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Eine Schreckensmeldung

In Entwicklungsländern sterben Millionen Menschen an Tuberkulose. Dass die Krankheit auch bei uns einmal zu den Haupttodesursachen gehörte, ist fast vollständig in Vergessenheit geraten. Vor 100 Jahren meldeten die deutschen Behörden, der Epidemie seien in einem Jahr rund 40.000 Menschen zum Opfer gefallen.

Von Irene Meichsner | 02.04.2013
    "Misserfolge der Vergangenheit beweisen, dass wir neue Strategien benötigen. Die Ausbreitung medikamenten-resistenter Bakterienstämme und das Zusammentreffen mit der HIV-Epidemie machen die Tuberkulose zur globalen Gesundheitskrise."

    Weltweit rund neun Millionen Neuinfektionen und zwei Millionen Todesopfer innerhalb eines Jahres: Das war die bittere Bilanz, die das Ärztefachblatt "Lancet" 2010 anlässlich des 100. Todestages von Robert Koch veröffentlichte. 1882 hatte Koch als Mitarbeiter des Kaiserlichen Gesundheitsamts unter dem Mikroskop die stäbchenförmigen Tuberkel-Bazillen entdeckt. Er schrieb euphorisch:

    "In Zukunft wird man es im Kampf gegen diese schreckliche Plage des Menschengeschlechtes mit einem fassbaren Parasiten zu tun haben, dessen Lebensbedingungen zum größten Teil bekannt sind und noch weiter erforscht werden können."

    Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatte man die so genannte "Schwindsucht" vor allem als schicksalhaftes Leiden romantischer Genies, Dichter und Musiker wahrgenommen. Im Zuge der Industrialisierung entwickelte sie sich zur "Volksseuche", die sich in den unteren sozialen Schichten epidemisch ausbreitete – bedingt vor allem durch beengte Wohnverhältnisse und schlechte Ernährung. Als klar war, dass es sich bei der Tuberkulose um eine Infektionskrankheit handelt, war man optimistisch, sie bald beherrschen zu können.

    "Auf Collegen, zum fröhlichen Krieg / Mit den Bacterien, - uns winket der Sieg!",

    … hieß es in einem "Liederbuch für deutsche Ärzte und Naturforscher". 1890 sorgte Koch mit einem angeblichen Heilmittel für Schlagzeilen. Es entpuppte sich als ein Extrakt von Reinkulturen des Tuberkuloseerregers, der den Zustand vieler Patienten sogar verschlimmerte. Die Behörden verteilten Merkblätter, um den Menschen Verhaltensmaßregeln zu geben.

    "Willst du wissen, wie du dich vor Tuberkulose schützen kannst, so merk dir folgendes: zunächst achte darauf, daß der Krankheitskeim nicht sorglos durch Spucken und Husten verstreut wird."

    Überall standen nun Spucknäpfe. Fürsorgeschwestern machten Hausbesuche. Wohnungen, Kleidung und Bettzeug von Erkrankten wurden desinfiziert. Die Maßnahmen zeigten Wirkung. Bis zum Ersten Weltkrieg sank die Zahl der TBC-Patienten kontinuierlich. Am 2. April 1913 zählte das "Ministerial-Blatt für Medizinalangelegenheiten" in Preußen binnen einer Woche 804 neue Fälle von Lungen- und Kehlkopftuberkulose. Nach Angaben der Seuchenpolizei hatte es 1912 rund 40.000 Todesopfer gegeben. Die Tuberkulose war immer noch die dritthäufigste Todesursache, aber im Vergleich zu den 1880er und 1890er Jahren hatte sich die Lage verbessert. Während des Krieges stieg die Zahl der Neuerkrankungen wieder, danach wurden die Aufklärungskampagnen fortgesetzt. Die Nationalsozialisten führten eine Registrierung von Tuberkulosekranken, Heirats- und Berufsverbote und eine Zwangskasernierung ein.

    1943 wurde in den USA mit dem Streptomycin das erste gegen das "Mycobacterium tuberculosis" wirksame Antibiotikum isoliert. Jetzt schien der Sieg über die Krankheit in greifbarer Nähe – abermals ein Irrtum. Aufgrund von Resistenzen kam es zu Rückfällen. Heute setzt man vier Antibiotika gleichzeitig ein. Doch die Behandlung wird immer schwieriger.

    "Weltweit sind etwa 50 Millionen Menschen bereits mit einem Tuberkulose-Erreger infiziert, der multiresistent ist, das heißt nicht gegen ein, sondern mindestens zwei der Antibiotika, die wir gerne einsetzen würden, nicht mehr ansprechen."

    so Stefan Kaufmann vom Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie. Solche Fälle seien zwar noch therapierbar,...

    "...aber es ist ein Kostenfaktor von hundert bis tausend. Also anstatt 50 oder 100 Euro werden es eben hundert- oder tausendfach mehr. Das können wir mit unserem Gesundheitssystem schon noch tragen. Aber stellen Sie sich ein armes Land in Afrika vor, wo man mit einem Dollar im Jahr auskommen muss für die Gesundheitsfür¬sorge. Da ist es schon kaum möglich, die normale Behandlung zu verabreichen und zu bezahlen, Kostenfaktor 100 bis 1000 bedeutet da meistens ein Todesurteil."

    Hierzulande ist die Tuberkulose zum Glück selten geworden. Aber in der so genannten Dritten Welt ist sie allgegenwärtig. Dort wurden sogar schon Bakterienstämme mit Resistenzen gegen mindestens vier der wichtigsten Antibiotika gefunden. Da ist die Medizin so gut wie machtlos.