Jürgen Liminski: Die Nation, das ist die Gemeinschaft der Toten, der Lebenden und der Künftigen. Diese Definition des Briten Edmund Burgh bedarf der Ausgestaltung, vor allem was die Vergangenheit betrifft, denn diese Vergangenheit schafft den Kulturraum, in dem die Gegenwärtigen leben. Die Erinnerung muss also gegenwärtig werden und wo geschieht das besser als in einem ansprechenden Museum. Mit dem Bode-Museum hat Berlin, haben die Deutschen so ein Museum wieder. Haben sie damit auch wieder Kultur und mehr Wir-Gefühl? - Zu dieser Frage begrüße ich am Telefon Bundestagspräsident Norbert Lammert, der heute Morgen nach unserem Gespräch zum Festakt in das Museum eilen wird. Guten Morgen Herr Lammert!
Norbert Lammert: Guten Morgen Herr Liminski!
Liminski: Herr Lammert, fehlte uns dieses Museum wirklich und wenn ja warum?
Lammert: Ja, ganz sicher. Es ist ja das Bode-Museum jetzt nicht nur wegen des Umbaus eine ganze Reihe von Jahren nicht zugänglich gewesen, sondern die Sammlungen, die hier jetzt wieder zugänglich gemacht werden, sind fast ein halbes Jahrhundert, im Grunde genommen seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr verfügbar gewesen und sie dokumentieren deutsche und europäische Kulturgeschichte über einen Zeitraum von eineinhalbtausend Jahren. Das ist in einer vergleichbar kompakten Weise nirgendwo sonst auf dem Kontinent noch einmal zu sehen.
Liminski: Gewinnen wir denn mit solchen Bauwerken, die ja auch ihren Preis haben, ein neues Wir-Gefühl, oder ist das nicht doch etwas für Eliten, für Kunstliebhaber, für feinsinnige Geister?
Lammert: Ob dies zur Stärkung des Wir-Gefühls beiträgt, würde ich jetzt mal als einzelnen Vorgang auf sich beruhen lassen. Selbst wenn es nicht so wäre, bliebe damit das Engagement immer noch glänzend gerechtfertigt, dass hier das Wiedererstehen dieses Museums von öffentlichen Händen, aber auch durch bürgerschaftliches Engagement gestemmt worden ist.
Liminski: 1,2 Milliarden Euro kostet die Museumsinsel. Können wir uns das leisten? Gerade heute debattieren wir über die Armut in Deutschland.
Lammert: Herr Liminski, Bahnhöfe und Flughäfen kosten etwa ähnliche Beträge. Sie sind auch notwendig, aber niemand wird hoffentlich ernsthaft die Auffassung vertreten, wir sollten uns nur noch auf Verkehrsprojekte in der Verausgabung von Steuermitteln konzentrieren.
Liminski: Kulturnation Deutschland, Herr Lammert. Ist Kultur nicht auch eine Lebensform oder Lebenshaltung und nicht nur das Betrachten schöner Stücke aus der Vergangenheit?
Lammert: Ja, aber das eine wird ohne das andere nicht zu haben sein. Kunst und Kultur hat ja etwas mit der Selbstverständigung, mit dem Gedächtnis eines Landes, einer Nation zu tun. Wenn man es denn für notwendig hält, dass eine Gesellschaft sich darüber verständigt, was sie ist, wo sie her kommt, wohin sie will, dann wird sie nicht auf das verzichten können, was diese Selbstverständigung und diese Erinnerung stützt wie kein zweites Merkmal, wie kein zweiter Faktor, und das ist eben Kunst und Kultur.
Liminski: Lässt sich das denn eingrenzen? Hat Kultur überhaupt ein Vaterland? Niemand käme auf die Idee, Beethovens Neunte als deutsche Symphonie zu bezeichnen. Sie ist ja auch die europäische Hymne. Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Kultur und Nation definieren?
Lammert: Es gehört zu den großen Vorzügen von Kunst und Kultur, dass sie sowohl etwas mit der Identität von Ländern, von Kontinenten, von, wie wir ja auch häufig sagen, Kulturkreisen zu tun hat, als auch gleichzeitig Verbindungen und Verknüpfungen stiftet. Übrigens kann man das wiederum nirgendwo besser als auf der Museumsinsel besichtigen, die wenn sie einmal vollständig wieder hergestellt sein wird die Kulturgeschichte der Menschheit über einen Zeitraum von 6000 Jahren dokumentiert. Es wird dann dort ja auch neben europäischer außereuropäische Kunst und Kultur zu sehen sein. Die ist heute schon dort zu sehen. Dies sind also zwei Aspekte, die sich nicht nur nicht gegenseitig ausschließen, sondern die in einem engen Zusammenhang zueinander stehen.
Liminski: Ich will mal bei diesem Begriff der Kultur bleiben. Sie haben jetzt gerade ein Buch, einen Sammelband auf den Markt gebracht. Der heißt "Verfassung, Patriotismus, Leitkultur - was unsere Gesellschaft zusammenhält". Kann es nicht eine Leitkultur geben ohne Patriotismus, etwa eine europäische Leitkultur?
Lammert: Die Begriffe sind ja so etwas wie vorsichtige Annäherungen an komplizierte Zusammenhänge. Ich glaube nicht, dass es weiterführt, wenn man sie und die damit gemeinten Sachverhalte gegeneinander ausspielt. Patriotismus ist ein Verhältnis zum eigenen Land, ein Verhältnis der Zuwendung, der Identifikation mit dem eigenen Land. Wenn man eine solche Zuwendung für erwünscht hält, dann stellt sich doch sofort die Frage, worauf sie sich begründet, wo ihre Quellen sind. Dann sind wir wiederum ganz wesentlich bei der Geschichte, bei der Sprache, bei der Kultur.
Liminski: Noch mal zum Bode-Museum. Hier geht es nur um Skulpturen. Ist Kultur aber nicht vor allem auch eine Sache der Sprache?
Lammert: Erstens geht es im Bode-Museum zwar ganz wesentlich um Skulpturen, aber keineswegs nur um Skulpturen. Der große Gedanke von Wilhelm von Bode als damaligen Generaldirektor der Museen bestand ja gerade darin, Kontexte zu verdeutlichen und die Skulpturen beispielsweise in den Zusammenhang der Kunstgeschichte zu stellen, auch mit Gemälden, auch mit Möbelstücken in eine lebendige Verbindung zu setzen. Dass es im Übrigen so etwas wie einen Kunstmarkt gibt, ist nicht zu bestreiten. dass er gelegentlich zu verrückten Übertreibungen neigt, ist nicht nur meine persönliche Einschätzung. Umso wichtiger ist es, dass wir die Kunst und die Kultur nicht allein diesen zu Übertreibungen neigenden Märkten überlassen, sondern dass wir sie ganz wesentlich für eine öffentliche Aufgabe halten, dass es öffentliche Sammlungen gibt, dass sie gepflegt, dass sie ergänzt, dass sie weiterentwickelt werden.
Liminski: Das Museum zeigt 1700 Skulpturen aus Europa. Ist das ein Stück Abendland?
Lammert: Ja, ohne Zweifel und noch mehr als in der politischen Geschichte des Abendlandes kommt ihr Selbstverständnis oder kommt sein Selbstverständnis und seine geistige Orientierung in der Kunst zum Ausdruck, die über Jahrhunderte geschaffen worden ist.
Liminski: Kultur werde, sagt Huntington, vor allem über Religion definiert. Herr Lammert, die Stücke im Bode-Museum scheinen dieser Ansicht auch Recht zu geben. Ist dann dieses Museum auch ein Stück Selbstbehauptung im Kampf der Kulturen heute?
Lammert: Richard Schröder hat einmal vor zwei, drei Jahren bei einer damaligen nicht zu Stande gekommenen Debatte über Leitkultur in unserer Gesellschaft gesagt: Jede Kultur, die sich ernst nimmt, ist insoweit eine Leitkultur. Ich glaube, er hat Recht. Das hat ja nichts mit Überlegenheitsansprüchen gegenüber anderen zu tun, sondern mit der ganz selbstverständlichen Vorstellung, dass die Orientierungen, die in einer Gesellschaft entwickelt worden sind - und das sind ganz wesentlich auch religiöse Überzeugungen und Orientierungen -, für die Gesellschaft Geltung beanspruchen können und auch Geltung beanspruchen müssen, in der sie entwickelt worden sind und ihre Kraft entfalten. Deswegen besteht zwischen diesen von Ihnen angesprochenen Zusammenhängen ganz sicher eine Verbindung, und wir sollten an dieser Verbindung auch ein Interesse haben und da, wo sie abgebrochen oder verloren gegangen oder Not leidend geworden ist, alle Bemühungen unterstützen, die diese Verbindung wieder revitalisieren.
Liminski: Herr Lammert, eine persönliche Frage: Was werden Sie sich zuerst im Bode-Museum anschauen?
Lammert: Ich hatte das Privileg, schon vor der heute Abend stattfindenden offiziellen Eröffnung mit dem Generaldirektor einen schnellen, aber doch vollständigen Gang durch diese ganz unglaubliche Sammlung machen zu können. Ich habe dort spontan gesagt, nun muss ich 14 Tage in meinem Terminkalender freischaufeln, um die Zeit zu haben, die man eigentlich benötigt, um diese überwältigende Fülle an herausragenden Exponaten wirklich im Einzelnen kennen lernen zu können.
Norbert Lammert: Guten Morgen Herr Liminski!
Liminski: Herr Lammert, fehlte uns dieses Museum wirklich und wenn ja warum?
Lammert: Ja, ganz sicher. Es ist ja das Bode-Museum jetzt nicht nur wegen des Umbaus eine ganze Reihe von Jahren nicht zugänglich gewesen, sondern die Sammlungen, die hier jetzt wieder zugänglich gemacht werden, sind fast ein halbes Jahrhundert, im Grunde genommen seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr verfügbar gewesen und sie dokumentieren deutsche und europäische Kulturgeschichte über einen Zeitraum von eineinhalbtausend Jahren. Das ist in einer vergleichbar kompakten Weise nirgendwo sonst auf dem Kontinent noch einmal zu sehen.
Liminski: Gewinnen wir denn mit solchen Bauwerken, die ja auch ihren Preis haben, ein neues Wir-Gefühl, oder ist das nicht doch etwas für Eliten, für Kunstliebhaber, für feinsinnige Geister?
Lammert: Ob dies zur Stärkung des Wir-Gefühls beiträgt, würde ich jetzt mal als einzelnen Vorgang auf sich beruhen lassen. Selbst wenn es nicht so wäre, bliebe damit das Engagement immer noch glänzend gerechtfertigt, dass hier das Wiedererstehen dieses Museums von öffentlichen Händen, aber auch durch bürgerschaftliches Engagement gestemmt worden ist.
Liminski: 1,2 Milliarden Euro kostet die Museumsinsel. Können wir uns das leisten? Gerade heute debattieren wir über die Armut in Deutschland.
Lammert: Herr Liminski, Bahnhöfe und Flughäfen kosten etwa ähnliche Beträge. Sie sind auch notwendig, aber niemand wird hoffentlich ernsthaft die Auffassung vertreten, wir sollten uns nur noch auf Verkehrsprojekte in der Verausgabung von Steuermitteln konzentrieren.
Liminski: Kulturnation Deutschland, Herr Lammert. Ist Kultur nicht auch eine Lebensform oder Lebenshaltung und nicht nur das Betrachten schöner Stücke aus der Vergangenheit?
Lammert: Ja, aber das eine wird ohne das andere nicht zu haben sein. Kunst und Kultur hat ja etwas mit der Selbstverständigung, mit dem Gedächtnis eines Landes, einer Nation zu tun. Wenn man es denn für notwendig hält, dass eine Gesellschaft sich darüber verständigt, was sie ist, wo sie her kommt, wohin sie will, dann wird sie nicht auf das verzichten können, was diese Selbstverständigung und diese Erinnerung stützt wie kein zweites Merkmal, wie kein zweiter Faktor, und das ist eben Kunst und Kultur.
Liminski: Lässt sich das denn eingrenzen? Hat Kultur überhaupt ein Vaterland? Niemand käme auf die Idee, Beethovens Neunte als deutsche Symphonie zu bezeichnen. Sie ist ja auch die europäische Hymne. Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Kultur und Nation definieren?
Lammert: Es gehört zu den großen Vorzügen von Kunst und Kultur, dass sie sowohl etwas mit der Identität von Ländern, von Kontinenten, von, wie wir ja auch häufig sagen, Kulturkreisen zu tun hat, als auch gleichzeitig Verbindungen und Verknüpfungen stiftet. Übrigens kann man das wiederum nirgendwo besser als auf der Museumsinsel besichtigen, die wenn sie einmal vollständig wieder hergestellt sein wird die Kulturgeschichte der Menschheit über einen Zeitraum von 6000 Jahren dokumentiert. Es wird dann dort ja auch neben europäischer außereuropäische Kunst und Kultur zu sehen sein. Die ist heute schon dort zu sehen. Dies sind also zwei Aspekte, die sich nicht nur nicht gegenseitig ausschließen, sondern die in einem engen Zusammenhang zueinander stehen.
Liminski: Ich will mal bei diesem Begriff der Kultur bleiben. Sie haben jetzt gerade ein Buch, einen Sammelband auf den Markt gebracht. Der heißt "Verfassung, Patriotismus, Leitkultur - was unsere Gesellschaft zusammenhält". Kann es nicht eine Leitkultur geben ohne Patriotismus, etwa eine europäische Leitkultur?
Lammert: Die Begriffe sind ja so etwas wie vorsichtige Annäherungen an komplizierte Zusammenhänge. Ich glaube nicht, dass es weiterführt, wenn man sie und die damit gemeinten Sachverhalte gegeneinander ausspielt. Patriotismus ist ein Verhältnis zum eigenen Land, ein Verhältnis der Zuwendung, der Identifikation mit dem eigenen Land. Wenn man eine solche Zuwendung für erwünscht hält, dann stellt sich doch sofort die Frage, worauf sie sich begründet, wo ihre Quellen sind. Dann sind wir wiederum ganz wesentlich bei der Geschichte, bei der Sprache, bei der Kultur.
Liminski: Noch mal zum Bode-Museum. Hier geht es nur um Skulpturen. Ist Kultur aber nicht vor allem auch eine Sache der Sprache?
Lammert: Erstens geht es im Bode-Museum zwar ganz wesentlich um Skulpturen, aber keineswegs nur um Skulpturen. Der große Gedanke von Wilhelm von Bode als damaligen Generaldirektor der Museen bestand ja gerade darin, Kontexte zu verdeutlichen und die Skulpturen beispielsweise in den Zusammenhang der Kunstgeschichte zu stellen, auch mit Gemälden, auch mit Möbelstücken in eine lebendige Verbindung zu setzen. Dass es im Übrigen so etwas wie einen Kunstmarkt gibt, ist nicht zu bestreiten. dass er gelegentlich zu verrückten Übertreibungen neigt, ist nicht nur meine persönliche Einschätzung. Umso wichtiger ist es, dass wir die Kunst und die Kultur nicht allein diesen zu Übertreibungen neigenden Märkten überlassen, sondern dass wir sie ganz wesentlich für eine öffentliche Aufgabe halten, dass es öffentliche Sammlungen gibt, dass sie gepflegt, dass sie ergänzt, dass sie weiterentwickelt werden.
Liminski: Das Museum zeigt 1700 Skulpturen aus Europa. Ist das ein Stück Abendland?
Lammert: Ja, ohne Zweifel und noch mehr als in der politischen Geschichte des Abendlandes kommt ihr Selbstverständnis oder kommt sein Selbstverständnis und seine geistige Orientierung in der Kunst zum Ausdruck, die über Jahrhunderte geschaffen worden ist.
Liminski: Kultur werde, sagt Huntington, vor allem über Religion definiert. Herr Lammert, die Stücke im Bode-Museum scheinen dieser Ansicht auch Recht zu geben. Ist dann dieses Museum auch ein Stück Selbstbehauptung im Kampf der Kulturen heute?
Lammert: Richard Schröder hat einmal vor zwei, drei Jahren bei einer damaligen nicht zu Stande gekommenen Debatte über Leitkultur in unserer Gesellschaft gesagt: Jede Kultur, die sich ernst nimmt, ist insoweit eine Leitkultur. Ich glaube, er hat Recht. Das hat ja nichts mit Überlegenheitsansprüchen gegenüber anderen zu tun, sondern mit der ganz selbstverständlichen Vorstellung, dass die Orientierungen, die in einer Gesellschaft entwickelt worden sind - und das sind ganz wesentlich auch religiöse Überzeugungen und Orientierungen -, für die Gesellschaft Geltung beanspruchen können und auch Geltung beanspruchen müssen, in der sie entwickelt worden sind und ihre Kraft entfalten. Deswegen besteht zwischen diesen von Ihnen angesprochenen Zusammenhängen ganz sicher eine Verbindung, und wir sollten an dieser Verbindung auch ein Interesse haben und da, wo sie abgebrochen oder verloren gegangen oder Not leidend geworden ist, alle Bemühungen unterstützen, die diese Verbindung wieder revitalisieren.
Liminski: Herr Lammert, eine persönliche Frage: Was werden Sie sich zuerst im Bode-Museum anschauen?
Lammert: Ich hatte das Privileg, schon vor der heute Abend stattfindenden offiziellen Eröffnung mit dem Generaldirektor einen schnellen, aber doch vollständigen Gang durch diese ganz unglaubliche Sammlung machen zu können. Ich habe dort spontan gesagt, nun muss ich 14 Tage in meinem Terminkalender freischaufeln, um die Zeit zu haben, die man eigentlich benötigt, um diese überwältigende Fülle an herausragenden Exponaten wirklich im Einzelnen kennen lernen zu können.