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"Einen Sozialstaat haben, der fit ist und nicht fett ist"

Beim Thema Sparen darf es keine Tabus geben, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Otto Fricke. Mit der Aussage, jede Aufwendung für Bildung sei richtig, liege die Bundeskanzlerin falsch. Wenn man spare, müsse das über die ganze Breite gemacht werden.

Otto Fricke im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Rüstung, Bildung, Soziales – wo wird die Bundesregierung sparen? Auch bei den Hartz-IV-Empfängern. Das sagt Otto Fricke, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion. Otto Fricke gleich bei uns im Interview.
    Die Rasenmähermethode scheidet für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble also aus, dabei hätte sie doch einiges für sich. Lange Streitereien über Ausgaben, die wichtig und weniger wichtig sind, könnte sich die Bundesregierung einfach schenken. Stattdessen dürfte es bald, spätestens bei der Klausur in Meseberg zur Sache gehen. Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag, Otto Fricke, ist auch hier haushaltspolitischer Sprecher. Er weiß, dass der schwarz-gelben Bundesregierung schwere Verhandlungen bevorstehen. Guten Morgen, Herr Fricke!

    Otto Fricke: Einen wunderschönen Frühlingsmorgen!

    Herter: Herr Fricke, sind Sie angesichts der Vorgänge in der Koalition immer noch sprachlos?

    Fricke: Nein, sprachlos, würde dann sofort meine Frau sagen, bin ich eigentlich nie, aber man muss natürlich aufpassen, wenn es solche schwierigen Situationen gibt, dass man nicht mit Schnellschüssen Dinge unnötig erschwert. Man ist jetzt dabei, den Weg zu finden, aber das ist noch ein ganzes Stück Arbeit da, das vor uns liegt.

    Herter: Sprachlos, das war die FDP, sagt Ihr Parteifreund aus dem hohen Norden, Jürgen Koppelin, nachdem Bundeskanzlerin Merkel klargestellt hat, dass es die Steuersenkungen sobald nicht geben wird. Stimmt das denn also nicht?

    Fricke: Na ja, sagen wir mal so: Wir haben zumindest nicht den Fehler gemacht, nach dem Prinzip "Tit for Tat" – jetzt hat die das gesagt, dann müssen wir sofort mit dem kommen – zu reagieren, sondern – und das halte ich immer noch für die beste Reaktion, nicht nur im Privatleben, sondern auch in der Politik – zu sehen, was geht, was ist möglich, was ist mit einem Koalitionspartner und mit einem veränderten Bundesrat noch möglich, und das neu zu bestimmen und das Stück für Stück zu tun und nicht zu sagen, na ja gut, jetzt geht das eine nicht, jetzt springen wir mal schnell aufs Nächste.

    Herter: Sparvorschläge als Rache an der Union, das ist doch zumindest eine reizvolle Möglichkeit, oder?

    Fricke: Ja, sagen wir mal so: Sie sehen mich als Haushälter bei dem Thema Sparvorschläge immer mit einem gewissen schmunzelnd unterstützenden Lächeln, aber Rache ist ein schlechter Berater, zumal dann noch das dazukommt, dass, glaube ich, jemand mal gesagt hat, dass Rache eine Suppe wäre, die eiskalt am besten schmecken würde. Nein, das ist aber kein Kriterium, sondern man muss an der Stelle sagen, wo wollen wir jetzt hin, was ist das weitere gemeinsame Programm dieser Koalition, was ist auch möglich. Und da ist es dann als i-Tüpfelchen noch, was bindet uns die Verfassung auf, was ist unsere Pflicht. Und dann sage ich, wenn die Pflicht schon dazu führt, dass man vieles Gutes tun kann, dann gerne.

    Herter: Ihr Sparbuch, das wir aus dem Wahlkampf noch kennen, telefonbuchstark mit 400 Vorschlägen, ist etwas in Vergessenheit geraten. Arbeiten Sie gerade an der Neuauflage?

    Fricke: Ja, das Sparbuch, da weise ich immer gerne darauf hin – weil natürlich manche jetzt auch immer wieder der politischen Wettbewerber sagen, na ja, komm, könnt ihr vergessen, war doch Show – ich weise dann immer darauf hin, das Sparbuch hat sich bezogen, das letzte von den, ich glaube, sieben Stück, die wir gemacht haben für die jeweiligen Jahre, hat sich auf das Jahr 2009 bezogen.

    Die Grundgedanken des Sparbuchs gelten weiter, wir haben sogar im Haushalt 2010, was viele bewusst vergessen haben – ich rufe es deswegen gern in Erinnerung – immerhin schon 90 dieser 400 Vorschläge im Grundsatz umgesetzt, aber wir werden noch ziemlich viele dieser Vorschläge umsetzen, weil sie im Kern ja sagen, wo dieser Staat sich zurücknehmen muss, wenn er seine Aufgaben, die er als Sozialstaat auch erfüllen will, wirklich wahrnehmen will.

    Herter: Können Sie uns da ein Beispiel nennen?

    Fricke: Na ja, also wir werden bei der Frage der militärischen Beschaffung – da bin ich mir ziemlich sicher – noch ganz klar verdeutlichen, dass wir anders als noch die Vorgängerregierung bestimmte Projekte nicht weiterführen werden. Da werden wir sagen, nein, das brauchen wir nicht – ich nenne das Raketenabwehrsystem MEADS. Ich merke auch, dass so langsam der Verteidigungsminister selber merkt, dass er sich wohl am besten mal langsam in Richtung Spitze der Bewegung setzt. Und wir werden, so sehe ich das auch, an bestimmten Stellen, im Bereich des Sozialstaates gucken müssen, ob Dinge überhaupt noch richtig sind oder nicht. Welche das dann konkret sind, da sage ich auch noch, eine Woche vor Meseberg: Konkrete Einzelvorschläge zu laut und zu oft zu machen, führt nur dazu, dass irgendjemand dafür sorgt, dass genau dieser Vorschlag nicht kommt. Man muss, wenn man spart, es über die ganze Breite machen, damit keiner sagt, wieso bei mir und nicht beim anderen.

    Herter: Ja, Moment, Ihr Generalsekretär hat ja einen Vorschlag gemacht: die Pauschalierung der Wohngelder für Hartz-IV-Empfänger. Will er nicht, dass dieser Vorschlag kommt?

    Fricke: Doch. Wenn Sie den konkret ansprechen, den jetzt der Generalsekretär gemacht hat, dann kann ich Ihnen sagen, das ist etwas, was in der FDP schon seit Längerem überlegt wird und was einen dreifachen Effekt ja hat. Der erste Effekt ist, Sie sorgen dafür, dass der Haushalt entlastet wird, der zweite Effekt ist aber auch noch, Sie sorgen für eine Entlastung der Kommunen, denn auch die sind ja von den Kosten der Unterkunft nicht unerheblich betroffen. Und der dritte Effekt ist – und viele meinen jetzt, das sei nicht ernst gemeint von einem Liberalen, ich kann aber wohl sagen, es ist genauso ernst gemeint –, Sie haben noch einen Umwelteffekt. Und wenn Sie dadurch noch einen Anreiz erreichen, dass nämlich jemand sagt, ich passe bei der Heizung, ich passe bei der Frage, wie viel ich für Warmwasser ausgebe, passe ich ein bisschen mehr auf und habe wegen der Pauschalisierung möglicherweise auch einen Vorteil, nicht nur für die Kommune, sondern auch für mich als Empfänger, dann ist es das, was jeder andere, der das aus eigener Tasche bezahlen muss, ja auch tut.

    Herter: Und Herr Fricke, der vierte Effekt wäre, dass Sie unglaubwürdig würden, weil Sie ja das Schonvermögen freigestellt haben Anfang des Jahres und sich damit auch dem Verdacht entledigen wollten, dass Sie eine Klientelpartei sind.

    Fricke: Na ja, das mit der Klientel ist immer so ein pauschaler Vorwurf, mit dem man wohl, wie ich immer sagen muss, menschlich leider – politisch ist das halt so –, aber menschlich leider leben muss. Das ist so ähnlich falsch wie, die SPD hat nur Ahnung von Sozialem, die Grünen kümmern sich nur um Umwelt. Nein, der Sinn einer aus liberaler Sicht vernünftigen Sozialpolitik ist ja nicht, zu sagen weniger, sondern ist zu sagen besser, und das wird oft vergessen: Diejenigen, die Transferleistungen bekommen und einen Anspruch darauf haben, gegenüber dem Sozialstaat, aufgrund unserer Verfassung, die haben den Anspruch darauf, dass sie etwas bekommen, wo sie aber selber mitgehen können, und nicht etwas nur, wo sie passiv dasitzen und sagen, Hauptsache, ich kriege es mit, und – siehe Schonvermögen – wo sie einen Anreiz dafür haben müssen, dass das, was sie durch Leistung selber erbracht haben, möglichst auch bei ihnen bleibt. Gilt dann übrigens auch bei der Pauschalisierung.

    Herter: Und nicht nur die Hartz-IV-Empfänger, auch Ihre Wähler und andere Gruppen werden das aber als Zickzackkurs empfinden, was Sie da machen in Bezug auf Hartz IV.

    Fricke: Na ja, der Kurs muss sein. Wir müssen einen Sozialstaat haben, der fit ist und nicht fett. Schönes Bild, aber das wollen wir jetzt noch mal mit Konkretem erfüllen. Das heißt, ich kann nicht einfach nur sagen, ich gebe mehr und dann ist das schon alles gut, zumal ich ein Verfassungsgerichtsurteil habe, das gesagt hat, grundsätzlich ist Hartz IV richtig, wir müssen an bestimmten Details Berechnungen verändern. Aber dann gehört zu diesem richtigen Fördern, zu dem gezielten Fördern und zu dem gezielten Helfen auch, zu sagen, da, wo es ungezielt ist, darf ich es nicht ausgeben, im Interesse aller, und da, wo es gezielt ist und hilft, muss ich es machen im Interesse der betroffenen Empfänger. Das heißt, eine Sozialpolitik, die einfach nur heißt, wir geben mehr oder wir geben weniger, das ist eine völlig falsche Sozialpolitik, die ist auch nicht in dem Sinne liberal, weil sie das Individuum nicht betrachtet, sondern sagt, wer pauschal hilft, der wird es schon richtig machen.

    Herter: Energie sparen, das hieße für Hartz-IV-Empfänger, da bleiben Zimmer kalt im Winter, da bleibt vielleicht auch der Herd kalt, damit man die Miete mit der Pauschale bezahlen kann?

    Fricke: Ja und nein. Wenn ich natürlich auf der anderen Seite dann auch bei der Frage, welche Miete zahle ich, wie groß ist meine Wohnung, das so mache, dass ich an die Grenzen gehe, ja. Aber wie sieht es denn für denjenigen aus, der sein Einkommen hat, keine Transferleistungen bekommt, auch der wird sagen, also, beispielsweise, ich nutze das Zimmer A überhaupt nicht unter der Woche, weil ich bin bei der Arbeit und dann brauche ich es auch nicht. Oder nehmen wir das bunte Beispiel des Badezimmers – jetzt kommt praktische Hilfe des Liberalen. Das Badezimmer brauche ich morgens mal warm, wenn ich reingehe, und ich sag mal so, um 7:30 Uhr muss es schon nicht mehr warm sein. Ich mache das bei mir zu Hause, und natürlich finde ich es auch schön, ich sag mal, eine Viertelstunde zu duschen, fünf Minuten reichen auch. Das hört sich jetzt sehr nach Sarrazin an, aber die Frage ist, gebe ich diese Verantwortung sozusagen dem Einzelnen, und da glaube ich an den Einzelnen, oder sage ich, nein, ich pauschalisiere das als Staat und es wird schon jeder irgendwie gut damit hinkommen. Nein, das kann es eben nicht sein, der Einzelne ist immer in der Verantwortung – als Steuerzahler, aber eben auch als Transferempfänger.

    Herter: Die Kanzlerin hat schon Tabus benannt für das Sparen: Bildung, frühkindliche Erziehung. Ist es das richtige Signal in dieser Situation, kann es denn da überhaupt Tabus geben?

    Fricke: Also in unserer Gesellschaft, die zum Glück eine sehr offene ist, eine sehr transparente, auch dank der Medien so ist, die kann nicht mit der Argumentation von Tabus kommen. Sie muss mit der Frage kommen, was ist intelligent, was ist dumm, was ist kurzsichtig, was ist eine langfristige Planung.

    Herter: Also hat die Kanzlerin das falsch gemacht?

    Fricke: In der Pauschalisierung, zu sagen, jede Ausgabe für Bildung ist richtig, ist das falsch. In der konkreten Aussage, für Bildung insgesamt mehr zu tun, ist es eine sehr präzise Aussage, weil nur so werden wir auf Dauer im Übrigen Arbeitsplätze haben, Geld verdienen können, unsere Produkte herstellen und verkaufen können, aber es gibt eben Punkte, die wir streichen. Und wenn das Thema kindliche Bildung kommt, also Kinder/Bildung, kann ich immer nur feststellen, wenn wir mehr bei den Drei- bis Sechsjährigen tun würden in den Grundfertigkeiten, würden wir Milliarden, jedenfalls die Kommunen zum Beispiel würden Millionen bei der Kinder- und Jugendhilfe einsparen in den späteren Jahren.

    Herter: Letzte Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort: Wie muss die FDP aus Meseberg, aus der Klausur herauskommen, um wieder für größere Gruppen wählbar zu werden?

    Fricke: Also wählbar ist sie weiterhin für alle, aber um sozusagen aus dem Stimmungstief, das ja effektiv da ist, rauszukommen, muss klar sein, mit der FDP habe ich jemanden, der den Ernst der finanzpolitischen, der schuldenpolitischen Lage erkannt hat und der bereit ist, nicht nur für Einzelne etwas zu tun, sondern der über die ganze Breite auch bereit ist, die Verantwortung zu übernehmen, dass wir in den nächsten Jahren das uns an Staat noch leisten können, was wir an Staat dringend auch brauchen.

    Herter: Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Otto Fricke, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk, und das Interview mit ihm haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.