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"Eine verschworene Gemeinde"

Jürgen Teipel hat mit "Mehr als laut" einen Doku-Roman über die musikalischen Erlebniswelten von DJs geschrieben. Seine Erkenntnis: Zwar ist das Dasein des DJs oft von Oberflächlichkeit geprägt - trotzdem empfinden viele beim Auflegen ein Gemeinschaftsgefühl.

mit Anja Buchmann |
    Anja Buchmann: Was haben sie bei den Recherchen für ihr Buch für einen Eindruck gewonnen, was es einem DJ bedeutet, DJ zu sein?

    Jürgen Teipel: Das ist unterschiedlich, ich hab ja wirklich mit vielen unterschiedlichen Leuten geredet, das waren so an die zwanzig. Je nach Lebensalter war es auch ganz unterschiedlich. Was mir besonders Spaß gemacht hat bei einigen, wenn sie angefangen haben über die Schönheit der Musik und den Kontakt zum Publikum zu sprechen. Dieses plötzlich so eine Gemeinsamkeit herstellen. Durch die Musik als Medium entsteht plötzlich eine Verbindung. Wie passiert das, was entsteht dann. Das fand ich spannend. Es war, im Vergleich zum Punk, auch eine sehr feinfühlige Sache. Zumindest bei denen, die wirklich geguckt haben: Warum wirkt denn meine Musik so? Ich hab ja auch nicht mit Leuten gesprochen, die einen Hau-drauf-Techno aufgelegt haben, sondern mit denen, die sich ein bisschen Gedanken gemacht haben und das hat mir Spaß gemacht zu erfahren, wie kommt die Verbindung zustande.

    Buchmann: Das impliziert ja auch eine Form von Macht. Der DJ kann musikalische, gefühlsmäßige Wogen auslösen, wieder auflösen und stoppen und umdeuten… also der macht ja ganz schön viel mit den Leuten.

    Teipel: Ja, aber das sind auch erst mal wieder diese anderen DJs, die ich nicht so kennengelernt habe, die das Wort Macht vielleicht gebrauchen würden…

    Buchmann: Stimmt, das Wort fiel in diesem Zusammenhang auch nicht.

    Teipel: Ja, das Wort fällt im ganzen Buch nicht, zumindest nicht, dass da jemand seine Macht missbraucht. Die meisten waren sehr bescheiden und da ging es darum, eben nicht an der Stelle noch mal auf die Kacke zu hauen und an der Stelle, wo die Leute schon brennen, die drei Superhits rauszuhauen, dass die Leute durch die Decke gehen oder so was. Das klingt an ein paar Stellen im Buch an, dass es um eine gute Art von Verbindung, um ein aufeinander hören geht.

    Buchmann: Ich habe mir zwei Stichpunkte von Hans Nieswandt besonders gemerkt. Der sagte, es ist eine zweischneidige Sache: Zum einen gibt es schon eine gewisse Egozentrik des DJs oder der DJane - zum anderen geht aber auch um einen Dienst an der Gemeinde.

    Teipel: Ja, das kam so Kirchengemeinden-mäßig rüber. Das ist schon eine verschworene Gemeinde. Das hat ja auch DJ Koze erzählt: Da treffen sich 400, 500 Leute in einem komischen Kellerklub im Außenbezirk der Stadt, hören sich Musik an, die er selbst auch tagsüber kaum anhören würde - aber man findet sich da drin, man einigt sich da drauf. DJ Koze hat auch von "Angeboten" gesprochen, er schießt nicht gleich mit Kanonen auf Spatzen, sondern "bietet was an" und schaut, wie die Leute reagieren, versucht eine gewisse Färbung reinzubringen. Das meinte ich mit einem Aufeinanderhören. Fand ich ganz interessant, schon seit meinem ersten DJ-Erlebnis im Technobereich, damals mit Acid Maria in Karlsruhe bei einer Lesung von mir: Dieses "was brauch ich, was brauch ich nicht".

    Buchmann: Von DJ Koze hab ich ein Zitat, ich glaub, das ist sogar das, auf das Sie gerade abgehoben haben. Ausgangpunkt ist: Er spricht die Panorama-Bar in Berlin - das war eine große Schwulen-Geschichte - und er sagte dazu:

    Es gibt noch viel zu wenig Raume, die sich dermaßen außerhalb des Normalen befinden. Ich glaube, das hat auch ne reinigende Wirkung. Weil – machen wir uns doch nichts vor – fast die ganze Gesellschaft ist doch auf der Suche nach dem totalen Grenzüsberschreitungskickwahnsinn. Fallenlassen. Loslassen. Nicht mehr nachdenken müssen. Keine Angst mehr haben müssen.

    Ihr Kommentar?

    Teipel: Ja toll. Vor allem das Wort "Grenzüberschreitungskickwahnsinn". Das war Kreativ-Koze. Dazu fällt mir auf der einen Seite ein, dass es in diesem ganzen Nachtleben immer wieder Leute gibt, die auch Sorgen haben, die Neurosen mit sich 'rumschleppen und die dann da einen Outlet finden, die da aufgehoben sein können. Dass man gar nicht kommunizieren muss, sondern gerade in ‘nem Klub wie der alten Panorama Bar - man braucht sich nicht selbst darstellen, man muss nichts Tolles anziehen, man muss einfach nur da sein. Das ist für viele ganz erleichternd gewesen. Und dieser Kick, den viele immer wieder angesprochen haben, das ist, was wir viel zu selten haben: Diese Gelegenheit, über den langweiligen Alltag hinauszugehen, Visionen zu haben und sich anders zu empfinden als auf dieses "ich sitze jetzt wieder in der U-Bahn und drücke auf meinem Handy rum"…das ist ja oft so langweilig im Alltag.

    Buchmann: Aber es ist auch - und das klingt im Buch des Öfteren an - ein trügerisches Aufgehobensein, es hat ja auch eine gewisse Oberflächlichkeit. Es gilt in der Regel nur für eine Nacht.

    Teipel: Ja, das ist das Problem auf Dauer. Dass sich da verbindliche Beziehungen für die wenigsten entwickelt haben. Sondern dass erst mal viele Leute, mit denen ich gesprochen habe, enttäuscht waren, dass das Versprechen, etwas Dauerhaftes zu bilden, nicht eingelöst wurde. Und dass man doch wieder woanders gucken musste. Aber man konnte auch sagen: Okay, das ist hier möglich, mehr ist nicht möglich, aber das ist auch nicht schlecht. Es kommt natürlich auf die eigene Erwartungshaltung an. Aber - ja: Damals war es so, dass viele Leute unter dieser Oberflächlichkeit auch gelitten haben.

    Buchmann: Ich möchte noch mal auf die Rolle der Frauen im DJ-Gewerbe eingehen. Es gibt ja einige und ich finde es erstaunlich, dass in Ihrem Buch 25 oder 30 Prozent immerhin Frauen sind. Mit Acid Maria, Stella Stellaire, Inga Humpe, Miss Kittin… Ist Techno mehr oder weniger "Macho" als Rock Musik?

    Teipel: Die Tendenzen sind auf jeden Fall die gleichen, es hat sich schon ein bisschen aufgelöst. Ich würde auch sagen, 25 bis 30 Prozent der DJs zumindest damals waren Frauen. Aber die waren schon konfrontiert mit übelstem Machotum.

    Buchmann: Allein in den Plattenläden. Da haben sie noch nicht mal die interessanten Platten gezeigt bekommen, da hieß es dann: Schätzelein, dir zeigen wir mal ‘nen Number-One-Hit, dann reicht‘s aber auch.

    Teipel: Genau, zu mehr reicht’s ja bei dir sowieso nicht, auch so vom Interesse her… Da haben sich manche von den Frauen richtig dran abgearbeitet. Es war schon eine sehr männliche, elitäre, kopfmäßige Sache, diese Techno- und Houseszene in den 90ern und Anfang der Nullerjahre. Da waren viele Entwicklungen, die auf vielen anderen Terrains schon längst vollzogen waren - in dem Mann-Frau-Gender-Bereich - noch nicht richtig angekommen in der Klubszene. Da hieß es immer noch: Ja, Schätzchen, hat Dir dein Mann die Platten rausgesucht.