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Eine Riesendummheit, aber keine Lüge?

Nutz: Die Regierungskrise in Hessen steht im Mittelpunkt dieser Stunde. Die Koalition in Wiesbaden hängt am seidenen Faden, auch wenn die FDP gestern ihre Treue bezeugte - morgen hat die Basis das Wort, da kann sich noch einiges ändern. Das war gestern wieder kein guter Tag für die CDU. Ihr Vorsitzender Wolfgang Schäuble musste seine Glaubwürdigkeit - oder will - in Form von Eidesstattlichen Versicherungen festlegen. Erste konkrete Zahlen über das, was die Union durch die illegalen Finanztransfers zurückzahlen müsste, wurden bekannt: Mindesten 41 Millionen Mark für den Anfang. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand jedoch - wie gesagt - der CDU-Landesverband in Hessen. Erste Frage: Werden die Liberalen die Koalition verlassen, nachdem Ministerpräsident Roland Koch am Dienstag zugegeben hatte, mit seinem Wissen sei der Rechenschaftsbericht für 1998 manipuliert worden? Zweite Frage: Wird Ministerpräsident Koch persönliche Konsequenzen ziehen und zurücktreten? Er ist nun selbst am Telefon. Guten Morgen, Herr Ministerpräsident.

    Koch: Guten Morgen Frau Nutz.

    Nutz: Sie haben selbst, als die Bundespartei im tiefsten Spendensumpf watete, ‚brutalstmögliche Aufklärung' gefordert. Warum sind Sie nun nicht zu brutalstmöglichen Konsequenzen bereit?

    Koch: Nun, zunächst einmal: Ich habe das, was ich verlangt habe von anderen, auch bei mir getan. Brutalstmögliche Aufklärung heißt, dass die Fehler aufgedeckt werden, und ich habe im Laufe des Aufdeckens der Fehler - dieses Aufdecken der Fehler ist uns in Hessen Gott sei Dank ganz gut gelungen, und wir haben sehr viele der Finanztransaktionen inzwischen dokumentieren können - ich habe dabei selbst einen Fehler gemacht. Den habe ich eingeräumt - der übrigens nicht im Rechenschaftsbericht liegt. Der abgegebene Rechenschaftsbericht ist korrekt. Der Fehler liegt darin, dass ich einige Journalisten einige Tage darüber nicht unterrichtet habe.

    Nutz: Es geht ja darum - wenn ich das richtig verstanden habe -, dass dieses Darlehn insofern korrekt ist, als es juristisch nicht anfechtbar ist. Aber es bleibt die Tatsache, dass Sie das nicht erwähnt haben. Warum - fragt man sich. Wenn es so korrekt war, warum haben Sie das nicht bereits im Januar gesagt?

    Koch: Wir waren genau dabei zu versuchen festzustellen, was eigentlich die Hintergründe dieser Sache waren, als der Journalist mich fragte. Ich habe dann wohl unverständlich berichtet, weil ich nicht alles erwähnt habe. Ich hatte gerade die Termine verabredet, zum Beispiel mit Manfred Kanter, um festzustellen: Was kann hinter dem dubiosen Geld, das anzunehmen ich abgelehnt habe, stecken. Ich wollte nicht mit Halbinformationen gegenüber Journalisten auftreten, sondern mit einem Bild, in dem man sagt, was war und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Das ist dann vier Tage später auch geschehen mit der Pressekonferenz mit Manfred Kanter - in einer Weise, mit der ich selbst bis am 10. Januar noch in keinem Maße geahnt hatte und es mir nicht vorstellen konnte. Damit war jedermann in der Öffentlichkeit vier Tage später bereits klar: Es gab kein Darlehn, es war unser eigenes Geld der CDU, um das es sich da handelt. Dennoch hätte es da aufgeklärt werden müssen. Und das war eben der Fehler.

    Nutz: Nun kreisen um diesen ganzen Vorgang verschiedene Begriffe. Sie selbst haben von einer ‚Riesendummheit' gesprochen, die FDP spricht von ‚handwerklichen Fehlern', andere sagen: Es ist schlichtweg eine ‚Lüge'. Wie nennen Sie das, was passiert ist?

    Koch: Nun, ich habe unvollständig informiert gegenüber Journalisten. Da muss man sich groß rechtfertigen. Es war eine Riesendummheit, dabei bleibe ich . . .

    Nutz: . . . keine Lüge? . . .

    Koch: . . . aber im Gesamtzusammenhang mit einer Aufklärungsaktion, die uns immerhin bis heute ermöglicht, zu sagen: Von einem gigantischen Finanzsystem hinter den Kassen der CDU haben wir 100 Prozent der Einnahmen und 98 Prozent der Ausgaben innerhalb von fünf Wochen oder 6 Wochen aufgeklärt. Daran bin ich - glaube ich - auch sehr maßgeblich beteiligt. Und deshalb hoffe ich - und ich finde da ja auch in der Bevölkerung, in meiner eigenen Partei und auch bei den Kollegen der FDP volles Verständnis, dass auch Politiker in Summa nicht fehlerlos sind und in einer Sekunde, in der ich falsch entschieden habe, auch einen Fehler machen können. Wichtig ist, wie man damit umgeht - aus meiner persönlichen Sicht. Ich hätte den möglicherweise noch monatelang vertuschen können, vielleicht für immer. Dies war ich nicht bereit zu tun. Das wollte ich nicht, so will ich nicht arbeiten. Und ich muss jetzt mit den Folgen der öffentlichen Diskussion leben, weil ich es gesagt habe.

    Nutz: Kann sich denn ein Ministerpräsident eine solche Riesendummheit, wie Sie sagen, leisten?

    Koch: Ich glaube, dass die Bürgerinnen und Bürger auch wissen, dass sie Politiker wählen, die nicht fehlerlos sind. Wenn einer von ihnen behauptet, dass er keine Fehler machen würde, sollten Sie sich den ganz genau anschauen. Ich denke, das ist wie im normalen Leben auch. Man muss sich betrachten, wie die Beteiligten mit den Fehlern umgehen, zum Beispiel, ob sie bereit sind, für sie einzustehen, wenn es auch unglaublichen Ärger gibt und sie vielleicht gar nicht veröffentlichen müssen - zum Beispiel, dass man abwägt: Was habe ich in diesen sechs Wochen zur Aufklärung getan? Hat dieses Verschweigen auch nur einen Tag die Aufklärung verzögert? Hat es irgendetwas vertuscht? Das Gegenteil ist richtig! Diese Tatsache, dass ich am 21. Dezember entdeckt habe, dass es nicht alles so sein kann, wie es mir bisher von Menschen, denen ich sehr vertraut habe, geschildert wurde, hat zu dieser brutalen und schonungslosen Aufklärung in Hessen geführt. Und ich denke, dass es dann eine Chance gibt - wenn der erste Rauch sich ein wenig verzogen hat der öffentlichen Auseinandersetzung -, dass dann auch abgewogen wird, was auf der Soll- und Habenseite liegt. Dann, glaube ich, kann man das vertreten.

    Nutz: Herr Koch, können sie denn Hier und Heute feststellen, dass die Wahrheit nun hundertprozentig auf dem Tisch liegt, oder kommt noch etwas nach?

    Koch: Alles, was ich weiß, weiß auch die Öffentlichkeit.

    Nutz: Gut, eine Zitterpartie steht ja noch bevor. Die FDP hat zwar gestern gesagt, sie hält an der Koalition fest, aber morgen tagt ja der erweiterte Landesvorstand. Was soll denn jetzt geschehen, was werden Sie tun, falls die FDP nun doch beschließt, dass sie aussteigt. Gibt es dann Neuwahlen?

    Koch: Sie werden sicher Verständnis dafür haben, dass wir in einer sehr schwierigen Situation, in der wir sind, nicht auch noch eine ‚was-wäre-wenn-Diskussion' führen, und schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Ich bin den Kollegen der FDP sehr dankbar, dass sie - nachdem ich im Präsidium und in der Landtagsfraktion in Hessen ja war und alles geschildert habe, bevor ich es öffentlich gemacht habe - auch nach dieser sehr heftigen und möglicherweise für sie auch unerwarteten öffentlichen Diskussion, auch innerparteilich in der FDP, bei ihrer Position bleiben. Die jetzige Landesregierung ist nach wie vor handlungsfähig. Sie hat eine Mehrheit im Parlament, und alle 56 Abgeordneten sind entschlossen, den Auftrag, den die Wählerinnen und Wähler ihnen am 7. Februar letzten Jahres gegeben haben, weiter auszuführen. Und solange das so ist, werden wir auch die Führung des Ministerpräsidenten in meiner Person haben.

    Nutz: Es gibt ja noch eine Variante: Sie treten zurück, und die Koalition wird mit einem anderen Ministerpräsidenten weitergeführt.

    Koch: Natürlich gibt es diese Varianten. Selbstverständlich habe ich mit meinen politischen Freunden über alle Möglichkeiten gesprochen, und ich habe den Auftrag derer, die dafür berufen sind das zu bestimmen, das fortzusetzen, weil sie das mit der Frage ‚Fehler und Leistung' in der Relation sehen, wie ich es beschrieben habe. Ich bin niemand, der sagt ‚ich muss das sein', aber ich bin jemand, der sagt: Solange meine politischen Freunde - diejenigen, die den Ministerpräsidenten zu wählen haben - der Auffassung sind, ich soll dieses Amt wahrnehmen, nehme ich es wahr. Ich glaube, dass ich etwas dazu beitragen kann, dieses Land zu entwickeln, so wie es die Koalition von CDU und FDP vorgenommen hat.

    Nutz: Sie haben gestern abend gesagt, Sie wollen nun das Vertrauen der Wähler und Wählerinnen wiedergewinnen. Was schätzen Sie denn, wie weit das Vertrauenspotential der Wähler reicht, jetzt nach Ihren Eingeständnissen und nach dem jetzt Zurechtrücken?

    Koch: Nun, ich sehe ja durch viele Zuschriften, Telefonate und anderem: Es gibt ein großes Potential an Vertrauen nach wie vor. Aber es gibt auch viele Menschen, die enttäuscht sind oder zunächst einmal skeptisch betrachten, was sich dort entwickelt. Und das kann ich auch gut verstehen. Und das bedeutet, dass wir durch Klarheit in der Aussage, auch Offenheit dort, wo der Fehler war, aber vor allen Dingen auch durch die Rückkehr zur Sacharbeit - weshalb die meisten Wähler wollten, dass wir diese Regierung übernehmen - zurückkehren, um dann, wenn die Regierungszeit zu Ende ist und wir vor den Wähler treten, eine Bilanz haben zu können, in der man alles abwägen kann: Was wir in der Schule gemacht haben, was wir in der Verkehrsinfrastruktur gemacht haben, und auch dort, wo die Partei Fehler gemacht hat. In der Summe wird dann eine Entscheidung fallen, ob wir fortsetzen sollen, was wir angefangen haben, oder nicht. Da bin ich sehr optimistisch bei dem, was in Hessen in den letzten 12 Monaten geschehen ist, dass die Mitbürgerinnen und Mitbürger sagen werden: ‚Diese Politik, die dort angefangen worden ist, das ist die, die wir wollten und das ist die, die wir fortgesetzt haben wollen'. Aber dann muss man das in der Sache beweisen. Alleine eine Abstimmung über parteiinterne Affären wird sicher nie einen Erfolg in der öffentlichen Diskussion haben.

    Nutz: Heute wird auch die Landes-CDU tagen. Was werden denn da die Themen sein?

    Koch: Nun ja, wir werden uns nicht ganz der aktuellen Situation verschließen . . .

    Nutz: . . . das dachte ich mir . . .

    Koch: . . . wir haben den Parteitag mit den Landesvorstandswahlen, das heißt, ich stehe nächste Woche auf dem Landesparteitag zur Wahl. Natürlich werden wir darüber sprechen und es vorbereiten, und selbstverständlich werden wir die aktuelle Situation beraten. Das ist ja keine Veranstaltung von einigen wenigen, sondern der Landesvorstand und das Präsidium der hessischen CDU haben genau, wie die Kollegen von der FDP, selbstverständlich das Bedürfnis und das Recht, in dieser Situation eng miteinander zusammenzuarbeiten, um in der jeweiligen Situation die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich bin sicher, dass wir das auch tun werden.

    Nutz: Das war im Deutschlandfunk in den Informationen der Ministerpräsident von Hessen, Roland Koch. Vielen Dank für dieses Gespräch und auf Wiederhören.

    Koch: Auf Wiederhören Frau Nutz.

    Link: (Ruth Wagner zum Finanzgebaren der hessischen CDU (29.1.2000)==>/cgi-bin/es/neu-interview/540.html)