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"Eine schnelle militärische Lösung wäre ein Abenteuer"

Trotz Berichten über schwere Verbrechen an der Zivilbevölkerung hat sich der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, zum aktuellen Zeitpunkt gegen einen Bundeswehreinsatz im afrikanischen Mali ausgesprochen. Der Norden Malis ist in der Hand islamistischer Rebellen.

Rainer Arnold im Gespräch mit Dirk Müller | 24.10.2012
    Dirk Müller: Mord, Vergewaltigungen, Verstümmelungen jeden Tag an der Zivilbevölkerung – das ist das, was hier von unseren Korrespondenten und von Menschenrechtsorganisationen aus Mali zu hören ist -, Gewalt, die von islamistischen Terrorgruppen ausgehen soll. Auch die Regierungstruppen schlagen mit aller Härte zurück, wird berichtet. Aber wer ist für was verantwortlich und wer weiß das schon ganz genau, wer weiß das verlässlich? Die Bundesregierung, wie auch immer, bewegt sich jetzt und will, dass sich die Bundeswehr an einem internationalen Einsatz in Mali beteiligt.

    Bei uns am Telefon ist nun der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold. Guten Tag.

    Rainer Arnold: Schönen guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Arnold, die SPD trägt ja inzwischen fast alles mit. Auch einen Einsatz in Mali?

    Arnold: Wir tragen die Dinge erst dann mit, wenn die Rahmenbedingungen klar sind. Aber richtig ist natürlich: Wir finden es schon gut, dass die Staatengemeinschaft nicht einfach zuschaut, wenn im Norden Malis ein Rückzugsraum für internationale Terroristen entsteht, die letztlich auch uns bedrohen.

    Aber die Schritte, die gegangen werden müssen, sind zunächst die Vereinten Nationen, dann die Europäische Union, und dann haben wir auch noch viel Zeit, über die Details einer militärischen Komponente zu reden, vor allen Dingen auch darüber, welche rote Linien eingezogen werden, damit eben die Befürchtung, man würde in den Konflikt hineingezogen, erst gar nicht entstehen kann.

    Müller: Es wird einige wundern, Herr Arnold, dass Sie sagen, vor dem Hintergrund der dramatischen Situation vor Ort, dass täglich Menschen sterben, vergewaltigt werden, verstümmelt werden, dass wir noch viel Zeit haben.

    Arnold: Es gibt keine schnellen Lösungen. Das ist unbefriedigend, aber man muss sich ja der Realität stellen. Eine schnelle militärische Lösung wäre in der Tat ein Abenteuer. Wir müssen sehen: Im Norden des Landes sind es ja nicht nur eine eindeutig identifizierte Rebellengruppen, sondern sind es sehr unterschiedliche Gruppierungen. Auch der Volksstamm der Tuareg ist dort mit betroffen. Mit denen kann man ja vielleicht auch noch Verhandlungslösungen finden. Die streben eigentlich legitime Ziele an, ein Stück weit ihr eigenes Geschick zu bestimmen. Und das ist was anderes, als den Terroristen Zuflucht einzuräumen.

    Im Süden des Landes haben wir eine instabile Regierung in Mali. Diese Regierung der nationalen Einheit besteht ja erst seit wenigen Wochen und es ist überhaupt nicht klar, wer in dieser Regierung das Sagen hat. Und die Staatengemeinschaft ECOWAS ring herum ist militärisch sehr schwach und die malische Armee ist auch nicht wirklich stark. Und insofern muss man sich die Zeit nehmen, wenn man den Weg gehen will, die regionale Sicherheitsarchitektur zu stärken, die roten Linien zu definieren, und man braucht die Zeit, die Soldaten dort so zu qualifizieren, dass sie mit den Problemen in ihrem Land selbst fertig werden.

    Müller: Wie kann denn die Bundesregierung wissen, wer dort vor Ort der Böse ist?

    Arnold: Das ist sehr schwer zu klären. Aber klar ist natürlich, dass es im Norden sehr unterschiedliche Gruppierungen gibt, die teilweise zumindest mal islamistische Fundamentalisten sind, die auch die Risiken mit sich bringen, dass die Nachbarstaaten infiziert werden. Und die sind durchaus auch erkannt und die Nachrichtendienste wissen das eine oder andere.

    Aber noch mal: Es ist ja nicht daran gedacht, dass europäische Soldaten im Norden des Landes mit militärischer Gewalt die Aufständischen vertreiben, sondern es ist ausschließlich daran gedacht, die Malis so weit zu bringen, dass sie für Ordnung und Sicherheit in ihrem Land auch selbst Verantwortung übernehmen können.

    Müller: Und dann fällt Ihnen dabei, Herr Arnold, nicht die Katastrophe oder die katastrophale Entwicklung in Afghanistan ein, wenn man versucht, einheimische Kräfte auszubilden?

    Arnold: Ja nein, aber das ist doch genau der Punkt. Die Staatengemeinschaft wird doch nach der Lehre in Afghanistan, vor allen Dingen auch die USA nach den schmerzhaften Lehren im Irak, nicht mehr ohne weiteres sagen, wir gehen mit 100.000, 120.000 Menschen in ein fremdes Land und glauben dort, Staatlichkeit mit militärischer Macht durchsetzen zu können. In Afghanistan ist man doch im Augenblick genau auf dem Weg, den ich gerade auch für Mali beschrieben habe.

    Man will so weit kommen, dass man die Afghanen ausbildet, damit sie selbst die Dinge in ihrem Land regeln können. Für mich ist das eher das Modell von zukünftigem Engagement, auch militärischer Art. Das heißt Ausbildung und dort, wo notwendig ist, vielleicht auch Unterstützung im technischen, logistischen Bereich. Aber die Verantwortung und das Sagen müssen die örtlichen Akteure haben, und genau so soll es in Afghanistan ja nach dem Jahr 2014 auch sein.

    Müller: Ja, aber, um noch mal bei Afghanistan als Beispiel auch für Mali zu bleiben, warnendes Beispiel, wie Sie ja selbst auch sagen, Herr Arnold. Wie viele Soldaten der ISAF-Schutztruppen sind bis jetzt getötet worden von afghanischen Polizisten, die von ihnen ausgebildet worden sind?

    Arnold: Man ist aber nicht nach Afghanistan gegangen mit dem Ziel, die Afghanen auszubilden, sondern man hat geglaubt, von außen kommend selbst für Stabilität zu sorgen.

    Müller: Aber das hat sich ja geändert die letzten Jahre. Man ist ja immer mehr in Richtung Ausbildung gegangen.

    Arnold: In den letzten Jahren hat man deutlich gesagt, man muss den Afghanen die Verantwortung übertragen, und deshalb diese Ausbildungskomponente. Und natürlich sind diese Innentäter ein Problem. Nach allem, was man weiß, sind das aber gar nicht unbedingt Aufständische oder deren Anhänger, sondern manches beruht auch auf kulturellen Missverständnissen, auf Wut und so weiter. Also es lohnt sich, die Dinge genauer anzuschauen. Damit will ich sie aber keinesfalls verniedlichen. Das ist ein sehr ernsthaftes Problem in Afghanistan.

    Müller: Aber die kulturellen Missverständnisse mit Blick auf Mali und Tuaregs - Sie haben die komplizierte Situation im Norden des Landes wie auch im Süden ja schon charakterisiert -, die werden ja nicht geringer ausfallen mit großer Wahrscheinlichkeit.

    Arnold: Aber man kann ja auch mal positive Beispiele nehmen. Es ist in Afrika ja überhaupt nicht neu, dass internationale Soldaten versuchen, afrikanische Soldaten und auch Polizisten zu qualifizieren, damit sie Staatlichkeit durchsetzen können. Die Erfahrungen in Afrika sind da nicht schlecht. Es werden zum Beispiel auch Soldaten für Somalia ausgebildet, und es funktioniert einigermaßen. Es werden Soldaten ausgebildet für die Afrikanische Union. Und warum soll das für Mali nicht auch möglich sein?

    Was ich damit sagen will ist: Das Schlimmste, was wir dort machen können, wäre, einfach die Augen zu verschließen und warten, bis die Probleme aus Mali heraus in die Nachbarstaaten und letztlich auch nach Europa schwappen. Damit sage ich nicht, dass man schnell militärische Einsätze beschließen soll, sondern man muss die roten Linien, vor allen Dingen auch die Frage, wie kommt man wieder heraus, zunächst seriös klären. Aber weil Ausbildung nicht schnell geht, gibt es jetzt auch keinen Grund für Hektik und für überstürzte Entscheidungen.

    Müller: Soldatenausbildung, sagen Sie, da gibt es positive Beispiele in Afrika. Viele Soldaten, die ausgebildet worden sind von der westlichen Staatengemeinschaft, dienen diktatorischen Systemen. Haben Sie damit kein Problem?

    Arnold: Ich habe sie akustisch leider nicht verstanden.

    Müller: Viele Soldaten, die wir ausbilden, die westliche Staatengemeinschaft in Afrika, dienen diktatorischen Systemen. Haben Sie damit keine Schwierigkeiten?

    Arnold: Natürlich hat man damit ein Problem.

    Müller: Und wäre das in Mali anders?

    Arnold: Das ist ganz eindeutig. Und trotzdem führt doch kein Weg daran vorbei. Man muss gelegentlich mit den Menschen zusammenarbeiten, die man hat, wenn man nicht zuschauen will, und das ist in Afrika an der einen oder anderen Stelle leider der Fall. Ich habe allerdings auch die Erfahrung gemacht, dass eine Qualifizierung von Soldaten auch in Regimen, die uns wirklich nicht sehr gewogen sind, dazu führen kann, dass das Militär dort sich eher demokratischen Ideen zuwendet.

    Damit sage ich keinesfalls, das ist überall richtig und ist überall machbar, aber Mali ist zunächst mal ein relativ stabiler Staat. Dort hat das Militär einen Aufstand gemacht. Dort gibt es aber nach dieser Übergangsregierung seit Sommer einen politischen Prozess, nämlich einen Konsens, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Und damit mich auch niemand falsch versteht: Politische Prozesse sind natürlich immer militärischen Einsätzen vorzuziehen.

    Und vielleicht führt ja auch die Ernsthaftigkeit der Debatte in New York bei der UNO und in Brüssel bei der EU und in Deutschland dazu, dass die Akteure merken, sie müssen sich bewegen, und möglicherweise auch einen Verhandlungsprozess akzeptieren. Das könnte ja immer noch eine Hoffnung sein, ich würde das nicht ausschließen.

    Müller: Jetzt sagen Sie ja für die SPD, die Bedingungen sind, die roten Linien letztendlich zu definieren, diese nicht zu übertreten. Das heißt, wenn das alles eintrifft, gibt es ein Ja der SPD für diesen Einsatz?

    Arnold: Wenn wir die Parameter kennen, werden wir das beraten. Ich sehe aber, dass die Bundesregierung und Deutschland insgesamt nach der falschen Entscheidung bei Libyen nicht so ohne weiteres, wenn die Staatengemeinschaft jetzt rufen würde, zum zweiten Mal sagen könnte, Deutschland schert aus. Die Sozialdemokraten haben die Idee einer gemeinsamen europäischen verstärkten Sicherheitspolitik - pooling und sharing - viel mehr miteinander leisten. Wer diesen Prozess vorankriegen will in Europa, darf dann natürlich, wenn gemeinsame Einsätze gefordert sind, nicht wiederholt sagen, aber ohne uns. Damit würden wir die richtige und die notwendige Idee einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik massiv und nachhaltig beschädigen. Die Bundesregierung hat ja leider dieses Problem ein Stück weit schon verursacht bei Libyen. Ein zweites Mal wäre das sicherlich nicht tragfähig.

    Müller: Wir können festhalten: die Verteidigung Deutschlands beginnt nicht nur am Hindukusch, sondern auch in Nordafrika?

    Arnold: Die Verteidigung deutscher Sicherheit beginnt überall dort, wo Menschen Rückzugsräume haben, die uns möglicherweise auch bedrohen, und das nördliche Afrika ist insgesamt eine fragile Zone und Europa hat insgesamt, ich sage nicht die Verteidigung Deutschlands ausschließlich, wir haben insgesamt als Europäer ein hohes Interesse an Stabilität im nördlichen Afrika. Das geht uns unmittelbar an, ganz bestimmt, und Deutschland ist nicht alleine auf der Welt, sondern wir sind Teil dieses gemeinsamen Europas.

    Müller: Danke nach Berlin für dieses Gespräch – der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold.


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