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Eine Zeitschrift für den postmaterialen Leser

Ein neues Magazin auf den Markt zu bringen, ist immer mit einem hohen Risiko verbunden. Selbst große Verlage scheitern nicht selten daran. Dass aber selbst kleine Zeitschriften eine Chance haben, zeigt die "Gazette" aus München. Das politische Kulturmagazin richtet sich vor allem an Leute, die "sich für den Staat als funktionierendes Gebilde unserer Angelegenheit interessieren".

Von Brigitte Baetz |
    "Die Gazette ist anders." Dies schrieb die Neue Zürcher Zeitung und brachte das politische Kulturmagazin aus München in Verlegenheit. Denn mit einem Schlag hatte der begeisterte Rezensent dem Blatt 300 Schweizer Abonnenten beschert. Nun musste ein Bankkonto in der Schweiz eingerichtet werden, um den neu gewonnenen Lesern die Zahlung zu erleichtern. Nachfrage nach einem Projekt, das nicht auf dem Reißbrett eines großen Verlages entstand, sondern als Privatinitiative, zuerst im Internet, dann in gedruckter Form. In puristischem, eleganten Layout und mit viel, viel Text, ausreichend für die drei Monate bis zur nächsten Ausgabe. Doch was ist so anders an der "Gazette" und wie würde ihr Herausgeber Fritz Glunk, Journalist und ehemals Mitarbeiter des Goetheinstituts, sie einem Leser beschreiben?

    "Hier ist eine Zeitschrift, die ihm Augen öffnet über bestimmte Aktualitäten, die ich gerne mit Walter Benjamin die ‚wahre Aktualität’ nenne, nicht die Tagesaktualität. Das sind Entwicklungen, die sich langsam, noch unsichtbar, aber schon dem genauen Blick erkennbar, anbahnen und die morgen akut werden und dann in allen Zeitungen stehen. Diese Entwicklungen sind unser ideales Thema."

    Der finanziell und verkehrspolitisch unsinnige Transrapid, das Wirtschaftswunderland China, das dabei ist, seine Umwelt zu vergiften, die kulturellen Veränderungen in Afrika zwischen Tradition und Moderne finden ebenso ihren Platz wie die Verschwendung von Agrarsubventionen in der Europäischen Union. Die "Gazette" ist international ohne sich im Soziologendeutsch anderer Intelligenzblätter zu verlieren, fordert ihre Leser zum Mitdenken auf ohne sie indoktrinieren zu wollen. Umso eindrücklicher eine Collage aus E-Mails, die von Libanesen aus dem jüngsten Krieg stammen, kombiniert mit ungeschönten Bildern der Opfer. Im kleinen Format, um keinen Voyeurismus zu bedienen, aber gerade dadurch wirkungsvoll. Die Zurückhaltung in Form und Inhalt, stilvoll aber nicht langweilig, ist ein Kennzeichen der "Gazette", das sich auch aus dem Ursprung des Blattes als Online-Magazin für Literatur erklärt. Der Initiator und Herausgeber Fritz Glunk:

    "Ich wollte (aber) gerne in dieses Medium etwas hineinstellen, was es vorher nicht gab und zwar mit dem Medium Internet die Leute zum Lesen von Büchern bringen. Das war der etwas ungewöhnliche bis absurde Gedanke. Und so entstand die schöngeistige Online-Gazette, die dann zur politischen Gazette wurde."

    Drei Redakteure beschäftigt das Magazin heute – unentgeltlich. Denn so journalistisch einwandfrei die Gazette daherkommt, so hart waren die drei Jahre, in denen sie nun gedruckt vorliegt.

    "Der Schritt entstand auf der Terrasse hinter uns, wo wir als Online-Redaktion zusammen saßen und einer sagte: warum machen wir das eigentlich nicht im Papier. Wenn’s gut geht, dann haben wir Freude daran gehabt und wenn’s nicht geht, ist kein großer Schaden passiert. Ganz so einfach war es dann doch nicht. Ich hab eine GmbH gegründet und hab einen Teil meiner Ersparnisse da in das Kapital hinein gelegt und es ging dann die ersten zwei Jahre sehr schwierig. Das Kapital ist verbraucht und ein weiteres Gesellschafterdarlehen musste gegeben werden, aber heute steht diese Gazette in der Nummer 11, die gerade eben erschienen ist, das erste Mal auf eigenen Beinen. Das ist die erste Nummer, die eine ‚schwarze Null’ schreibt."

    Und das nicht nur mit politischen Themen, denn in der Gazette finden auch Lyrik, Kurzgeschichten und Bildstrecken ihren Platz. Nicht zu vergessen: die Rubrik "Fundsachen". Dokumente unserer Zeit wie der Originaltext einer so genannten Dating-Agentur, die russische und ukrainische Frauen vermittelt oder das zynische Lied amerikanischer Marines im Irak, das sich über die arabische Sprache lustig macht. Die Gazette bietet nachdenkenswerten Lesestoff für all diejenigen, die sich vom modernen Häppchenjournalismus nicht ausreichend informiert fühlen. Aber auch Herausgeber Fritz Glunk stellt Ansprüche, nämlich an die Leser:

    "Wir versuchen, unsere Leser insofern ernst zu nehmen als wir Personen mit einer bestimmten Einstellung oder einer bestimmten Haltung suchen. Es sind Erwachsene, ab Studenten. Ich war früher geneigt, das Alter erst ab 40 anzusetzen, aber wir haben immer mehr Studentenabonnements. Es sind gebildete Personen. Es sind politisch interessierte Personen und, jetzt kommt es, es sind sozusagen postmateriale Personen. Die sind am Gemeinwohl interessiert. Es sind nicht Parteipolitiker, die können uns nicht interessieren. Auch können uns Ein-Punkt-Angelegenheiten nicht interessieren. Aber jemand, der sich für den Staat als funktionierendes Gebilde unserer Angelegenheit interessiert, das ist unser Leser."