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"Eine Renaissance der Politik"

Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte hat das Auftreten der Bundeskanzlerin bei der Generaldebatte als kämpferisch und engagiert bezeichnet. Womöglich hätten ausgerechnet die unpopulären Entscheidungen der vergangenen Tage "diese Koalition erstmals stabilisiert", vermutet Korte.

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Christian Bremkamp | 15.09.2010
    Christian Bremkamp: Laufzeitenverlängerungen für Kernkraftwerke, Bewältigung der Finanzkrise, Zukunft des Sozialstaats - es gibt genug Themen, über die sich die schwarz-gelbe Regierungskoalition und die Oppositionsparteien derzeit streiten, innerhalb und außerhalb des Parlaments. Heute aber spielte die Musik ganz klar im Bundestag, dort fand am Vormittag die sogenannte Generaldebatte über den Kanzleretat statt, bekannt für deutliche Worte von allen Seiten. Am Telefon begrüße ich jetzt den Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Er hat die Parlamentsdebatte und den Auftritt der Kanzlerin ebenfalls verfolgt. Guten Tag, Herr Korte.

    Karl-Rudolf Korte: Guten Tag!

    Bremkamp: Was ist Ihre Meinung? Haben wir heute die neue Kanzlerin erlebt, die die Zügel wieder fest in der Hand hält?

    Korte: Ja, wir haben eine kämpferische, sehr engagierte Kanzlerin gesehen, die doch anders aufgetreten ist, als wir sie bisher kennen. Das führe ich aber nicht nur auf Tagesform zurück, sondern auf die neue Formation, in der diese Debatte als Generaldebatte stattfand, nämlich wieder klassisch, eine kleine Koalition regiert gegen eine Opposition. Die große Oppositionszeit hat das alles gelähmt und insofern ist eine Renaissance der Politik auch zu erkennen.

    Bremkamp: Machen Sie heute auch Änderungen persönlich an Frau Merkel fest?

    Korte: Nein, nicht wirklich, denn sie kann kämpferisch zuschlagen, in der Regel eher in einem Wahlkampfumfeld, stärker auch bei Parteitagsveranstaltungen, im Bundestag hält sie sich in der Regel da eher zurück. Aber das hängt vielleicht auch heute damit zusammen, dass sie viele unpopuläre Entscheidungen in den letzten Tagen getroffen hat und die Unpopularität vielleicht auch diese Koalition erstmals stabilisiert.

    Bremkamp: Wie überzeugend fanden Sie ihren Auftritt denn? Die angesprochenen Themen sind ja auch innerhalb der Regierung nicht gerade unumstritten - unpopulär, wie Sie gerade angeführt haben.

    Korte: Ja, aber dadurch, dass sich auch schon ideologische Gräben geradezu auftun, gerade dadurch, dass wir die Formation wieder haben, Regierung/Opposition, klar portioniert, altes Lagerdenken wieder aufkommt, hat sie einfach die Möglichkeit, engagierter zu argumentieren und so auch Rückendeckung in der Mehrheitsfraktion der Regierung zu holen. Ich finde, das ist ein leichtes Spiel, unter solchen ideologischen Vorzeichen auch eine kämpferische Rede zu halten, als unter den bisherigen Vorzeichen, indem sie so als Einzelfall-Tagesentscheidungspolitikerin aufgetreten ist.

    Bremkamp: Glauben Sie denn, dass ihr ein, sagen wir, robusteres Auftreten helfen wird, auch die Regierung an sich wieder populärer zu machen?

    Korte: Nein, das glaube ich nicht. Das ist jetzt eine Tagesmomentaufnahme. Dieser Regierung fehlt eine gemeinsame Orientierungserzählung, wozu sie was anders machen wollen als andere Regierungen. Sie haben große Einzeltalente, große Einzelstars, die auch immer positiv wirken, aber ein Gesamtbild wird nicht erkennbar. Aber die Öffentlichkeit hat sich daran gewöhnt und mit dem Gewöhnungseffekt kann durchaus ein Aufatmen für die Kanzlerin auch in ihren Werten einhergehen.

    Bremkamp: Dinge anders machen - hätten Sie denn einen Vorschlag für die Kanzlerin?

    Korte: Ja! Ein Vorschlag ist, was praktisch die Grundmelodie ist, also eine Geschichte, was Schwarz-Gelb miteinander verbindet als Zukunftsbild, wie hält man die Zukunft politisch offen unter schwarz-gelben Vorzeichen, was ist eigentlich eine Idee einer sogenannten bürgerlichen Regierung. Diese Idee, danach suchen wir, abseits aller interessanten, auch kontrovers, manchmal auch gut beurteilten Einzelmaßnahmen.

    Bremkamp: Wer hat denn da Schuld, die CDU, die Union, oder eher die FDP?

    Korte: Ich glaube, eher die Wähler, weil wir bisher Frau Merkel in zwei unterschiedliche Koalitionen gewählt haben und sie mit ihrem Tages-Alltagspragmatismus von Einzelmaßnahmen zweimal Kanzlerin wurde. Sie lässt sich nicht überzeugen, dass sie ein großes Bild braucht, um das Stimmungstief zu bekämpfen.

    Bremkamp: Kommen wir zur Opposition, kommen wir zu SPD-Chef Sigmar Gabriel. Konnte der in Ihren Augen heute punkten?

    Korte: Er hat die Rolle gespielt, die man von ihm erwartet. Es gab und gibt täglich Steilvorlagen auch ohne kabarettreife Beiträge des Gesundheitsministers, sodass man eigentlich ein Füllhorn hat, aus dem man sich bedienen kann, um hier Stimmung zu machen bei der eigenen Fraktion. Aber der Punkt ist ja: Weist er Problemlösungen auf, die besser sind, die zu einem klareren Ergebnis, zu einem anderen Ergebnis führen? Und da muss man natürlich im Detail nachsehen, ob das konstruktiv war oder destruktiv.

    Bremkamp: Blicken wir zum Schluss noch in Richtung Koalitionspartner FDP. Glauben Sie, dass sich Guido Westerwelle mit dem neuen Stil der Kanzlerin wird anfreunden können?

    Korte: Ja, weil er sich dort eher beheimatet fühlt, wieder in einem Lager, das er von Anfang an gesucht, beschrieben hat, was er auch versucht hat, schon mal ideologisch zu überhöhen. Dass das dann nicht funktioniert hat, liegt an diesem Welterrettungsimpuls der FDP, dass sie immer alles auf Steuerreduzierung verändert. Aber in dem Zusammenspiel mit Lindner, der ja auch gerade im Bundestag spricht, hat er eine clevere Arbeitsteilung gefunden, die auch zur Koalition passt.

    Bremkamp: Karl-Rudolf Korte war das, Politikwissenschaftler. Herzlichen Dank für diese Einschätzungen.

    Korte: Bitte schön.