Sonntag, 05. Mai 2024

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"Eine wirklich merkwürdige Debatte"

Es soll laut geworden sein beim Koalitionstreffen am Sonntag. Schnell hatte sich die FDP auf Joachim Gauck als Kandidaten für das Bundespräsidentenamt festgelegt, was die Union ihr übel nahm. FDP-Generalsekretär Patrick Döring sieht dennoch keinen Grund für eine Diskussion. Auch wenn die Umstände "turbulent erscheinen" mögen.

Patrick Döring im Gespräch mit Sandra Schulz | 22.02.2012
    Sandra Schulz: Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung, das sind die beiden Delikte, denen die Staatsanwälte im Fall Christian Wulffs nachgehen. In Berlin ist seit dem Wochenende jetzt noch ein anderer Straftatbestand im Gespräch: Erpressung. Um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen, da geht es nicht um neue Vorwürfe gegen Christian Wulff, sondern erpresst gefühlt haben sich – natürlich auch nicht im streng strafrechtlichen Sinne – zahlreiche Unionsabgeordnete von ihrem Koalitionspartner, von der FDP. Denn bei der Nominierung Joachim Gaucks als Nachfolger von Wulff, da hatte die FDP so ziemlich das ausgereizt, was Juristen die normative Kraft des Faktischen nennen, mit ihrer frühen Festlegung auf Gauck. Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen, am Telefon begrüße ich den FDP-Generalsekretär Patrick Döring. Guten Morgen!

    Patrick Döring: Schönen guten Morgen!

    Schulz: Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach hat aus den Ergebnissen, aus den Ereignissen vom Wochenende folgende Schlussfolgerung gezogen:

    Wolfgang Bosbach: Jetzt hat auch die Union einen neuen Spielraum: Wenn die FDP sagt, wir können zur Not auch ohne die Union, dann gilt das aus Sicht der Union für die eine oder andere Entscheidung auch.

    Schulz: Ist es so, dass Verabredungen innerhalb der Koalition jetzt keine Rolle mehr spielen?

    Döring: Ich denke, das ist eine wirklich merkwürdige Debatte, die jetzt sich an die Ereignisse vom Sonntag anschließt. Wir haben einen gemeinsamen Koalitionsvertrag, der auf gemeinsamen politischen Werten und Inhalten gegründet ist, und der gilt für die gesamte Wahlperiode. Es gibt überhaupt gar keinen Grund, jetzt in dieser Phase, die ja auch europapolitisch herausfordernd ist, eine Diskussion zu beginnen, ob diese Koalition handlungsfähig ist oder nicht. Sie ist es und sie bleibt es.

    Schulz: Aber hatten sich Union und FDP nicht bei der Nachfolgefrage darauf verständigt, sich erst intern abzustimmen?

    Döring: Genau so ist es, wir haben ja deshalb am Freitagabend mehrere Stunden die Parteivorsitzenden und am Samstagvormittag die Partei- und Fraktionsvorsitzenden auch nach Namen gesucht. Es gab ja auch überzeugende Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten aus Sicht der Koalition bereits am Freitagabend, die haben dann im Laufe des Samstags für sich erklärt, dass das Amt für sie nicht infrage kommt. Es sind dann neue Kandidaten gesucht worden, und es gehört zu einer partnerschaftlichen, vertrauensvollen Zusammenarbeit dazu, dass dann der eine Partner – in dem Fall die FDP – auch mitteilt, die Namen, die bisher besprochen sind, können nicht die Bindungswirkung in die Delegation der FDP in der Bundesversammlung hinein entfalten, wie das Joachim Gauck kann, und deshalb kristallisierte sich dann sehr schnell heraus, dass von all den genannten möglichen Persönlichkeiten Joachim Gauck uns auch inhaltlich am nächsten steht.

    Schulz: Aber wenn es diese Verabredung gegeben hat, das haben Sie ja gerade bestätigt, warum hat sich die FDP denn dann nicht dran gehalten?

    Döring: Nun, es ist ja ein gemeinsamer Kandidat der Koalition am Ende gefunden worden, das ist nämlich Joachim Gauck, und das war auch nie ausgeschlossen, dass er das wird. Aber die Umstände mögen von außen betrachtet etwas turbulent erscheinen – ich persönlich glaube, es ist die richtige Wahl, es ist ein gutes Ergebnis, und wir können froh und stolz sein, dass wir dann mit sehr, sehr großer Mehrheit das Ziel erreichen, dass die Koalition hatte, nämlich dem Amt Würde und Respekt zurückzugeben, politische Autorität zurückzugeben und eine überparteiliche Kandidatur vorzuschlagen. All das ist gelungen.

    Schulz: Herr Döring, jetzt im Moment sprechen wir gerade noch über das Verfahren der Kandidatenkür. Es war verabredet, dass sich die Koalition intern abstimmt, am Sonntagnachmittag war ja noch Stand der Dinge, dass die Union sich nicht für den Kandidaten Gauck entschieden hat. Warum haben Sie das trotzdem schon öffentlich gemacht?

    Döring: Na, offenbar ist es im politischen Geschäft leider nicht zu verhindern, dass auch Beratungen in einem kleineren Gremium – etwa 15 Personen im Präsidium der FDP – dann in einer so, sagen wir mal, aufgeheizten Diskussionslage nicht geheim bleiben. Nichtsdestotrotz war es, glaube ich, richtig, dass man als Partner auch frühzeitig mitteilt, wir können uns nicht vorstellen, dass die 136 Wahlfrauen und Wahlmänner der FDP eine andere Person wählen in Anbetracht der Persönlichkeiten, über die gesprochen wurde, als Joachim Gauck. Darum ging es, diese Botschaft wollten wir unserem Partner nicht vorenthalten, und sie hat am Ende dazu geführt, dass wir alle gemeinsam jetzt Joachim Gauck wählen können.

    Schulz: Also dann war das eigentlich ein Versehen und gar nicht der große Erfolg, den die FDP am Wochenende verkaufen wollte?

    Döring: Ja, das ist selbstverständlich schon auch so, dass wir uns darüber freuen, wenn mal der kleinere Partner den größeren Koalitionspartner überzeugen kann. Das ist am Sonntag gelungen, aber nun ist es auch gut, darüber muss man dann auch kein weiteres Wort verlieren. Auch andersrum haben wir uns in der Vergangenheit ja auch öfter von der Union überzeugen lassen, den richtigen Weg gemeinsam zu gehen.

    Schulz: Ja, jetzt ist die Auslegung des Begriffs überzeugen sicher sehr umstritten. Der Unmut in der Union ist ja ein ganz erheblicher. Ist das für eine Drei-Prozent-Partei nicht eine ziemlich gefährliche Situation, es sich mit dem größeren Koalitionspartner zu verscherzen?

    Döring: Also man kann vielleicht mal in Umfragen schlechter liegen und auch Wahlen verlieren – man sollte nie seine Überzeugung verlieren. Und in dem Fall haben wir nach unserer Überzeugung gehandelt und festgestellt, dass Joachim Gauck mit seinem Freiheitsbegriff uns am nächsten steht. Es geht nicht um taktische Überlegungen, sondern das aus unserer Sicht beste Staatsoberhaupt zu bekommen, darum ging es, das war uns wichtig. Ansonsten gilt in der Politik, dass immer das zählt, was ist, und das sind die Wahlmänner und Wahlfrauen in der Bundesversammlung, 136 aus der FDP, die darüber entscheiden, und das war das, was relevant ist für die Diskussion, wie wir uns verhalten. Und Überlegungen, welche Auswirkungen hat welche Entscheidung auf Umfragewerte, die müssen nachrangig sein, wenn es um die Besetzung des höchsten Amtes im Staate geht.

    Schulz: Wie würden Sie denn das Koalitionsklima beschreiben?

    Döring: Nach meiner Wahrnehmung ist es weiterhin konstruktiv und an der Sache orientiert. Wir wollen gemeinsam Deutschland regieren, die gesamte Wahlperiode auf Grundlage unseres Koalitionsvertrages und das werden wir auch weiter tun.

    Schulz: Jetzt gibt es einige Wortäußerungen aus der Union, die dazu nicht so recht passen, zum Beispiel ist es immerhin der Unionsbundestagsvize Michael Meister, der sagt, dass die Liberalen sich mit SPD und Grünen ins Bett legen, und dass er sich darüber wundere. Wie passt das dann zu Ihrer Darstellung?

    Döring: Also diese Kategorisierung in Lagerdenken, glaube ich, ist nicht angemessen nach dem, was wir in den letzten Wochen auch tragischerweise um Bundespräsident Wulff erlebt haben. Wir alle hatten das gemeinsame Ziel, einen überparteilichen Kandidaten zu finden, so hatte ich jedenfalls den Eindruck, und das ist jetzt gelungen. Punkt, Ende, aus. Es hat keine Koalitionsgespräche mit anderen Parteien gegeben, wir haben einen Koalitionsvertrag mit der Union, zu dem wir stehen.

    Schulz: Wie kommt es denn eigentlich, wenn Joachim Gauck der überzeugende Kandidat, auch der Kandidat der FDP ist, wie Sie mir jetzt gerade geschildert haben, dass er vor zwei Jahren so wenig FDP-Stimmen bekommen hat, nur die weniger Abweichler?

    Döring: Also es gab ja seinerzeit schon einige Wahlmänner und Wahlfrauen, die Joachim Gauck gewählt haben, das auch immer öffentlich gesagt haben. Es gab darüber hinaus sehr viel Sympathie innerhalb der FDP…

    Schulz: Aber die Parteispitze hat dann damals den Falschen gewählt?

    Döring: Ja, nein, ich will Ihnen sehr genau vor Augen führen, in welcher Situation wir seinerzeit waren, nach dem sehr überraschenden Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler waren wir – übrigens auch die vielen, die Sympathie für Joachim Gauck haben – der Überzeugung, dass es besser ist, jemanden zu nehmen, der unmittelbar aus dem politischen Geschäft kommt, bei dem nicht die Gefahr besteht, dass er in Anbetracht auch mancher Härte, auch mancher Ungerechtigkeit der parlamentarisch-politischen Auseinandersetzung hier gegebenenfalls wieder dann zu einem für viele von uns unverständlichen Rücktritt kommt. Unser Wunsch war, einen politischen Profi an die Spitze des Staates zu setzen, das haben wir mit Christian Wulff dann seinerzeit getan, aber wir wissen heute nach 20 Monaten eben, dass das auch neue Probleme schaffen kann, und deshalb ist die seinerzeitige Entscheidung genau so richtig gewesen, wie es die jetzige ist.

    Schulz: Joachim Gauck hat Thilo Sarrazin ja als mutig bezeichnet, der mit seinen integrationspolitischen Thesen stark polarisiert und der vor anderthalb Jahren zum Beispiel auch über ein Juden-Gen räsoniert hat. Ist das auch FDP-Position?

    Döring: Also nun wird ja dieses doch große Buch gelegentlich gern auf einige Sätze reduziert. Ich mache mir keinen einzigen dieser Sätze zu eigen, aber ich will deutlich sagen, dass es legitim ist, den Begriff mutig jedenfalls Thilo Sarrazin zuzueignen. Damit macht man sich keinen einzigen seiner Sätze inhaltlich zu eigen, und so will ich mal die Bewertung von Herrn Gauck auch interpretieren.

    Schulz: Der FDP-Generalsekretär Patrick Döring hier bei uns in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk, danke schön!

    Döring: Danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.