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"Eines der ganz zentralen Werke"

Der Pianist Lars Vogt hat Pläne des Bonner Beethoven-Hauses begrüßt, die Handschriften von Beethovens Diabelli-Variationen zu erwerben. "Für mich gehören sie absolut ins Beethoven-Haus", sagte Vogt. Das Haus leistete hervorragende Arbeit beim Archivieren von Manuskripten, dort seien die wichtigen Partituren am besten aufgehoben.

Moderation: Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: Im Jahr 1819 war der alte Ludwig van Beethoven taub und das Komponieren fiel dem großen Meister nicht mehr leicht. Dennoch ging er auf eine Anfrage des geschäftstüchtigen Wiener Verlegers und Komponisten Anton Diabelli ein. Dieser hatte einen Klavierwalzer geschrieben, ihn an namhafte Komponisten geschickt und sie aufgefordert, sich dazu eine Variation einfallen zu lassen. Beethoven ließ sich gleich zu 33 Variationen hinreißen, sein letztes großes Werk für Klavier.

    Heute will das Beethoven-Haus in Bonn, das neben Geburtshaus des Komponisten auch das Museum mit der größten Beethoven-Sammlung weltweit ist, den geplanten Ankauf des Originals der Diabelli-Variationen bekannt geben. - Am Telefon ist der Pianist Lars Vogt. Herr Vogt, was ist denn an Beethovens Diabelli-Variationen so besonders?

    Lars Vogt: Das ist eines der ganz zentralen Werke von van Beethoven, eines der ganz großen Werke seines Spätwerks, wo er noch mal fürs Klavier so richtig zugelangt hat. Er macht etwas Unglaubliches in diesen Diabelli-Variationen. Er nimmt diesen Walzer, der wirklich ein mittelmäßiges Klavierstück ist, um das gelinde zu sagen, und schickt diesen Walzer auf eine Reise in diesen 33 Variationen, eine Reise, die durchaus skurril ist. Wenn Sie späte Werke von Beethoven kennen, dann wissen Sie, das ist alles eine Welt, bei der wir bis heute durchaus Schwierigkeiten haben, große Schwierigkeiten haben, sie wirklich zu begreifen. Es sind Ausblicke in andere Welten, in Klüfte, die eigentlich bis in die moderne Musik heute reichen. Also es ist wirklich absolut visionäre Musik und schließlich endet das Werk in einer solchen Vision in eine andere Welt, die uns bis zu einem Ausblick führt, was dieser Walzer wirklich in keinster Weise vermuten lässt.

    Kaess: Was bedeuten denn diese Variationen für Musiker heute?

    Vogt: Sie sind nach wie vor eine der höchsten Herausforderungen für Pianisten, auch für Zuhörer. Aber es ist wie so häufig gerade beim späten Beethoven - so empfinde ich es jedenfalls -, dass sich die Dinge auch dann einfach nicht mehr erklären lassen. Selbst ein Zuhörer, der jetzt von Musik nicht so viel Ahnung hat, sitzt in einem Konzert der Diabelli-Variationen und ist am Ende sprachlos.

    Kaess: Sie werden aber trotzdem viel weniger gespielt als die großen Sonaten von Beethoven?

    Vogt: Das mag einfach an dem Umfang, an der Schwierigkeit liegen. Es ist eine immense Schwierigkeit. Ich habe sie auch selber bislang nicht im Konzert gespielt. Ich habe daran gearbeitet und es ist eines meiner ganz großen Ziele, diese Variationen auch im Konzert zu spielen und sie irgendwann mal aufzunehmen. Es ist aber ein richtiges Lebenswerk, sich damit zu beschäftigen. Das begründet sicherlich auch, warum sie nicht so viel gespielt werden.

    Kaess: Es gibt ja in der Musik eine Diskussion über authentische Aufführungen historischer Werke. Helfen die Originale der Diabelli-Variationen da weiter?

    Vogt: Absolut! Als Musiker ist man immer bestrebt, möglichst nah an den Intentionen des Komponisten zu sein, gerade wenn es sich um so ein Heiligtum handelt wie die Diabelli-Variationen. Da ist es natürlich ganz hilfreich zu wissen, was hat Beethoven wirklich geschrieben. Zumindest Musikwissenschaftler sollten einfach ganz direkten Zugang dazu haben, um Editionen zu schaffen, auf die man sich als Interpret dann wirklich verlassen kann. Aber idealerweise ist es natürlich besonders schön, wenn Zweifel bestehen, dass ein Interpret sich auch mal ein Autograph anschauen kann oder sich darüber informieren kann.

    Kaess: Welche neuen Erkenntnisse können wir denn aus diesen Autographen über den Komponisten Beethoven gewinnen?

    Vogt: Man kann natürlich einer Handschrift auch ein bisschen den Gemütszustand ansehen, in dem etwas geschrieben worden ist. Nun sind Beethovens Handschriften sowieso so temperamentvoll, sage ich mal, dass man sich schon sehr gründlich damit beschäftigen muss, um wirklich zu verstehen, was er genau geschrieben hat. Aber es führt uns auf jeden Fall weiter. Wir lernen schon etwas über den Charakter von Komponisten, wenn wir uns anschauen, in welcher feinen Struktur beispielsweise Chopin alles hingeschrieben hat oder bei Mozart eigentlich fast keine Korrekturen da sind, als wenn ihm wirklich etwas diktiert worden ist, bis hin zu diesem immens wilden Arbeitsprozess, den man bei Beethoven in den Partituren sehen kann.

    Kaess: Können Sie sich denn vorstellen, warum Beethoven so überfleißig war und gleich 33 Variationen geschrieben hat? Angefragt war ja nur eine, und Sie haben es ja auch selbst schon erwähnt: dieser Walzer ist etwas nicht so Geniales gewesen, und man sagt, dass Beethoven sogar ein bisschen über dieses Stück gelächelt hat.

    Vogt: Ich glaube, er war sicherlich vermutlich zunächst mal amüsiert, dass er sich da so einreihen sollte und eine kleine Variation da schreiben sollte. Ich glaube, er hat sich dann irgendwann herausgefordert gesehen und hat eigentlich gesehen, dass man aus allem wirklich Gold machen kann. Vielleicht ist ja auch ein philosophischer Gedanke dahinter, dass in jeder Kleinigkeit, in jedem Alltäglichen irgendein Kern von Ewigkeit steckt. Das hat er sicherlich musikalisch da durchdekliniert.

    Kaess: Herr Vogt, gehören diese Variationen ins Beethoven-Haus?

    Vogt: Ja! Für mich gehören sie absolut ins Beethoven-Haus. Das Beethoven-Haus leistet wirklich hervorragende Arbeit, was das Archivieren von den Manuskripten angeht. Sie stellen sie auch Musikern zur Verfügung. Man kann also einsehen. Sie werden so weit ich weiß ja auch ins Internet gestellt. Ich habe da auch schon mal verschiedene Partituren eingesehen. Ich finde die ganz wichtigen Partituren gehören zum Beethoven-Haus. Dort sind sie einfach am besten aufgehoben. Es ist eines unserer höchsten Kulturgüter, und dieses Werk gehört einfach dazu.

    Kaess: Das heißt auch private Sammler sollten in solchen Fällen verpflichtet sein, das der Öffentlichkeit zugänglich zu machen?

    Vogt: Ich bin jetzt kein Rechtsexperte. Verpflichten kann man natürlich niemanden, denke ich, aber wenn die Möglichkeit besteht, dass man zu so einem Manuskript kommen kann, und wenn die Möglichkeit besteht, dass es zum Beethoven-Haus geht, dann sollte man alles dafür tun, dass das möglich wird.

    Kaess: Der Bund hat jetzt zwar seine Beteiligung beim geplanten Ankauf der Variationen zugesagt. Dennoch wird dafür eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Ist das der richtige Umgang mit nationalem Kulturgut?

    Vogt: Ich finde es zunächst positiv, wenn sich der Bund wirklich daran beteiligt, wenn sich der Staat aus diesen Dingen nicht ausklinkt. Da stellt sich ja die Frage von unserem gesamten Kulturleben. Im Vergleich zu anderen Ländern muss man sagen, dass wir noch in einer sehr guten Situation leben, wo sich der Staat eben nicht aus dem Kulturleben völlig ausklinkt und dies völlig dem Sponsoring überlässt. Aber das Engagement der Bürger wird immer wichtiger. Die Bürger müssen durchaus auch zeigen: was wollen wir eigentlich? Was wollen wir mit unserem Kulturgut? Wie wichtig ist es uns noch? Das geschieht auch immer wieder. Es gibt die großartigsten Initiativen, wo wirklich ehrenamtlich gearbeitet wird und wo gespendet wird, um Dinge auf den Weg zu bringen, die der Staat eben nicht mehr alleine stemmen kann.

    Kaess: Das heißt das wäre auch ein Modell für die Zukunft?

    Vogt: Ja. Ich möchte jetzt nicht das Eigenengagement so großreden, dass sich der Staat gemütlich ausklinkt, denn das hat wirklich fatale Folgen. Das sehe ich im Moment beispielsweise sehr stark in England, wo der Staat sich eigentlich überhaupt nicht mehr verantwortlich fühlt, was dazu führt, dass die Kultur zum Teil geradezu ein Slum-Dasein führen muss, wo man sich alles nur noch auf privaten Geldern aufbauen muss und der Künstler oder Musiker geradezu zum Almosenempfänger verkommt. So weit sollten wir es wirklich nicht kommen lassen, denke ich. Man sieht immer wieder, wie sehr die Gesellschaft so etwas eigentlich schätzt, wie der Stellenwert von Musik und Kultur in der Gesellschaft ist.

    Kaess: Herr Vogt, zum Schluss: Welche Variation spielen Sie am liebsten?

    Vogt: Das kann ich so nicht sagen. Ich habe wie gesagt die Arbeit daran noch gar nicht abgeschlossen. Ich habe nur mal angefangen zu arbeiten, bin ungefähr in die Mitte des Stückes eingedrungen, habe mich aber immer sehr auf diese letzten Variationen gefreut, wo dann der Abschied von der Welt auf eine ganz eigentümliche Weise uns vorgestellt wird, der aber eine Art von Hoffnung und von Offenheit und geradezu ekstatischer, aber nach innen gerichteter Freude damit verbindet. Es lässt sich alles gar nicht in Worte fassen. Daran sind schon die Größten gescheitert. Diese Schlussvariationen sind aber schon ein absoluter Gipfelpunkt.