immer wieder selber zurückerobern muss. Ich glaube nicht, dass man diese Dinge in eine bestimmte Richtung tendierenden Protagonistinnen überlassen darf, sondern dass das etwas ist, was man selbst auch mit Inhalten füllen kann. Das haben christliche und jüdische Theologinnen ja länger schon getan. Und ich glaube, dass das auf islamischer Seite auch ganz vernünftig ist, wenn man das tut."

    Rabeya Müller ist selbst Theologin. In Köln arbeitet sie am Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung mit. Auch Müller sieht in Amina Wadud eine wichtige Figur der muslimischen Frauenrechtsbewegung. Wadud war eine der Ersten, die den Koran detailliert auf seine Aussagen über Männer und Frauen untersuchte. Ein Ergebnis: Nicht das heilige Buch diskriminiert die Frauen - sondern die seit Jahrhunderten von Männern dominierte Koranauslegung. Das sieht auch Rabeya Müller so. Der Koran sei zwar Anfang des siebten Jahrhunderts in eine patriarchalische Gesellschaft offenbart worden:

    "Nichtsdestotrotz bietet er an sich so viele Möglichkeiten auch einer geschlechtergerechten Interpretation, dass ich eigentlich ein bisschen entsetzt bin, dass das so bis Ende des letzten, Anfang diesen Jahrhunderts so wenig beachtet und so wenig umgesetzt worden ist. Ich glaube, vielen Frauen hat auch einfach der Mut dazu gefehlt."

    Die patriarchalischen Strukturen zu Zeiten Muhammads und in den Jahrhunderten danach prägen die Koranauslegung bis heute. Rabeya Müller sieht ein Beispiel in der vierten Sure des Korans, die den Titel "Die Frauen" trägt. Dort heißt es, Gott habe den Menschen aus einer einzigen Substanz geschaffen.

    "Aber dann bemüht man sich sehr stark, eine Anlehnung an das patriarchale Offenbarungsverständnis zu bringen, indem man sagt, aus dieser einzigen Substanz erschuf er seine Gattin. Das ist grammatikalisch außerordentlich strittig, wenn man das im Arabischen betrachtet. Und hat sich in der Wirkungsgeschichte so niedergeschlagen, dass tatsächlich immer wieder in den Moscheen, aber auch in den Familien erzählt wird, die Frau sei aus der Rippe des Mannes geschaffen worden."

    Um solche Interpretationen zu widerlegen, greifen muslimische Frauenrechtlerinnen wie Rabeya Müller auf unterschiedliche Methoden zurück: Eine ist die sogenannte Hermeneutik des Verdachts. Sie geht davon aus, dass die Texte willentlich in einer patriarchalischen Form interpretiert und verbreitet worden sind.

    "Eine Methode, die man von islamischer Seite aus sehr gut umsetzen kann, ist die Methodik des Fortdenkens im Guten. Was bedeutet, dass der Koran, dadurch, dass er in eine bestimmte Zeit hinein offenbart wurde, eine Tendenz vorgibt, in welche Richtung sich bestimmte Dinge entwickeln sollten. Und es hält uns niemand davon ab, diese Weiterentwicklung auch zu betreiben."

    So lesen Frauenrechtlerinnen aus den islamischen Quellen heraus, dass Gott und Muhammad die Rechte der Frauen zur Zeit der Offenbarung gestärkt haben. Das erlaubt ihnen die Schlussfolgerung, Gottes eigentliches Ziel sei die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Nach dieser Lesart dürfen Frauen wie Männer Imame werden und die Gebete in den Moscheen leiten. Rabeya Müller kennt viele junge Musliminnen in Deutschland, die diesen Wunsch haben.

    "Das sind junge Frauen, die das gerne möchten, die sich aber nicht trauen, das zu sagen. Und das halte ich für sehr bedauerlich in einer Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts, wenn das nicht machbar ist, wenn das nicht möglich ist."

    Eine Frau, die seit vielen Jahren in Deutschland als Imamin arbeitet, ist Halima Krausen aus Hamburg. Sie betreut die deutschsprachige Gemeinde in der Moschee an der Außenalster. Halima Krausen hat in ihrer Position gute Erfahrungen gemacht, auch mit traditionellen Muslimen:

    "Traditionelle Muslime, die empfinden mich oftmals am ehesten vielleicht auch als eine Mutterfigur und suchen meinen Rat so, wie sie den Rat ihrer Mutter suchen würden. Mit sehr viel Respekt und Vertrauen auch. Das sind eher vielleicht Männer, die nicht aus solchem Umfeld kommen oder die diese Wurzeln verloren haben, die haben dann auch erst mal Schwierigkeiten."

    Halima Krausen, Amina Wadud, Rabeya Müller: Sie alle kämpfen nicht nur für Frauenrechte - sie tragen auch das Kopftuch. Gerade im Westen sehen viele in dem Stück Stoff ein Symbol für die Unterdrückung der Frau im Namen Gottes. In Büchern und Filmen findet sich immer wieder das Narrativ von der Muslimin, die das Kopftuch ablegt, um sich selbst zu befreien. Doch für Rabeya Müller hat die Gleichberechtigung muslimischer Frauen nichts mit dem Kopftuch zu tun:

    "Ich denke, dass sowohl die nicht-muslimische Zivilgesellschaft hier in der Bundesrepublik als auch die Muslime endlich zu dem Ergebnis kommen müssen, dass das in der Entscheidungskraft der Frau zu liegen hat, wie sie das machen möchte. Und dass damit eine eher konservative oder eine fortschrittliche Haltung abgeleitet wird, das halte ich wirklich für reine Spekulation. Wir müssen uns nur im Klaren darüber sein, dass eine Frau ohne Kopftuch keineswegs die schlechtere Muslimin ist, aber eine Frau mit Kopftuch auch keineswegs die schlechtere Demokratin."