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Eine soziologische Analyse
Der AfD-Wähler – das unbekannte Wesen

Die AfD ist vor allem eine Männerpartei, wird eher von älteren gewählt und ihre Wähler eint die Angst vor dem Abstieg - so resümieren Meinungsforscher. Soziologen und Demoskopen hatten die Wahlerfolge der "Alternative für Deutschland" so nicht vorhergesehen. Doch wer sind ihre Wähler? Der Versuch einer soziologischen Analyse des "typischen" AfD-Wählers anhand dreier Landesverbände.

Von Stefan Maas und Christoph Richter | 21.07.2016
    AfD-Anhänger demontrieren auf der Wilhelmstraße in Berlin
    Die rechtspopulistische Partei "Alternative für Deutschland" wurde erst vor dreieinhalb Jahren gegründet - und feierte trotzdem bei Europa- und Landtagswahlen bereits Erfolge. (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    "Nein, ich will dazu nichts sagen." - "Ich möchte dazu keine Aussage machen." - "Ich beantworte Ihnen keine Fragen, h ab ich doch gesagt." - "Nee… wir müssen weiter. Sorry."
    Kaum einer will laut und öffentlich sagen, warum die "Alternative für Deutschland" gerade zwischen Halle, Leipzig und Dessau so beliebt und erfolgreich ist. Zur Erinnerung: Bei den Landtagswahlen am 13. März hat die AfD in Bitterfeld aus dem Stand 31,9 Prozent der Stimmen erhalten. Damit hat fast jeder dritte Bitterfelder die AfD gewählt. Ein bundesweiter Spitzenwert.
    Einst galt Bitterfeld als die schmutzigste Stadt Europas, als Synonym für marode Wirtschaft, für vergiftete Luft, für verseuchten Boden. Das ist lange her. Aus den umliegenden Tagebauen sind Seenlandschaften geworden. Das Bitterfelder Rathaus - ein neogotischer mit norddeutschen Zinnen verzierter Backsteinbau – ist saniert. Marode Altbauten gibt es in der Innenstadt nur wenige, stattdessen sind die meisten Häuser bunt getüncht. Dennoch: Von Aufbruchsstimmung ist hier wenig zu spüren, stattdessen herrschen tiefe Resignation und großer Frust:
    "Ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet und geh mit 550 Euro Rente nach Hause. Da muss ich schon sagen, da kann doch etwas nicht stimmen."
    Sachsen-Anhalt ist ein zerrissenes Land
    Heidi Schuetz ist 68, sie steht vor einem vietnamesischen Laden, der billige Klamotten verkauft. Er befindet sich in der Burgstraße, so etwas wie die Haupteinkaufstraße von Bitterfeld, die auf den meist menschenleeren Marktplatz mündet. Früher war die 1,60 Meter große Frau Alten- und Tierpflegerin. Um heute über die Runden zu kommen, jobbt Heidi Schuetz als Verkäuferin. Selbst nennt sie sich eine überzeugte AfD-Wählerin:
    "Erstmal kommen wir dran. Und dann kann man auch anderen helfen."

    Sachsen-Anhalt: ein zerrissenes Land. Ein Stück Parteiengeografie: Während im Norden Sachsen-Anhalts die CDU die Fäden fest in der Hand hält und die AfD dort nur schwer ein Bein auf den Boden bekommt, ist der Süden des Landes fest in der Hand der Rechtspopulisten.
    Ein Schild an einer früheren Baustellenzufahrt zum Solar Valley in Bitterfeld-Wolfen
    Mit dem Solar-Valley erlebte die einst so stolze Industrie-Region im wiedervereinigten Deutschland ihren zweiten Niedergang. (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
    Der Riss verläuft entlang der berühmtesten deutschen Sprachgrenze, der so genannten Ik-Ich Linie, die grob gesehen zwischen Aachen und Frankfurt/Oder liegt. Nördlich davon spricht man hochdeutsch, südlich davon mitteldeutsch. Mehr noch, diese Linie trennt Sachsen-Anhalt, zwischen dem landwirtschaftlich geprägten Norden – also CDU-Land und dem industriellen Süden, bestehend aus Bergbau und der Chemie-Industrie. AfD-Land.
    "Das postdemokratische Ohnmachtsgefühl ist sehr hoch"
    "Dort waren die großen Kombinate mit den vielen Zehntausenden Mitarbeitern und Angestellten", erläutert der Magdeburger Sozialwissenschaftler David Begrich:
    "Das sind Menschen, die haben in den 25 vergangenen Jahren vielfältige biografische und politische Brüche erlebt, dass politische Leitbilder, die sie vor und nach der Wende hatten, zerbrochen sind. Und bei denen ist die Bereitschaft, die AfD zu wählen, sehr hoch. Weil die Entfernung zu dem, was man politischen Betrieb nennt, sehr, sehr weit weg ist. Also das postdemokratische Ohnmachtsgefühl ist sehr hoch."

    Viele Menschen im Süden Sachsen-Anhalts, auch in der Region Bitterfeld-Wolfen sind überfordert, sehen sich abgehängt. Und gerade für diejenigen, so Begrich weiter, hält die AfD die Botschaft bereit: du kannst so bleiben wie du bist.
    David Begrich von Verein "Miteinander" in Magdeburg
    Der Magdeburger Sozialwissenschaftler David Begrich (picture alliance / ZB / Arno Burgi)
    Zur Erinnerung: Nach dem Mauerfall haben in Bitterfeld und Umgebung rund 31.000 Menschen ihren Job verloren. Dann keimte Ende der 1990er-Jahre Hoffnung. Westberliner Solar-Enthusiasten versprachen ein Klimamärchen: das Solar-Valley. Rund um die Uhr wurden Solarmodule produziert. Lastwagen kamen im Minutentakt, um die leuchtend blauen Paneele einzuladen. Es gab einen hauseigenen Kindergarten, einen kostenfreien Shuttleservice zwischen Bahnhof und Werk. Von der Goldgräberstimmung ist heute nichts mehr zu spüren.
    Die AfD als Klassensprecher für die Probleme der Menschen in Sachsen-Anhalt
    Die Werkshallen stehen leer, daneben wächst der Raps. So erlebte die einst so stolze Industrie-Region im wiedervereinigten Deutschland ihren zweiten Niedergang. Zu viel für die Menschen in diesem Landstrich. Sie lehnen Zuwanderer ab, weil sie sich benachteiligt, von der Politik im Stich gelassen fühlen. Auch wenn es in der Gegend bisher kaum Flüchtlinge gibt.
    In der AfD sehen viele Menschen im Süden Sachsen-Anhalts – so beschreibt es der Stendaler Politologe und Psychologe Thomas Kliche – eine Art Klassensprecher für ihre Probleme. Eine Partei, die zuerst die einheimischen Deutschen und niemand anderen – schon gar nicht Flüchtlinge oder Migranten – im Blick habe:
    "Im Norden haben wir eine andere Entwicklung. Da haben wir eine Orientierung an Arbeitsplätzen, die außerhalb des Landes liegen, vor allen Dingen in Wolfsburg und Berlin. Und dadurch ist mehr Konstanz in den sozialen Beziehungen, in den ländlichen Gefügen, aber auch in der wirtschaftlichen Orientierung."

    Der seit Jahrhunderten für den Norden Sachsen-Anhalts typische Landwirt ist wertkonservativ. Doch mit gestrig-autoritären Denkmustern, polterig-populistischen Reden kann die traditionelle Landbevölkerung heute nur noch wenig anfangen. Stattdessen engagiert man sich für das Gemeinwohl, ist in der Lokalpolitik, der Kirchengemeinde, in Vereinen vertreten, hat die soziale Teilhabe aller im Blick. Miteingeschlossen sind die Flüchtlinge: Früher waren es die Vertriebenen aus den ehemaligen Ost-Gebieten, heute sind es syrische Kriegsflüchtlinge.
    Dozentin Ursula Achterkamp (l.), unterrichtet am 04.02.2016 in Osterburg (Sachsen-Anhalt) Flüchtlinge aus Syrien während eines Deutschkurses.
    Früher engagierte man sich in Sachsen-Anhalt für die Vertriebenen aus den ehemaligen Ost-Gebieten, heute für syrische Kriegsflüchtlinge. (dpa / picture-alliance / Jens Wolf)
    "Illusionen entstehen dort, wo Not groß ist"
    Die entwurzelten Industriearbeiter im Süden Sachsen-Anhalts dagegen seien weniger solidarisch, auch weil eine unterstützende Gemeinschaft fehle, wie man es bei den Landwirten im Norden beobachten könne. So zumindest beschreibt es der Magdeburger Psychoanalytiker Jörg Frommer:
    "Illusionen entstehen immer dort, wo Not groß ist. Nicht nur materielle, wo innere Not groß ist, wo sich jemand verlassen fühlt. Vergessen fühlt von der geschichtlichen Entwicklung, sich benachteiligt fühlt."
    "Hier hab ich erst mal ein Hefe … Hefe, Hefe, Hefe."
    Ein Montagabend in Berlin. In einem abgetrennten Raum eines argentinischen Steakhauses sitzen etwa 30 Personen um einen langen Tisch. Die AfD Berlin hat zum Kennenlerntreffen eingeladen. Gekommen sind: potenzielle Neu-Mitglieder. Die meisten sind Männer. Auch ein paar jüngere, aber der Blick in die Runde zeigt überwiegend ältere Gesichter. Ein guter Teil hat sein Berufsleben schon hinter sich:
    "Ich komme aus Spandau und habe den Eindruck, den sicheren Eindruck, dass alle etablierten Parteien Politik gegen die Interessen des deutschen Volkes machen." - "Ich möchte als gewesene und gelernte DDR-Bürgerin nicht, dass wir Zustände bekommen, und wir sind auf dem besten Weg dahin, wie ich sie, als Lehrerin wohlgemerkt, in der DDR erleben musste … durfte. Ich hatte zu essen, ich hatte zu trinken, ich hatte ein Dach über dem Kopf, aber mir fehlte die freie Meinungs-, ja, nicht nur -bildung, sondern auch, dass man darüber reden durfte." - "Ich habe eine dreijährige Tochter, und ich mache mir also allergrößte Sorgen um die Zukunft meiner Tochter. Dass sie einfach nicht mehr in dem Land aufwachsen kann, so wie ich es erleben durfte."
    AfD-Anhänger haben "überdurchschnittlich hohe Einkommen"
    Spandau, Wedding, Wilmersdorf oder Marzahn. Egal aus welchem Teil von Berlin sie kommen, die Motive der Menschen am Tisch ähneln sich. Das Kennenlerntreffen bestätigt in der Praxis, was Untersuchungen über AfD-Anhänger zeigen, sagt Peter Matuschek:
    "Die AfD-Anhängerschaft, -wählerschaft zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie nicht so heterogen ist wie etwa die Anhängerschaft der großen Parteien. Sie ist vor allen Dingen eine Männerpartei, überdurchschnittlich, sie wird eher von älteren als von jüngeren gewählt und sie zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die Anhänger überdurchschnittlich hohe Einkommen haben im Vergleich zum Rest der Wählerschaft, aber pessimistische Wirtschaftserwartungen."

    Matuschek ist Bereichsleiter Politik- und Sozialforschung beim Meinungsforschungsinstitut Forsa:
    Bis zu 2.500 Anhänger der Alternative für Deutschland (AfD) bei einer Demonstration in Berlin
    Bis zu 2.500 Anhänger der Alternative für Deutschland (AfD) bei einer Demonstration in Berlin (Imago)
    "Das heißt, es ist eine Wählerschaft, die von, obwohl es ihnen objektiv ökonomisch gut geht, von gewissen Statusängsten geprägt ist. Also, wenn man so will, eine Mittelschicht, die in irgendeiner Form Angst vor dem Abstieg hat."
    Flüchtlinszahlen haben AfD-Wähler zugetrieben
    Auch die hohen Flüchtlingszahlen im vergangenen Jahr haben der AfD-Wähler zugetrieben. Angela Merkels "Wir schaffen das" haben diese Menschen nicht als ermunternde Botschaft wahrgenommen, sondern als Bedrohung. Immerhin würde – im Durchschnitt der letzten Wochen betrachtet – jeder zehnte seine Stimme der AfD geben, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre. Daran ändert bislang auch der Machtkampf nichts, den die Bundesspitze um Frauke Petry und Jörg Meuthen in den vergangenen Wochen ausgetragen hat.
    Offiziell haben die beiden Parteichefs sich zwar wieder zusammengerauft, dennoch hat die Partei für Mitte August einen Parteikonvent zusammengerufen. Dem gehören Mitglieder des Bundesvorstandes und der Landesverbände an. Kommen die Mitglieder zu dem Schluss, eine Zusammenarbeit Meuthens und Petrys sei nicht mehr möglich, könnte ein Sonderparteitag einberufen werden. Vor den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern wäre das ein verheerendes Signal. Noch aber sind die Umfragen aus AfD-Sicht vielversprechend.
    Zwar ließen sich auch in der Hauptstadt Unterschiede im Zuspruch zur AfD feststellen zwischen den Bezirken im Osten und im Westen, erläutert Forsa-Mann Matuschek, aber eine so deutliche Trennlinie wie in Sachsen Anhalt gebe es in Berlin nicht. Im Ostteil der Hauptstadt sei die Akzeptanz für seine Partei in der Tat höher, sagt Georg Pazderski, der Berliner Landeschef der Alternative für Deutschland.
    Umfrage- und tatsächliches Wahlergebnis können stark abweichen
    Nimmt man zum Beispiel die Europawahl 2014, fuhr die AfD in Mahrzahn-Hellerdorf mit 11,7 ein überdurchschnittliches Ergebnis ein. Aber, sagt Pazderski, "auch im Westteil gibt es Bezirke, wo die AfD relativ stark ist."
    Charlottenburg-Wilmersdorf zum Beispiel oder Steglitz. Sehr bürgerliche Stadtteile. Bei der Europawahl holte die AfD dort zwar mit 7,8 und 8,5 Prozent nur einstellige Ergebnisse. Berücksichtigt man aber die hohe Wahlbeteiligung in diesen Bezirken, kommt die AfD in absoluten Zahlen doch auf eine beachtliche Unterstützerzahl.

    Insgesamt käme die AfD derzeit bei der Abgeordnetenhauswahl am 18. September auf 13 Prozent der Stimmen. Damit hat sie zwar im Vergleich zu früheren Umfragen verloren, das müsse aber noch nichts heißen, sagt Peter Matuschek. Gerade wenn es um Parteien am rechten Rand des politischen Spektrums gehe, sei es schon immer so gewesen, dass potenzielle Wähler in Umfragen nicht zwingend die Wahrheit über ihre Wahlabsichten gesagt hätten, erklärt der Forsa-Mann.
    Jörg Meuthen (links), Fraktionsvorsitzender der AfD im Landtag von Baden-Württemberg, trifft auf die Bundesvorsitzende Frauke Petry
    Jörg Meuthen (links), Fraktionsvorsitzender der AfD im Landtag von Baden-Württemberg, und die Bundesvorsitzende Frauke Petry (picture alliance / dpa / Christoph Schmidt)
    Auch bei der AfD haben die letzten Landtagswahlen im März gezeigt: Umfrage- und tatsächliches Wahlergebnis können ziemlich deutlich auseinanderliegen. So hatte die AfD bei Umfragen in Sachsen-Anhalt immer knapp unter 20 Prozent gelegen. Am Ende zog die Partei mit 24,3 Prozent in den Landtag ein:
    "Es war aber vor allen Dingen, und das ist ein Novum, auch bei den Wahltagsbefragungen am Wahlabend der Fall."
    AfD-Anhänger verweigern sich Wahlumfragen
    Für die werden Wähler vor Ort gebeten, ihre Wahl noch einmal auf einem Zettel zu wiederholen. Diese Ergebnisse fließen in die Prognose um 18 Uhr ein. Auch hier gab es deutliche Unterschiede zwischen Prognose und amtlichem Ergebnis:
    "Normalerweise ist die 18 Uhr Prognose schon um ein Prozent maximal genau. Das war insofern etwas Neues, als es ja offenbar zeigt, dass auch bei der Wahltagsbefragung doch offenbar ein Teil der AfD-Anhänger sich grundsätzlich verweigert hat, sich befragen zu lassen."
    Was das für die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern bedeutet, darüber lässt sich im Moment nur spekulieren. Dort werden die etwa 1,4 Millionen Wahlberechtigten am 04. September über die zukünftige Zusammensetzung des Landtags abstimmen. Wäre diesen Sonntag Landtagswahl, käme die AfD auf 19 Prozent. Aussagen darüber, wer der Partei seine Stimme geben könnte, seien aber rund acht Wochen vor der Wahl schwierig, sagt Christian Nestler, Politikwissenschaftler an der Universität Rostock:
    "Man muss wissen, wir hatten 2011 eine Wahlbeteiligung von 51,X Prozent ungefähr. Das heißt, Sie haben eine relativ große Masse an Leuten, die zuhause geblieben sind. Da ist theoretisch ein Reservoir da, was, wenn Sie das Bild bemühen wollen, rechts der CDU stehen könnte, aber so gesehen noch links der NPD. Da ist also ein recht breites Spektrum, wenn es auch nicht homogen ist."
    Auch in Mecklenburg- Vorpommern zeigt sich ein ähnlicher Teilungs-Effekt wie in Sachsen-Anhalt. Je nach Region differiert auch hier der AfD-Wähleranteil deutlich:
    "Mecklenburg Vorpommern ist auch ein Bindestrichland, auch in dieser Hinsicht, es gibt einen Unterschied, also es ist in der Wirtschaftskraft dieses Landesteiles Vorpommern zu Mecklenburg verglichen tatsächlich auch in Zahlen nachweisbar, dass die Wirtschaftskraft dort niedriger ist. Und in der Wahrnehmung der dort lebenden Bevölkerung eben auch, dass dort in Vorpommern die Perspektiven, für Zukunft, für Arbeitsplätze verhältnismäßig zu Mecklenburg kleiner eingeschätzt werden."
    AfD will keine Unterstützung von der NPD - könnte aber trotzdem profitieren
    Diese Unterschiede hätten Konsequenzen bei Wahlen, sagt Nestler:
    "Wir haben das dann auch bei der rechtsextremen NPD gesehen, dass die auch dort in den ländlichen Räumen in Vorpommern, allerdings nicht nur dort, besonders punkten konnte. Und man hat es bei der Kommunalwahl 2014 beispielsweise gesehen, dass das für die AfD im ländlichen Raum durchaus auch gilt, bei der Europawahl Vergleichszahlen und bei der Bundestagswahl 2014 ebenso."
    Ein ähnliches Phänomen könnte sich für die AfD auch bei der Landtagswahl Anfang September zeigen. Bundesweit fallen die AfD-Politiker aus Mecklenburg Vorpommern kaum auf. Dort gibt es keinen Björn Höcke wie in Thüringen, keinen André Poggenburg wie in Sachsen-Anhalt, und keinen Alexander Gauland wie in Brandenburg.

    Und doch zählt der mit etwa 400 Mitgliedern recht kleine mecklenburg-vorpommersche Landesverband eher zu den weiter rechts stehenden. So habe es etwa sehr lange gedauert, bis sich die AfD offiziell vom Pegida-Ableger MVGida distanziert habe, der deutlich von NPD und Kameradschaften dominiert gewesen sei, sagt Politikwissenschaftler Nestler von der Universität Rostock:
    Frank Franz (l.), NPD-Parteivorsitzender
    Die AfD will sich von der NPD bei der Landtagswahl nicht offen unterstützen lassen. (imago stock & people)
    "Was für mich das stärkere Zeichen noch ist, seit die AfD in allen Kreistagen in Mecklenburg-Vorpommern nach der Kommunalwahl 2014 sitzt, hat sie auch schon in einzelnen Kreistagen Anträge der NPD mit unterstützt, was hier normalerweise im Land, also vom Landtag ausgehend über den Schweriner Weg, das heißt parlamentarische Ausgrenzung oder Minimierung der NPD, eigentlich nicht Praxis ist. Davon ist sie eben abgewichen und hat sich anders positioniert."
    Von der NPD bei der Landtagswahl offen unterstützen lassen will sich die AfD allerdings nicht. Die NPD hatte erklärt, zugunsten der AfD auf Direktkandidaten verzichten zu wollen. Auch wenn die AfD erklärt, sie wolle und brauche diese Unterstützung nicht, könnte sie dennoch davon profitieren, sagt Christian Nestler:
    "Weil, wir haben es in Sachsen-Anhalt gesehen, wo überraschend 15 Direktmandate gewonnen wurden. Das ist für Mecklenburg-Vorpommern so nicht absehbar. Aber auch in jeder Hinsicht nicht absehbar. Das heißt, wir können zu diesem Zeitpunkt auch nicht sagen, dass die Situation nicht auch hier auftauchen könnte. Und da sind mögliche NPD-Erststimmen gerade in Vorpommern, wo auch die NPD schon mal zweistellige Erststimmenergebnisse hatte, schon eine Unterstützung für die AfD, wenn es dann so eintritt."
    Verbale Tabubrüche von Parteichefin Frauke Petry ziehen potenzielle Wähler an
    Die Abgrenzung von extremen Kräften ist auch ein Dauerthema bei der Bundes-AfD. Ehemalige Mitglieder extremer Parteien nimmt die Alternative für Deutschland nicht auf – offiziell zumindest. Wenn ein Landtagsabgeordneter in Sachsen-Anhalt jedoch ein früheres NPD-Mitglied als wissenschaftlichen Mitarbeiter beschäftigt, finden das zwar nicht alle gut, es ist aber möglich.
    Auch wenn die AfD wie andere rechtspopulistische Parteien in Europa weiß, dass sich mit offenem Antisemitismus bei Wählern in der Mitte nicht punkten lässt, hat sie den baden-württembergischen Abgeordneten Wolfgang Gedeon lange gewähren lassen. Inzwischen hat er die AfD-Fraktion – oder was davon noch übrig ist, verlassen, sein Kreisverband hat ihn als Vorsitzenden abgewählt.

    Erst kürzlich hat sich der Bundesvorstand der Jungen Alternative, die AfD-Jugendorganisation, von der fremdenfeindlichen und völkischen "Identitären Bewegung Deutschland", die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, distanziert. Dabei gab es – zumindest bis zu dem Beschluss – enge Kontakte. Die Entscheidung des Bundesvorstandes, dass AfD-Politiker bei Veranstaltungen der islamfeindlichen Pegida nicht auftreten sollen, hat das Schiedsgericht der Partei vor wenigen Tagen kassiert.
    Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry redet und gestikuliert dabei, im Hintergrund der Schriftzug der Partei.
    Der kalkulierte verbale Tabubruch, mit dem bestimmte potenzielle Wähler angesprochen werden, ist der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry nicht fremd. (picture-alliance / dpa / Andreas Gebert)
    Einerseits fordert Parteichefin Frauke Petry klare rote Linien, andererseits ist auch ihr der kalkulierte verbale Tabubruch, mit dem bestimmte potenzielle Wähler angesprochen werden, nicht fremd. Für Politikwissenschaftler sind solche Tabubrüche inklusive des anschließenden Zurückruderns und der Behauptung, bewusst missverstanden worden zu sein, ein typisches Handlungsmuster rechtspopulistischer Parteien.