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"Eine Rente nach Kassenlage des Bundes darf es nicht geben"

    Gerner: Am Telefon ist jetzt der haushaltspolitische Sprecher der Bündnis/Grünen, Oswald Metzger. Schönen guten Morgen!

    Metzger: Guten Morgen Herr Gerner!

    Gerner: Herr Metzger, sind Sie von den Plänen Riesters überrascht worden?

    Metzger: In dieser Form ja. Kommunikationsprobleme sollte man natürlich in Zeiten, wo wir als Koalition insgesamt ein Sparprogramm vorbereiten, tunlichst vermeiden. In der Bewertung der Riester-Vorschläge muß man andererseits differenzieren. Wir haben zumindest erstmals eine Reaktion dieser Regierung, vor allem auch der Sozialdemokraten, auf die Veränderung der Lebenserwartung. Private Altersvorsorge staatlich anzureizen, und sei es durch eine obligatorische Eigenvorsorge, heißt ja nichts anderes, als daß man nicht mehr daran glaubt, daß ein rein umlagefinanziertes System langfristig tragfähig ist. Die Aufkündigung des Generationenvertrages führt ja dazu, daß immer mehr junge Menschen sich aus der gesetzlichen Rentenversicherung verabschieden, weil sie nicht mehr an eine ordentliche Rendite glauben, bis sie selber Rentner sind.

    Gerner: Herr Metzger, sind die Grünen nur gegen die Pflicht zur privaten Vorsorge, oder auch dagegen, daß die Renten vorübergehend nicht mehr an die Nettolöhne gekoppelt werden sollen?

    Metzger: Bei uns gibt es eine Koppelung. Wenn wir jetzt angesichts der sehr kritischen Haushaltslage ein solidarisches Sparprogramm quer durch alle Bevölkerungsgruppen und Haushaltsteile machen, dann kann man auch die Renten nicht davon ausnehmen. Wir wollen allerdings keine Rente nach Kassenlage. Renten sind Leistungen für Lebensleistungen von Millionen von Menschen, und wenn man hier herangeht, dann müssen die Menschen wissen, daß sie maximal zwei Jahre lang beispielsweise nur einen Inflationsausgleich bekommen und dann aber eine Rentenformel haben, die langfristig Bestand hat und die auch angesichts der demographischen Entwicklung ein Alterseinkommen sichert, das vor Armut schützt.

    Gerner: Mir ist immer noch nicht ganz klar geworden: Was gefällt den Grünen nicht an Riesters Rentenkonzept?

    Metzger: Daß wir die obligatorische Regelung problematisch finden und zum zweiten nicht wissen, ob der von Riester vorgeschlagene Eigenvorsorgebeitrag tatsächlich ausreicht, die demographische Entwicklung abzufedern.

    Gerner: Das heißt, daß die Mindestrente eventuell zu niedrig ist?

    Metzger: Nein, es geht mir in dem Fall überhaupt nicht um die Mindestrente, sondern es geht darum, daß die junge Generation nicht durch die Finanzierung der Renten der Großeltern aufgefressen werden soll. Wir haben ja gleichzeitig als Ziel dieser Koalition erklärt, daß wir die Lohnnebenkosten senken wollen. Deshalb müssen wir bei jeder Reform höllisch aufpassen, daß wir nicht zusätzlichen Kostendruck erzeugen und damit das Einsparziel nicht erreichen. Immerhin erhöhen wir ja in der Vergangenheit und auch in kleinen Schritten in der Zukunft die Ökosteuer, um damit Lohnnebenkosten zu senken, und wir wären bescheuert, wenn wir dann einen weiteren Ausgabenanstieg in der Rente zuließen.

    Gerner: Herr Metzger, gestern haben mindestens drei namhafte Grüne etwas konkreter verbal aufbegehrt als Sie. Thema Koalitionsfrieden: Könnte der durch Riesters Pläne belastet werden?

    Metzger: Meines Erachtens muß man bei der Rente vordergründigen Streit vermeiden. Wir müssen darauf achten, daß wir hier eine Auseinandersetzung in der Sache haben. Es liegen zu wenige Fakten auf dem Tisch. Wir brauchen auch die Berechnung. Es gibt ja alte Hochrechnungen des Verbandes der Deutschen Rentenversicherungsträger und natürlich auch der alten Bundesregierung im Hinblick auf den damaligen demographischen Faktor, der ja nur ein Abschmelzen der Zuwachsraten für die Rentnerinnen und Rentner vorsah, nie Nettorentenkürzungen. Wenn wir jetzt eine Eigenvorsorge ab 2002 oben auflegen, dann muß man wissen, ob die Eigenvorsorge, die der Staat den Menschen zumutet, die er aber auch steuerlich anreizen will - -Das ist keine Frage. Man kann Eigenvorsorge nur machen, wenn der Staat die Eigenvorsorge von Steuerlasten freistellt. Somit ist es wichtig, daß man dann auf jeden Fall das Ziel erreicht, die Ausgaben der Rentenversicherung an die Einnahmen langfristig anzupassen, weil ansonsten wir in 10, 15, 20 Jahren Rentenversicherungsbeitragssätze von 22, 23 Prozent zahlen, Arbeit immer teuerer wird, damit wegrationalisiert wird und unter dem Strich für die Gesellschaft nichts gewonnen wird.

    Gerner: Herr Metzger, lassen Sie uns einen Moment von der Fachebene weggehen. Kann diese Frage die Koalition belasten, zur Koalitionsfrage werden?

    Metzger: Meines Erachtens nein. Da muß man einfach die Kirche im Dorf lassen. Ich habe eingangs bewußt auf Ihre Frage gesagt, wenn man solche Konzepte kommuniziert in einer Phase, wo praktisch hinter den Kulissen massiv um die Details des Sparprogramms gerungen wird - das ist ja noch nicht verabschiedet; das darf man nicht vergessen -, dann muß man bei einem so langfristigen Konzept wie der Rentenversicherung natürlich auch innerhalb der Koalition auch mit den Fraktionsspitzen des kleinen Koalitionspartners Rechenmodelle durchprüfen. Wir müssen wissen, ob unsere Besorgnis richtig ist, daß wir hier eine kurzfristige Belastung der Rentner haben, dadurch daß sie nun die nächsten zwei Jahre einen Inflationsausgleich zahlen.

    Gerner: Herr Metzger, wenn Sie erlauben, das ganze riecht doch arg nach Wählerbetrug. Sie sind vor der Wahl mit dem Versprechen angetreten, die Senkung des Rentenniveaus rückgängig zu machen. Jetzt will Herr Riester sogar schneller die Renten senken, als Norbert Blüm das getan hat.

    Metzger: Lieber Herr Gerner, da muß ich, was die Grünen betrifft, massiv widersprechen. Wir haben den demographischen Faktor sogar in unserem Wahlprogramm drin gehabt, weil wir wissen, daß wir nicht zu Lasten der jungen Generation weiterhin ein Rentenversprechen einlösen können, das so nicht haltbar ist. Wenn die SPD das versprochen hat, dann ist dies das eine. Deshalb gab es ja einen Kompromiß im Koalitionsvertrag. Die SPD wollte sofort den demographischen Faktor der alten Regierung abschaffen. Wir haben uns dafür verkämpft, daß man ihn nur aussetzt. Das heißt, wenn jetzt die neue Regierung keine neue Rentenformel findet, wird ab 01. 01. 2001 die alte demographische Rentenformel wieder in Kraft treten.

    Gerner: Wie werden denn die Grünen jetzt weiter vorgehen gegenüber der SPD und der Bundesregierung? Sie haben ja eben Informations- oder Kommunikationsmängel beschrieben.

    Metzger: Wir werden gucken, daß heute und morgen in den Steuerungsgruppen-Runden auch das Thema Rente, und zwar in Breite mit Berechnungsformeln, umfangreich diskutiert wird.

    Gerner: Unter Einbeziehung der Grünen-Vorschläge?

    Metzger: Unter Einbezug der Grünen-Vorschläge, wobei wir, wie gesagt, kein Junktim inhaltlich herstellen. Wir wollen uns belegen lassen, daß das Ziel, die steigende Lebenserwartung der Rentner in der neuen Rentenformel abzubilden, erreicht wird und damit die junge Generation nicht ausgeraubt wird, weil sie selber, wenn sie alt ist, keine beitragsbezogene äquivalente Altersrente mehr bekommt.

    Gerner: Herr Metzger, vieles an diesen Punkten ist noch unausgegoren. Noch sind es Pläne. Die Kritik ist aber trotzdem so massiv. Ist Ihr Interesse, daß möglichst viele, nicht nur Opposition, sondern auch Verbände, Gewerkschaften an den Diskussionen teilnehmen, damit möglichst eine breite Mehrheit für diese Rentenpläne entsteht und so etwas wie bei den 630-Mark-Jobs nicht noch einmal passiert?

    Metzger: Da bin ich mir sehr sicher, daß das Rentenkonzept durchaus ausgegoren ist. Ich muß noch auf eines hinweisen: Was wir jetzt praktisch für das Sparpaket brauchen sind die Eckpunkte. Wir müssen wissen, ob rechnerisch das neue Konzept tatsächlich den Sparbeitrag für den Haushalt bringt. Wir als Grüne legen großen Wert darauf, daß die Eckpunkte der neuen Rentenformel auch langfristig tragfähig dann das Rentenniveau finanzierbar halten, weil wenn wir jetzt die Hand reichen zu einer Notfalloperation für den Haushalt, der auch die Renten einbezieht, dann begeben wir uns der Möglichkeit, den sozialdemokratischen Partner bei der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung zur Vernunft zu bringen bei der neuen Rentenformel.

    Gerner: Herr Metzger, noch einmal zur übergeordneten Ebene. Alle Umfragen haben gezeigt, die Europawahlen sind nicht nur, aber auch wegen des Rententhemas verloren worden. Wolfgang Schäuble hat gestern gesagt, die Bundesregierung hat in unheimlich kurzer Zeit grausam viel Vertrauen verspielt. Beschleicht Sie nicht auch manchmal dieses Gefühl?

    Metzger: Das ist keine Frage, und das Debakel vom Sonntag rede ich überhaupt nicht schön. Das war verhehrend für die Koalition. Wissen Sie, in der Politik hat man schon Pferde kotzen sehen! Wir haben einen Fehler gemacht, und ich glaube, daß der kleine Koalitionspartner dort nicht Triebfeder war: Wir haben in der Anfangsphase dieser Regierung so getan, als ob der Staat im Geld schwimme. Wir haben Versprechungen, die vor allem der große Koalitionspartner der Bevölkerung gegeben hat, die zum Wahlerfolg geführt haben, eingehalten, die Geld kosten. Jetzt sind wir in der Situation, endlich praktisch vernünftig zu werden und das zu tun, was objektiv ansteht, und das müssen wir kommunizieren. Es wird für die Regierung raue Monate geben, aber ich bin überzeugt, mit dem Sparkonzept, auch mit einer neuen Rentenformel, die man nach außen kommunizieren kann, die langfristig auch die Renten sichert und bezahlbar macht und nicht zu gigantischen Steueranstiegen führt, weil man immer mehr Steuermittel hineinschießen muß, wird es dazu kommen, daß wir als Regierung wieder Boden gewinnen.

    Gerner: So weit Oswald Metzger, haushaltspolitischer Sprecher der Bündnis/Grünen, in den Informationen am Morgen. Vielen Dank!