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Bakterien ohne Grenzen

Bis zum Jahr 2050 sollte die Tuberkulose laut Weltgesundheitsorganisation eigentlich vollständig ausgerottet sein. Doch davon ist man weit entfernt. Die Infektionszahlen steigen weiter, und auch die gefährlichen multiresistenten Keime sind auf dem Vormarsch: Im Nordwesten Russlands sind sie schon für jede vierte Neuinfektion verantwortlich.

Von Mareike Degen | 23.03.2010
    Mitte der 90er hat Timo Ulrichs in einer Klinik in Südafrika gearbeitet. Damals noch als Medizinstudent. An seine Patienten kann er sich gut erinnern.

    "Es waren so junge Menschen, von denen man dann angenommen hat, sie könnten das neue Südafrika da unten aufbauen helfen."
    Die meisten von ihnen hatten keine Chance. Sie litten an zwei tödlichen Krankheiten gleichzeitig: Aids und Tuberkulose.

    "Ich erinnere mich noch an den Fall einer Grundschullehrerin, die mit einem AIDS-Vollbild eingeliefert wurde, wo schon der Pilz in der Speiseröhre war und sie schwer Tuberkulose hatte, Lungentuberkulose, die dann immer noch von ihren Schülern besucht worden ist, dann aber drei Tage später verstorben war."

    Heute leitet Timo Ulrichs die Sektion Tuberkulose am Koch-Metschnikow-Forum in Berlin. Menschen, die mit HIV infiziert sind, erklärt er, erkranken häufiger an Tuberkulose, und sie sterben öfter daran.

    "Beide Infektionen bedingen sich gegenseitig und helfen einander, dann regelrecht zum Ausbruch zu kommen."

    In Südafrika treten diese Co-Infektionen besonders häufig auf. Ärzte können die Tuberkulose bei HIV-infizierten Patienten dann kaum noch in den Griff bekommen; ihr Immunsystem ist einfach zu schwach.

    "Hinzu kommt jetzt, mehr und mehr, dass wir dort unten, ähnlich wie in Osteuropa und in Zentralasien auch, resistente Tuberkulose-Erreger finden."

    2008 haben sich weltweit 9,4 Million Menschen mit Tuberkulose infiziert, schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Die meisten davon in der ehemaligen Sowjetunion, in China, Indien und Südafrika. Und es treten immer mehr Komplikationen auf, wie Co-Infektionen mit HIV, oder multiresistenten Keime, gegen die herkömmliche Tuberkulose-Medikamente nichts ausrichten können. In manchen Regionen kommt sogar alles zusammen. Die Tuberkulose ist auf dem Vormarsch, und das bekommen in erster Linie die Entwicklungsländer zu spüren. In westlichen Industrienationen wie Deutschland ist die Krankheit eher ein Randphänomen. Bonita Brodhun vom Robert-Koch-Institut in Berlin.

    "Wir sind hier nach wie vor in der erfreulichen Situation, dass die TB in Deutschland rückläufig ist."

    Im Jahr 2008 sind hierzulande etwa 4500 Menschen an Tuberkulose erkrankt, das sind 500 weniger als im Jahr 2007. Und auch die Infektionen mit multiresistenten Keimen sind zurückgegangen. Trotzdem: Eine Entwarnung gibt es nicht.

    "Wir sehen hier in Deutschland, dass nach wie vor der überwiegende Anteil der Erkrankten aus Deutschland selbst stammt, also deutsche Staatsangehörige sind oder in Deutschland geboren sind. Ein sehr hoher Anteil der Erkrankten stammt auch aus dem Ausland. Und hierbei sind vor allem Erkrankte betroffen, die aus dem osteuropäischen Raum stammen."

    In Bayern zum Beispiel sind in den letzen Jahren fünfzehn Au-Pair-Mädchen aus Osteuropa aufgetaucht, die an Tuberkulose erkrankt waren. Ein Kind und zwei Erwachsene hatten sich angesteckt.

    "Wenn jemand aus so einem entsprechenden Staat da ist, kann man denjenigen ja nicht von vorneherein stigmatisieren und sagen, oh Gott, oh Gott, aber man sollte darauf achten, wenn das Au-pair-Mädchen hier ist und es tritt zum Beispiel ein Husten auf, unklarer Ursache, der anhält, dann sollte man natürlich auf jeden Fall einen Arzt aufsuchen und da dann auch natürlich an eine Tuberkulose denken."

    Die sinkenden Fallzahlen dürften nicht dazu führen, dass die Tuberkulose in Vergessenheit gerät, warnt Bonita Brodhun. Denn nur wenn die Ärzte entsprechend ausgebildet und sensibilisiert sind, können sie eine Tuberkulose so früh wie möglich erkennen und behandeln.