Silvia Engels: Es war ein Wahlkampf in Frankreich, der polarisierte. Auf der einen Seite Ségolène Royal, die die sozialen Errungenschaften verteidigen und stärken wollte. Auf der anderen Seite der siegreiche Nicolas Sarkozy, der mit Wirtschaftsreformen Frankreich auf eine neue ökonomische und gesellschaftliche Grundlage stellen will. Die klare Abgrenzung beider Konzepte war sicherlich ein Grund für die hohe Wahlbeteiligung der Franzosen. Doch Sarkozy steht nun vor der schwierigen Aufgabe, die gespaltene französische Gesellschaft auch wieder einen zu müssen. (MP3-Audio, Bericht von Doris Simon)
Am Telefon ist nun Gerard Foussier. Er ist Chefredakteur der deutsch-französischen Zeitschrift "Documents". Guten Tag, Herr Foussier!
Gerard Foussier: Schönen guten Tag!
Engels: Der Wahlkampf in Frankreich hat ja die Lagerbildung zwischen rechts und links gefördert. Kann es Sarkozy nun gelingen, die Franzosen zu einen, wie er das angekündigt hat?
Foussier: Man darf auch nicht vergessen dabei, dass mit dem Ergebnis von gestern Abend um 20 Uhr eigentlich der dritte Wahlgang angefangen hat, nämlich der Wahlkampf zu den Parlamentswahlen am 10. und 17. Juni. Deswegen muss auch Sarkozy etwas vorsichtiger sein, mindestens bis zu diesem nächsten Wahlergebnis, denn er braucht die Stimmen aus der Mitte. Er darf jetzt nicht sagen, jetzt bin ich als Vertreter der Konservativen der Präsident und jetzt habe ich eine Mehrheit hinter mir. Die hat er nur nach diesem Wahlsystem als Präsident, aber nicht im Parlament. Die hat er zwar im Moment in dem alten Parlament, aber er muss diese Mehrheit ausbauen, wenn er wirklich regieren will.
Engels: Ist das möglicherweise auch ein Grund dafür, warum Nicolas Sarkozy sich jetzt erst einmal aus der Öffentlichkeit zurückzieht, denn seine Persönlichkeit polarisiert ja auch sehr stark. In der Nacht gab es erste gewaltsame Proteste. Ist also dieser Rückzug, dieser vorsichtige, erst mal das Beste was er tun kann?
Foussier: Der Rückzug ist eigentlich etwas Normales. Der Wahlkampf war ziemlich heftig, war sehr lang vor allem. Sarkozy hat schon seit Jahren gesagt, dass er irgendwann Präsident werden möchte. Nach der Verfassung kann Jacques Chirac bis zum 16. Mai im Elysée-Palast erst mal bleiben. Das heißt, bis dahin hat er überhaupt keine Macht. Er ist ja nur der designierte Präsident. Die Zeit braucht er aber auch und selber hat er gesagt, ich bräuchte eigentlich mehr Zeit, bis zum 16. Mai eine provisorische Regierung zu bilden, die erst mal die Unterstützung des jetzigen Parlaments hat, die aber auch als Visitenkarte gelten kann für den Wahlkampf bei den Parlamentswahlen. Das ist nach dem politischen Kalkül des Präsidentschaftswahlkampfes. Jetzt kommt die politische Arithmetik, wo er aufpassen muss, wo kann ich aus der Mitte noch mehr Stimmen bekommen, möglicherweise wie kann ich die neue Bewegung, die aus der Mitte entstehen soll im Laufe dieser Woche, so auf ein Minimum reduzieren, dass die mir das Leben nicht so schwer machen?
Engels: Stichwort provisorische Regierung: Sarkozys Berater François Fillion hat erklärt, der künftige Präsident wolle eine parteiübergreifende Regierung ernennen, mit Vertretern des Zentrums, mit Persönlichkeiten aus dem linken Lager. Ist das ernst zu nehmen?
Foussier: Das kann man natürlich sagen. Die Frage wird nur sein, sind auch die Vertreter des linken Lagers bereit, ich sage es in Anführungszeichen, "ihre Seele an den Teufel zu verkaufen"? denn es ist - ich wiederhole es – Wahlkampf, und das wäre natürlich ein Schachzug, wenn er es schaffen würde zu sagen, guckt mal, ich habe einen aus dem linken Lager, und der ist jetzt in meiner Regierung. Das würde natürlich die Chancen der sozialistischen Partei, im Juni noch mehr Sitze zu bekommen, reduzieren. Ich glaube persönlich nicht, dass er das schafft, nur was heißt links und was heißt Mitte. Selbst Bayrou, der Kandidat, der an dritter Stelle war beim ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen, hat zwar Wahlkampf geführt mit dem Spruch "Ich bin weder rechts noch links", hat aber selber verkündet, dass er eine neue Bewegung gründen will mit Elementen von rechts und von links, um eine neue Mitte zu bilden. Das sind alles Definitionen. Die müssen, glaube ich, auch noch erfunden werden, um zu sagen, wer eigentlich rechts und wer eigentlich links ist.
Engels: Es ist erneut Wahlkampf in Frankreich. Sie haben es angesprochen. Nun erwartet aber die deutsche EU-Ratspräsidentschaft von Sarkozy vor allem Mithilfe, um die EU-Verfassung, wie immer sie dann genannt wird, wieder in Gang zu bekommen. Erwartet Deutschland angesichts des bestehenden Wahlkampfes zu viel?
Foussier: Ich glaube, er hat eine vernünftige Lösung angeboten, Sarkozy, weil er anders als Frau Royal nicht gesagt hat, wir werden den Text ein bisschen ändern und dann machen wir eine Volksabstimmung, so nach dem Motto, wir lassen wählen, bis die Leute richtig antworten. Das kommt nicht an. Die Franzosen wollen eine klare Entscheidung. Sie waren bis jetzt mit diesem Text nicht einverstanden, aus verschiedenen Gründen, auch innenpolitischen Gründen. Also wurde das mit Nein abgehakt. Also hat Sarkozy vorgeschlagen, denn es ist ja nicht nur Frankreich, es sind insgesamt 18 Länder, die bis jetzt ja gesagt haben zu diesem Verfassungsvertrag, und man kann natürlich nicht sagen, so groß auch Frankreich sein mag, jetzt müssen alle hinter Frankreich her und die Meinung von Frankreich vertreten. Umgekehrt: Frankreich muss die Meinung derjenigen Länder, die ja gesagt haben, auch respektieren.
Ich finde, es ist auch sehr pragmatisch, wenn er sagt, wir nehmen alles, was Konsens ist, wo die Leute ja gesagt haben, wir nehmen alles heraus, was problematisch ist, und dieser reduzierte Vertrag, das Wort Mini-Vertrag ist unschön, aber dieser Vertrag wird dann nicht vom Volk, sondern vom Parlament abgesegnet, wie die Deutschen das übrigens mit dem Bundestag gemacht haben. Da haben wir irgendetwas in der Hand, wo wir anfangen können, und man kann nachträglich diesen Vertrag ergänzen. Und das ist eine Frage der öffentlichen Diskussion mit dem Wählervolk, aber auch mit den anderen Partnern in Europa. Ich glaube, das ist eine pragmatische Lösung, die auch insgesamt angenommen worden ist in Frankreich.
Engels: Blicken wir noch kurz auf die Wahlverliererin Ségolène Royal. Sie möchte das linke Lager trotz der Niederlage weiterhin führen. Kann sie das schaffen, oder wird nun erbarmungslos mit der Verliererin abgerechnet?
Foussier: Das ist eine wichtige Frage, denn im Grunde genommen kann sich die sozialistische Partei nicht leisten, so einen Streit zu führen vor den Parlamentswahlen. Dann haben sie endgültig verloren. Das heißt, ich nehme an, dass sie bis Mitte Juni den ganzen Streit auf ein Minimum reduzieren werden, möglicherweise mit Frau Royal an der Spitze. Nur eins ist sicher: Das Sommertheater bei den Sozialisten ist vorprogrammiert, denn da geht es wirklich um die Führung der sozialistischen Partei und vor allem um die Identität. Die Franzosen haben die extrem linken Parteien regelrecht links liegen lassen. Die ganzen Splitterparteien haben kaum Stimmen bekommen. Die sozialistische Partei hat aber "nur", in Gänsefüßchen, 25 Prozent der Stimmen bekommen. Also braucht die sozialistische Partei eine neue Definition, eine neue Strategie, eine neue Identität. Wer sie bestimmt, das ist im Moment die Frage, die auch kein Mensch beantworten kann, aber Kandidaten gibt es genug.
Engels: Gerard Foussier, Chefredakteur der deutsch-französischen Zeitschrift "Documents". Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.
Am Telefon ist nun Gerard Foussier. Er ist Chefredakteur der deutsch-französischen Zeitschrift "Documents". Guten Tag, Herr Foussier!
Gerard Foussier: Schönen guten Tag!
Engels: Der Wahlkampf in Frankreich hat ja die Lagerbildung zwischen rechts und links gefördert. Kann es Sarkozy nun gelingen, die Franzosen zu einen, wie er das angekündigt hat?
Foussier: Man darf auch nicht vergessen dabei, dass mit dem Ergebnis von gestern Abend um 20 Uhr eigentlich der dritte Wahlgang angefangen hat, nämlich der Wahlkampf zu den Parlamentswahlen am 10. und 17. Juni. Deswegen muss auch Sarkozy etwas vorsichtiger sein, mindestens bis zu diesem nächsten Wahlergebnis, denn er braucht die Stimmen aus der Mitte. Er darf jetzt nicht sagen, jetzt bin ich als Vertreter der Konservativen der Präsident und jetzt habe ich eine Mehrheit hinter mir. Die hat er nur nach diesem Wahlsystem als Präsident, aber nicht im Parlament. Die hat er zwar im Moment in dem alten Parlament, aber er muss diese Mehrheit ausbauen, wenn er wirklich regieren will.
Engels: Ist das möglicherweise auch ein Grund dafür, warum Nicolas Sarkozy sich jetzt erst einmal aus der Öffentlichkeit zurückzieht, denn seine Persönlichkeit polarisiert ja auch sehr stark. In der Nacht gab es erste gewaltsame Proteste. Ist also dieser Rückzug, dieser vorsichtige, erst mal das Beste was er tun kann?
Foussier: Der Rückzug ist eigentlich etwas Normales. Der Wahlkampf war ziemlich heftig, war sehr lang vor allem. Sarkozy hat schon seit Jahren gesagt, dass er irgendwann Präsident werden möchte. Nach der Verfassung kann Jacques Chirac bis zum 16. Mai im Elysée-Palast erst mal bleiben. Das heißt, bis dahin hat er überhaupt keine Macht. Er ist ja nur der designierte Präsident. Die Zeit braucht er aber auch und selber hat er gesagt, ich bräuchte eigentlich mehr Zeit, bis zum 16. Mai eine provisorische Regierung zu bilden, die erst mal die Unterstützung des jetzigen Parlaments hat, die aber auch als Visitenkarte gelten kann für den Wahlkampf bei den Parlamentswahlen. Das ist nach dem politischen Kalkül des Präsidentschaftswahlkampfes. Jetzt kommt die politische Arithmetik, wo er aufpassen muss, wo kann ich aus der Mitte noch mehr Stimmen bekommen, möglicherweise wie kann ich die neue Bewegung, die aus der Mitte entstehen soll im Laufe dieser Woche, so auf ein Minimum reduzieren, dass die mir das Leben nicht so schwer machen?
Engels: Stichwort provisorische Regierung: Sarkozys Berater François Fillion hat erklärt, der künftige Präsident wolle eine parteiübergreifende Regierung ernennen, mit Vertretern des Zentrums, mit Persönlichkeiten aus dem linken Lager. Ist das ernst zu nehmen?
Foussier: Das kann man natürlich sagen. Die Frage wird nur sein, sind auch die Vertreter des linken Lagers bereit, ich sage es in Anführungszeichen, "ihre Seele an den Teufel zu verkaufen"? denn es ist - ich wiederhole es – Wahlkampf, und das wäre natürlich ein Schachzug, wenn er es schaffen würde zu sagen, guckt mal, ich habe einen aus dem linken Lager, und der ist jetzt in meiner Regierung. Das würde natürlich die Chancen der sozialistischen Partei, im Juni noch mehr Sitze zu bekommen, reduzieren. Ich glaube persönlich nicht, dass er das schafft, nur was heißt links und was heißt Mitte. Selbst Bayrou, der Kandidat, der an dritter Stelle war beim ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen, hat zwar Wahlkampf geführt mit dem Spruch "Ich bin weder rechts noch links", hat aber selber verkündet, dass er eine neue Bewegung gründen will mit Elementen von rechts und von links, um eine neue Mitte zu bilden. Das sind alles Definitionen. Die müssen, glaube ich, auch noch erfunden werden, um zu sagen, wer eigentlich rechts und wer eigentlich links ist.
Engels: Es ist erneut Wahlkampf in Frankreich. Sie haben es angesprochen. Nun erwartet aber die deutsche EU-Ratspräsidentschaft von Sarkozy vor allem Mithilfe, um die EU-Verfassung, wie immer sie dann genannt wird, wieder in Gang zu bekommen. Erwartet Deutschland angesichts des bestehenden Wahlkampfes zu viel?
Foussier: Ich glaube, er hat eine vernünftige Lösung angeboten, Sarkozy, weil er anders als Frau Royal nicht gesagt hat, wir werden den Text ein bisschen ändern und dann machen wir eine Volksabstimmung, so nach dem Motto, wir lassen wählen, bis die Leute richtig antworten. Das kommt nicht an. Die Franzosen wollen eine klare Entscheidung. Sie waren bis jetzt mit diesem Text nicht einverstanden, aus verschiedenen Gründen, auch innenpolitischen Gründen. Also wurde das mit Nein abgehakt. Also hat Sarkozy vorgeschlagen, denn es ist ja nicht nur Frankreich, es sind insgesamt 18 Länder, die bis jetzt ja gesagt haben zu diesem Verfassungsvertrag, und man kann natürlich nicht sagen, so groß auch Frankreich sein mag, jetzt müssen alle hinter Frankreich her und die Meinung von Frankreich vertreten. Umgekehrt: Frankreich muss die Meinung derjenigen Länder, die ja gesagt haben, auch respektieren.
Ich finde, es ist auch sehr pragmatisch, wenn er sagt, wir nehmen alles, was Konsens ist, wo die Leute ja gesagt haben, wir nehmen alles heraus, was problematisch ist, und dieser reduzierte Vertrag, das Wort Mini-Vertrag ist unschön, aber dieser Vertrag wird dann nicht vom Volk, sondern vom Parlament abgesegnet, wie die Deutschen das übrigens mit dem Bundestag gemacht haben. Da haben wir irgendetwas in der Hand, wo wir anfangen können, und man kann nachträglich diesen Vertrag ergänzen. Und das ist eine Frage der öffentlichen Diskussion mit dem Wählervolk, aber auch mit den anderen Partnern in Europa. Ich glaube, das ist eine pragmatische Lösung, die auch insgesamt angenommen worden ist in Frankreich.
Engels: Blicken wir noch kurz auf die Wahlverliererin Ségolène Royal. Sie möchte das linke Lager trotz der Niederlage weiterhin führen. Kann sie das schaffen, oder wird nun erbarmungslos mit der Verliererin abgerechnet?
Foussier: Das ist eine wichtige Frage, denn im Grunde genommen kann sich die sozialistische Partei nicht leisten, so einen Streit zu führen vor den Parlamentswahlen. Dann haben sie endgültig verloren. Das heißt, ich nehme an, dass sie bis Mitte Juni den ganzen Streit auf ein Minimum reduzieren werden, möglicherweise mit Frau Royal an der Spitze. Nur eins ist sicher: Das Sommertheater bei den Sozialisten ist vorprogrammiert, denn da geht es wirklich um die Führung der sozialistischen Partei und vor allem um die Identität. Die Franzosen haben die extrem linken Parteien regelrecht links liegen lassen. Die ganzen Splitterparteien haben kaum Stimmen bekommen. Die sozialistische Partei hat aber "nur", in Gänsefüßchen, 25 Prozent der Stimmen bekommen. Also braucht die sozialistische Partei eine neue Definition, eine neue Strategie, eine neue Identität. Wer sie bestimmt, das ist im Moment die Frage, die auch kein Mensch beantworten kann, aber Kandidaten gibt es genug.
Engels: Gerard Foussier, Chefredakteur der deutsch-französischen Zeitschrift "Documents". Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.